Immer im Kontext interpretieren |
11.02.2014 11:45 Uhr |
Von Ulrich Jaehde und Navin Sarin / Die Leber ist das zentrale Stoffwechselorgan. Erhöhte Leberwerte können Krankheiten anzeigen, aber auch unerwünschte Wirkung einer Arzneimitteltherapie sein. Was sagen Leberwerte aus, und wie werden Arzneistoffe bei Patienten mit Leberdysfunktion richtig dosiert?
Die Leber hat in mehrfacher Hinsicht eine wesentliche Bedeutung für die Arzneimitteltherapie. Zum einen können Arzneistoffe die Leber schädigen, zum anderen ist die Leberfunktion wichtig für den Metabolismus und damit für die Dosierung von Arzneistoffen, die hepatisch eliminiert werden.
Zentrales Stoffwechselorgan des Menschen: die Leber
Foto: Fotolia/ Sebastian Kaulitzki
Bei Patienten mit einer Lebererkrankung können Standarddosierungen zu gefährlich hohen Plasmakonzentrationen und unerwünschten Wirkungen führen. Einige Apotheken bieten routinemäßig die Bestimmung von Leberwerten an. Die Prävalenz erhöhter, in der Apotheke gemessener Leberwerte wurde kürzlich mit etwa 15 Prozent ermittelt (1). Die Kenntnis der Leberwerte des Patienten sowie anderer Laborwerte bildet eine wichtige Grundlage für eine rationale Arzneimitteltherapie; dies gilt besonders für das Medikationsmanagement.
Leberwerte sollten bei Lebererkrankungen sowie bei der Einnahme von Arzneimitteln, die hepatotoxisch wirken, regelmäßig überwacht werden. Die wichtigsten Leberwerte, ihre Referenzbereiche, Interpretation und beeinflussende Arzneistoffe sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Aufgrund eines Beschlusses der Bundesärztekammer sollen alle Enzymaktivitätsmessungen seit 2003 bei 37 °C anstelle von 25 °C ausgeführt werden. Um Fehlinterpretationen zu vermeiden, sollten stets die Referenzbereiche des jeweiligen Messlabors verwendet werden.
Transaminasen (Aminotransferasen)
Die zwei wichtigsten Leberenzyme sind die Transaminasen Alanin-Aminotransferase (ALT, früher GPT) und Aspartat-Aminotransferase (AST, früher GOT), die in Leberzellen vorkommen und bei einer akuten Leberschädigung aus den Hepatozyten ins Blut gelangen. Beide Enzyme sind sehr sensitive, aber unspezifische Marker mit langen Halbwertszeiten. Ein schneller Anstieg der ALT- beziehungsweise AST-Aktivität zeigt sich bei einem Untergang vitaler Hepatozyten. Sehr hohe Konzentrationen (> 1000 U/L) stehen oft im Zusammenhang mit einer akuten viralen Hepatitis, einer ischämischen Hepatitis oder toxischen Arzneimittelwirkungen.
Das Verhältnis von AST zu ALT (De-Ritis-Quotient) ist bei der Diagnose einer Lebererkrankung interessant. Bei Leberschäden leichteren Grades ist der Quotient meist kleiner als 1. Ein hoher De-Ritis-Quotient (> 1) tritt eher bei schwereren Leberschäden auf. Dies hat seine Ursache in der Verteilung der AST und ALT innerhalb der Zelle.
Die ALT kommt hauptsächlich im Zytosol vor und kann daher schon bei leichten Schäden ins Blut übertreten. Die AST hingegen ist zum größten Teil in den Mitochondrien der Zelle zu finden. Erst wenn Leberzellen vollständig zugrunde gehen, tritt AST ins Blut über. Eine Ausnahme gilt bei alkoholabhängigen Menschen: Hier ist der De-Ritis-Quotient bereits bei leichten Leberschäden erhöht, da AST bei Alkoholkranken auch aus den Muskelzellen freigesetzt wird. Bei einer chronischen alkoholischen Lebererkrankung ist der AST-Wert meist mindestens doppelt so hoch wie der ALT-Wert.
