Wissenswertes zu den Oldies |
11.02.2015 09:43 Uhr |
Von Monika Alter / Denkt man an orale Antikoagulanzien, fallen einem aktuell vor allem die neueren Vertreter ein. Dabei gibt es auch zu Marcumar® und Co. viel Wissenswertes, das für die Beratung relevant ist.
Dabigatran, Rivaroxaban und Apixaban beherrschen seit einigen Jahren sowohl die positive als auch die negative Berichterstattung zur Frage nach dem optimalen Antikoagulans.
Unter Cumarin-Therapie müssen Patienten regelmäßig ihren INR-Wert bestimmen und das Ergebnis aufzeichnen.
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Und während die Diskussion darüber, ob man diese Wirkstoffe nun als NOAK (neue orale Antikogulanzien oder auch nicht-Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien), oder doch lieber als DOAK (direkte orale Antikoagulanzien) bezeichnen soll, in vollem Gange ist, gerät das Wissen um die Urstoffe der oralen Antikoagulation, die Vitamin-K-Antagonisten (VKA), zur verstaubten Geschichte.
Dabei könnte man auch bei diesen vortrefflich über die richtige Bezeichnung diskutieren. Denn wirkliche Antagonisten im pharmakologischen Sinne sind sie nicht. Sie hemmen zwei Enzyme des Vitamin-K-Epoxid-Zyklus, wodurch die Carboxylierung sogenannter Vitamin-K-abhängiger Gerinnungsfaktoren gestört wird. Das Ergebnis sind PIVKA – Proteins induced by Vitamin K Absence –, die ihre Funktion in der Gerinnungskaskade nicht mehr erfüllen können. Daher werden VKA auch als indirekt wirksame Antikoagulanzien bezeichnet.
Viele Einflussfaktoren
Zuletzt geraten Cumarine, wie VKA anhand ihrer chemischen Struktur zusammenfassend bezeichnet werden können, jedoch immer mehr in den Hintergrund. Durch die Zulassung neuer therapeutischer Alternativen ist deutlich geworden, wie unbeliebt VKA in der medizinischen Fachwelt sind. Aber ist der Ruf als unberechenbare Antikoagulation tatsächlich gerechtfertigt?
Die Wirkung der Cumarine ist abhängig von mehreren Faktoren: den Begleiterkrankungen, der Begleitmedikation, der Ernährung sowie gegebenenfalls vorliegenden genetischen Polymorphismen. Letztere erklären insbesondere, warum manchen Patienten eine Viertel Tablette Marcumar alle zwei Tage benötigen, um die Ziel-INR (International Normalized Ratio) zu erreichen, während andere hierfür täglich mehrere Tabletten einnehmen müssen. Genetische Polymorphismen sind inzwischen für mehrere relevante Enzyme bekannt: VKORC1 (Vitamin K Epoxid Reductase Complex Subunit 1), an welchem Cumarine binden; CYP2C9, durch welches Cumarine verstoffwechselt werden, sowie CYP4F2, das die Bioverfügbarkeit von oral eingenommenem Vitamin K beeinflusst.
Borretsch, Kerbel, Kresse, Petersilie, Pimpinelle, Sauerampfer und Schnittlauch: Für Frankfurter ist das die Grundlage der »Grie Soß«, für Spielverderber ein Vitamin-K-Exzess.
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Dass diese Polymorphismen je nach Ausprägung in einem unterschiedlichen klinischen Effekt resultieren und in einem Patienten zudem mehrere Polymorphismen gleichzeitig vorkommen können, erklärt die Vielfalt interindividueller Schwankungen. Während dies von außen jedoch nicht steuerbar ist, können durch Kenntnis der verbliebenen Faktoren auftretende INR-Schwankungen beeinflusst werden.
Cumarine wirken durch kompetitive Hemmung, was auch die Wechselwirkung mit Vitamin K erklärt. Bei gleichzeitiger Anwesenheit konkurrieren beide um die Bindung an den betroffenen Enzymen. Für die Patienten bedeutet das aber nicht, dass sie sich an eine spezielle Cumarin-Diät halten müssen. Es gelten vielmehr auch weiterhin die Grundsätze einer ausgewogenen und abwechslungsreichen Ernährung. Lediglich Vitamin-K-Exzesse, also ein plötzlicher starker Anstieg des Vitamin-K-Gehalts der Nahrung, sollten vermieden werden.
Therapeutisch werden heute vor allem drei Vertreter der Cumarine genutzt: das insbesondere in den USA etablierte Warfarin, das vor allem in Deutschland genutzte Phenprocoumon sowie Acenocoumarol, das in Deutschland zwar keine Zulassung besitzt, jedoch unter anderem in Österreich und der Schweiz zur Anwendung kommt. Unterschiede zwischen den Wirkstoffen ergeben sich vor allem aus der Pharmakokinetik. Eine Zusammenfassung hierüber gibt die Tabelle.
