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Antikoagulanzien

Alte und neue Stoffe im Vergleich

12.02.2014  10:13 Uhr

Was gibt es bei geriatrischen Patienten in der Behandlung mit Antikoagulanzien zu beachten? Professor Dr. Edelgard Lindhoff-Last vom Universitätsklinikum Frankfurt am Main gab Antworten auf diese Frage. Sie informierte über alte Bekannte wie Heparin und Vitamin-K-Antagonisten sowie über die neuen oralen Antikoagulanzien (NOAK) und nannte Vor- und Nachteile der Substanzklassen.

Höheres Alter bedeutet auch ein höheres Risiko für venöse Thromboembolien und das Auftreten von Vorhofflimmern. Ab einem Alter von 75 Jahren steigt das Thromboserisiko exponenziell an. Zudem entwickelt laut Lindhoff-Last etwa jeder fünfte Senior ein Vorhofflimmern. Ihr Fazit: »Ein großer Anteil der Bevölkerung braucht eine Antikoagulation.« Das Dilemma sei, dass höheres Alter auch mit einem erhöhten Blutungsrisiko einhergeht. Ärzte sollten daher sowohl das Thrombose- als auch das Blutungsrisiko mithilfe von Scores abschätzen.

 

Nierenfunktion kontrollieren

 

Die Referentin betonte, dass die Nierenfunktion im Alter deutlich abnimmt. So sei die renale Ausscheidung bei bis zu 60 Prozent der älteren Bevölkerung um die Hälfte reduziert. Trotz normaler Kreatinin-Werte könne die glomeruläre Filtrationsrate deutlich eingeschränkt sein, was mit einer Akkumulations- Gefahr von Antikoagulanzien verbunden sein kann. Alle geriatrischen Patienten sollten vor und unter langfristiger Therapie mit Antikoagulanzien alle drei bis sechs Monate eine Kontrolle der Nierenfunktion anhand der MDRD-Formel oder der Cockroft-Gault-Formel erhalten, so Lindhoff-Last. In besonderen Situationen, zum Beispiel bei akuten fieberhaften Erkrankungen, sollten Ärzte die Nierenleistung noch häufiger testen.

Etwa 800 000 Menschen in Deutschland nehmen Vitamin-K-Ant­agonisten ein. Bei stabil eingestellten Patienten hätten diese Wirkstoffe eine hohe Effektivität bei niedrigem Blutungsrisiko. »Leider sind das aber die wenigsten Patienten«, so Lindhoff-Last. Ein Problem dieser Substanzklasse seien mögliche Hirnblutungen, die eine Mortalitätsrate von 50 und 60 Prozent aufweisen. Bisher habe man angenommen, dass durch die Gabe eines Prothrombinkomplex-Konzentrats der Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X (PPSB) Hirnblutungen in akuten Situationen aufgehalten werden können. Allerdings habe eine kanadische Studie gezeigt, dass zwar der INR-Wert durch die PPSB-Gabe normalisiert werden konnte, das Hirnblutungsvolumen aber nicht abnimmt. Die Mortalitätsraten lägen dann immer noch sehr hoch.

 

Eine Registerstudie aus Deutschland hat der Medizinerin zufolge die hohen Mortalitätsraten intra­kranialer Blutungen insbesondere bei geriatrischen Patienten unter Einnahme von Vitamin-K-Antagonisten bestätigt. Unter den NOAK treten laut Lindhoff-Last signifikant weniger Hirnblutungen auf. Wahrscheinliche Ursache dafür sei, dass diese Substanzen den Faktor VII nicht hemmen und dieser dann trotz Antikoagulation am Gewebefaktor im Gehirn binden kann.

 

Es gebe erste Hinweise da­rauf, dass durch die Einführung der NOAK gerade auch bei geriatrischen und multimorbiden Patienten und Menschen mit schlechter Nierenfunktion eine effektive Therapie bei höherer Sicherheit zu erreichen sei, sagte die Medizinerin. Sie betonte aber auch, dass bei diesen Patienten noch weitere Studien nötig sind, um eine individualisierte, optimierte Antikoagulation im klinischen Alltag zu ermöglichen.

 

Vergessen einer Tablette kann tödlich sein

 

Zudem machte Lindhoff-Last klar, dass auch die NOAK nicht frei von Nebenwirkungen sind. So können sie anders als Vitamin-K-Antagonisten Blutungen im Gastrointestinaltrakt induzieren, und es sind auch bei ihnen viele Wechselwirkungen zu beachten. Durch die kurze Halbwertszeit der neuen Substanzen sei das Vergessen einer Tablette – anders als bei Vitamin-K-Antagonisten – sehr gefährlich und könne tödlich enden. Dem Patienten zu erklären, dass er diese Tablette auf keinen Fall weglassen darf, ist laut Lindhoff-Last eine wichtige Aufgabe für Apotheker.

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