Abkürzung, Maßeinheit | Referenzbereich | Interpretation | Beeinflussende Arzneistoffe (Beispiele) |
---|---|---|---|
ALT (GPT) (U/L) AST (GOT) (U/L) | 10 bis 35 (Frau) 10 bis 50 (Mann) 10 bis 35 (Frau) 10 bis 50 (Mann) | stark erhöht bei akutem Leberzelluntergang, leicht erhöht bei chronischen Lebererkrankungen, höhere Leberspezifität von ALT | erhöht durch Paracetamol, Diclofenac, Methotrexat, Allopurinol, Amiodaron, Amoxicillin/Clavulansäure, Haloperidol, Phenytoin, Valproinsäure, antiretrovirale Arzneistoffe |
AP (U/L) | 35 bis 105 (Frau) 40 bis 130 (Mann) | erhöht bei Leber- und Gallenerkrankungen, Leber- und Knochentumoren/-metastasen | erhöht durch Allopurinol, orale Kontrazeptiva, Lithium, Phenytoin, Verapamil |
GGT (γ-GT) (U/L) | < 40 (Frau) < 60 (Mann) | erhöht bei Alkoholismus und Cholestase | erhöht durch Enzyminduktoren, zum Beispiel Carbamazepin, Benzodiazepine, trizyklische Antidepressiva, Phenytoin, Thiazide |
Bilirubin (gesamt) (mg/dL) | 0,1 bis 1,1 | erhöht bei vielen Leber- und Gallenerkrankungen, zum Beispiel Hepatitis, Leberzirrhose, Cholestase | siehe ALT/AST |
Albumin (g/dL) | 3,5 bis 5,0 | erniedrigt zum Beispiel bei Hepatitis, Leberzirrhose, Proteinverlust, Mangelernährung | wichtig bei stark proteingebundenen Arzneistoffen, zum Beispiel Phenytoin, Phenprocoumon |
INR | 0,9 bis 1,2 | erhöht bei Leberzirrhose | erhöht durch Antikoagulanzien, erniedrigt durch Beta-Lactam-Antibiotika, Antikonvulsiva |
ALT und AST kommen nicht nur in Hepatozyten, sondern auch in anderen Zellen des Körpers vor. Die ALT ist spezifischer für Lebererkrankungen als die AST. Eine Erhöhung des AST-Werts ohne Erhöhung des ALT-Werts ist eher mit kardialen oder muskulären Erkrankungen assoziiert. Ein Beispiel: Bei einem Herz- oder Skelettmuskelschaden ist der AST/ALT-Quotient größer als 1, weil in Muskelzellen wesentlich mehr AST als ALT enthalten ist. Beobachtet man bei bekanntem Muskelschaden einen niedrigen Quotienten, spricht das für einen zusätzlichen Leberschaden. Beide Werte können auch während cholestatischer Beschwerden erhöht sein.
--> ALT: höhere Leberspezifität, Freisetzung bei leichten Leberschäden
--> AST: höhere Muskelspezifität, Freisetzung bei schweren Leber- schäden
Bei der Interpretation der Transaminasen-Werte ist zu berücksichtigen, dass viele Arzneistoffe die Enzymaktivität erhöhen können (Tabelle 1) (4, 6).
Alkalische Phosphatase
Ein weiteres Enzym der Leber ist die alkalische Phosphatase (AP), die in nahezu allen Geweben vorkommt. Der Name bezieht sich auf eine Gruppe von Enzymen, deren physiologische Funktion bis heute nicht genau geklärt ist. Bei Erwachsenen werden etwa 80 Prozent der Plasma-AP in der Leber und in den Knochen produziert. Die Enzymaktivität hängt vom Alter ab. Aufgrund einer erhöhten Produktion im Knochen liegt diese in der Wachstumsphase etwa dreimal so hoch wie beim Erwachsenen. Ein erhöhter AP-Wert ist auch in der Schwangerschaft wegen der gesteigerten AP-Produktion in der Plazenta festzustellen.
Von einer Erhöhung der alkalischen Phosphatase kann nicht direkt auf eine hepatische Dysfunktion geschlossen werden. 75 Prozent der Patienten mit einer Cholestase zeigen zwar eine Erhöhung um etwa das Vierfache, jedoch kann diese auch auf raumfordernden Leber- und Knochenerkrankungen beruhen. Die Aktivität der AP dient daher eher zur Erkennung von Tumoren und dem Ausmaß einer Metastasierung in Knochen und Leber. Die Unterscheidung, ob eine Erhöhung auf einer Leber- oder Knochenschädigung beruht, ist mit der γ-Glutamyltransferase-Aktivität möglich. Bei einer Knochenerkrankung liegt diese im Normbereich.