Warfarin | Phenprocoumon | Acenocoumarol | |
---|---|---|---|
Bioverfügbarkeit | Annähernd 100 Prozent | Annähernd 100 Prozent | S-Form geringere Bioverfügbarkeit aufgrund ausgeprägten First-Pass-Effekts |
Halbwertszeit | 35 bis 45 h (1,5 bis 2 Tage) S-Form 24 bis 33 h R-Form 35 bis 58 h | 6,5 Tage S- und R-Form annähernd gleich | 8 bis 11h S-Form 1 bis 2 h R-Form 6 bis 7 h |
Plasma-Protein- Bindung | Etwa 99 Prozent | Etwa 99 Prozent | Etwa 99 Prozent |
Metabolisierung und Elimination | S-Form: CYP2C9 R-Form: CYP1A2, CYP3A4 Q0 > 0,9 Vollständig als Metabolite | CYP2C9 > CYP3A4 Q0 = 1 Circa 40 Prozent unverändert, 60 Prozent als Metabolite | S- und R-Form: CYP2C9 R-Form: CYP1A2, CYP2C19 Q0 = 1 Vollständig als Metabolite |
Enterohepatischer Kreislauf | Enterohepatischer Kreislauf | Enterohepatischer Kreislauf |
S-Form stärker wirksam
Allen Cumarinen gemeinsam ist, dass sie als Racemat vorliegen. Das ist wichtig, da die S-Form stärker gerinnungshemmend wirkt als die R-Form und gegebenenfalls unterschiedlich verstoffwechselt wird. Die S-Form von Warfarin beispielsweise hat eine fünffach stärkere gerinnungshemmende Wirkung als die R-Form; bei dem in Deutschland beliebten Phenprocoumon ist die S-Form immerhin noch doppelt so stark wirksam.
Die klinische Relevanz möglicher Wechselwirkungen mit Cumarinen hängt somit stark von der eingesetzten Substanz sowie dem betroffenen Stoffwechselweg ab. Phenprocoumon ist von allen Wirkstoffen am wenigsten anfällig für pharmakokinetische Wechselwirkungen, da es zu etwa 40 Prozent unverändert beziehungsweise konjugiert ausgeschieden wird. Auch gibt es keine relevanten Unterschiede in der Verstoffwechselung der Enantiomere: Beide werden ganz vorwiegend durch CYP2C9 und etwas weniger durch CYP3A4 metabolisiert. Ein Nachteil an Phenprocoumon ist die mit 6,5 Tagen sehr lange Halbwertszeit, die die adäquate Steuerung der Antikoagulation erschwert. Hier ist Acenocoumarol, dessen Halbwertszeit stark an die der neuen oralen Antikoagulanzien erinnert, vorteilhaft.
Auch einige Begleiterkrankungen können zu Veränderungen der Blutgerinnung führen. Beispielsweise wird der Stoffwechsel von Gerinnungsfaktoren unter anderem von Schilddrüsen-Hormonen gesteuert. Eine Schilddrüsen-Überfunktion, egal ob durch Erkrankung oder Arzneimittel induziert, verringert aufgrund eines erhöhten Abbaus bei gleichzeitig verminderter Neusynthese von Gerinnungsfaktoren den Bedarf an Cumarinen, während eine Unterfunktion eine Dosiserhöhung notwendig machen kann. Auch eine Herzinsuffizienz kann, im Stadium der Dekompensation, zu einem Anstieg der INR führen. Die genauen Hintergründe hierfür sind unbekannt. Wird ein Patient aufgrund einer dekompensierten Herzinsuffizienz stationär aufgenommen oder nach erfolgreicher Rekompensation entlassen, sollte die INR engmaschig überwacht werden, um Über- oder Unterantikoagulation zu vermeiden.
Eine besondere Herausforderung stellen fieberhafte Infekte dar: Einerseits können Infekte per se die Cumarin-Sensitivität erhöhen und eine Einnahmepause beziehungsweise eine Dosisverringerung erfordern. Andererseits sind viele Antibiotika, die zur Therapie bakterieller Infektionen verordnet werden, potente Hemmstoffe von CYP2C9 oder CYP3A4 und können dadurch zusätzlich die INR beeinflussen. Einen Überblick über die wichtigsten Wechselwirkungen gibt der Kasten.
Relevante Enzyme:
Relevante Begleitmedikation:
Werte häufig kontrollieren
Für ein optimales Management von Cumarinen ist ein regelmäßiges Monitoring der INR obligat, insbesondere während und nach einem Krankenhausaufenthalt sowie bei jeder Änderung der Medikation. Aufgrund der langen Halbwertszeit von Phenprocoumon dauert es im Schnitt etwa einen Monat, bis sich ein neuer Steady-State-Spiegel aufgebaut hat. Das betrifft insbesondere auch die Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Versorgung; in dieser Zeit sollte daher ein besonders intensives INR-Monitoring erfolgen.
Tritt eine stark erhöhte oder erniedrigte INR auf, sollten zur Bewertung dieser gegebenenfalls auch mehrere Woche zurückliegende Ereignisse berücksichtigt werden. Generell sollte insbesondere bei Neueinstellung oder nach Bridging auf aggressive Titrationsschemata verzichtet werden, denn gerade bei älteren Patienten sind oftmals niedrigere Dosierungen notwendig und sinnvoll. /