--> Alkalische Phosphatase: erhöht bei Cholestase, Leber- und Knochenerkrankungen
ALT und AST | AP | γ-GT | mögliche Ursache |
---|---|---|---|
+ | Schwangerschaft, nicht-hepatische Ursache | ||
0/+ | ++ | +++ | Cholestase |
+++ | + | + | hepatische Ursache |
0/+ | ++ | Alkoholismus |
Gamma-Glutamyltransferase
Ein weiteres wichtiges Enzym ist die membrangebundene Gamma-Glutamyltransferase (γ-GT), die schon bei geringen Leberschäden freigesetzt wird. Der γ-GT-Wert ist relativ unspezifisch, da das Enzym auch in vielen anderen Geweben, zum Beispiel Niere, Pankreas, Milz und Herz, vorkommt. Eine Erhöhung des Werts tritt außer bei Alkoholabusus und Cholestase auch bei vielen anderen Erkrankungen auf. Manche Arzneistoffe können ebenfalls den γ-GT-Wert beeinflussen (Tabelle 1).
Chronischer Alkoholabusus steigert die Synthese der γ-GT. Chronisch Alkoholkranke haben daher dauerhaft erhöhte Werte. In Abhängigkeit vom Alkoholkonsum kann die Aktivität 2- bis 3-fach über dem Referenzbereich liegen. Die ALT-Aktivität ist leicht erhöht, die AST häufig deutlich oberhalb des Grenzwerts. Damit liegt der De-Ritis-Quotient über 2. Die AP-Aktivität bleibt normal. Wenn Alkoholkranke sich einem Entzug unterziehen, normalisiert sich der γ-GT-Wert nach etwa fünf Wochen, falls keine Leberschädigung vorliegt. Der γ-GT-Wert kann also auch zur Kontrolle einer Alkoholabstinenz beitragen.
--> γ-Glutamyltransferase: erhöht bei Cholestase und Alkoholismus (Enzyminduktion)
Aus den genannten Gründen empfiehlt es sich, Leberenzymwerte immer in Kombination zu interpretieren (Tabelle 2).
Bilirubin
Ein nicht-enzymatischer Leberwert ist die Konzentration an Bilirubin, das seinen Ursprung im Hämoglobin der Erythrozyten hat. Diese werden am Ende ihres Lebenszyklus in die Milz aufgenommen und abgebaut. Das freigesetzte Hämoglobin wird dort direkt zu unkonjugiertem Bilirubin metabolisiert. Wegen seiner schlechten Wasserlöslichkeit wird Bilirubin an Albumin gekoppelt zur Leber transportiert. Dort wird es durch die UDP-Glucuronosyltransferase kovalent an Glucuronsäure gekoppelt und es entstehen wasserlösliche Bilirubinglucuronide. Diese werden über die Galle in den Darm sezerniert, wo Bilirubin weiter zu Urobilinogen metabolisiert wird. Urobilinogen wird im terminalen Ileum teilweise rückresorbiert und über die Niere ausgeschieden. Das restliche Bilirubin, Urobilinogen und verschiedene andere Abbauprodukte werden über die Fäzes ausgeschieden und verleihen diesen ihre braune Farbe.
Bilirubin (gesamt) | Bilirubin (direkt) | Bilirubin (indirekt) | ALT, AST | γ-GT, AP | mögliche Ursache |
---|---|---|---|---|---|
++ | ++ | Hämolyse, Morbus Meulengracht, neonataler Ikterus | |||
++ | ++ | ++ | +++ | + | Lebererkrankungen |
++ | ++ | + | 0/+ | +++ | Cholestase |
Der Gesamtbilirubin-Wert setzt sich aus dem konjugierten und dem unkonjugierten Bilirubin zusammen und lässt sich in der sogenannten Van-den-Bergh-Reaktion nachweisen. Dabei reagiert Bilirubin mit Diazo-Sulfanilsäure zum violetten Azobilirubin. Konjugiertes Bilirubin reagiert wegen seiner Wasserlöslichkeit sehr schnell und wird daher als direktes Bilirubin bezeichnet. Unkonjugiertes Bilirubin muss im Test erst durch Lösungsmittel aufgeschlossen werden und wird daher als indirektes Bilirubin bezeichnet.
Das auffälligste und bekannteste Symptom einer Hyperbilirubinämie ist die Gelbfärbung der Haut (Ikterus). Eine Erhöhung des Gesamtbilirubin-Werts ist kein sensitiver Indikator für eine hepatische Dysfunktion und kann auch bei anderen Erkrankungen, zum Beispiel bei Hämolyse oder ineffektiver Erythropoese, auftreten.
Vier Tage alter Säugling mit Gelbsucht (Neugeborenen-Ikterus); die Bilirubin-Konzentration wird photometrisch erfasst.
Foto: Superbild
Die unkonjugierte Hyperbilirubinämie kann aus einer übermäßigen Produktion von Bilirubin extrahepatisch oder einer verringerten Aufnahme und Konjugation in der Leber resultieren. Meist ist eine erhöhte Hämolyse die Ursache. Bei Neugeborenen kann sich nach der Geburt der bekannte neonatale Ikterus entwickeln. In den ersten fünf bis sieben Tagen nach der Geburt ist ein steter Anstieg des unkonjugierten Bilirubins normal und meist ohne klinische Relevanz. Wird dieses allerdings nicht wieder abgebaut, kann es teilweise zu irreversiblen Nervenzellschädigungen kommen. Die Therapie beinhaltet eine Bestrahlung mit blau-grünem Licht der Wellenlänge 430 bis 490 nm. Dabei wird das unkonjugierte Bilirubin photochemisch in wasserlösliche Derivate umgewandelt. Der Schwellenwert für eine Phototherapie bei unkomplizierten Fällen liegt ab einem Lebensalter von 72 Stunden bei 20 mg/dL. Werden Neugeborene mit Bilirubin-Serumspitzenwerten zwischen 25 und 30 mg/dL rasch mit einer Phototherapie behandelt, zeigen sie keine neurologischen Auffälligkeiten (2).
Von einer konjugierten Hyperbilirubinämie spricht man, wenn mehr als 50 Prozent des Gesamtbilirubins glucuronidiert vorliegen. Bei einem Verschluss des Gallengangs (extrahepatische Cholestase) kommt es zu einem Rückstau der Gallenflüssigkeit und damit zu einem erhöhten Druck auf die Hepatozyten und Gallenkanälchen (Kanalikuli). Das konjugierte Bilirubin kann nicht mehr so gut in die Gallenflüssigkeit abgegeben werden und gelangt ins Blut. Der Überschuss an konjugiertem Bilirubin im Blut wird dann über die Niere ausgeschieden und färbt den Urin braun. Die konjugierte Hyperbilirubinämie ist meist assoziiert mit einer Erhöhung der hepatischen Enzyme (AST, ALT und γ-GT) und deutet auf eine hepatobiliäre Erkrankung hin. Auch die Bilirubinwerte sollten daher stets im Kontext mit anderen Leberwerten interpretiert werden (Tabelle 3).
--> Bilirubin: erhöht bei Cholestase (vor allem direktes Bilirubin), Lebererkrankungen und Hämolyse (vor allem indirektes Bilirubin)
Albumin
Ein weiterer wichtiger Leberwert ist die Konzentration des Plasmaproteins Albumin, das in der Leber synthetisiert wird. Daher kann eine erniedrigte Albuminkonzentration im Plasma (Hypoalbuminämie) auf eine verminderte Syntheseleistung der Leber hindeuten. Albumin (Normalwert: 3,5 bis 5,0 g/dL) ist beteiligt an der Aufrechterhaltung des osmotischen Drucks des Blutes und transportiert und bindet verschiedene Hormone, Arzneistoffe und Fettsäuren. Bei stark proteingebundenen Arzneistoffen ist der Albuminwert für deren Pharmakokinetik relevant.
Frau Beyer, 45 Jahre alt, legt in der Apotheke ein Rezept über Diclofenac 50 mg vor, das sie wegen einer neu diagnostizierten rheumatoiden Arthritis verordnet bekommen hat. Zwei Wochen später kommt sie erneut in die Apotheke und klagt darüber, dass sie sich schlapp fühlt. Dem Apotheker fällt eine leicht gelbliche Hautfärbung auf. Er bietet ihr an, ihre Leberwerte (Bilirubin, γ-GT, ALT, AST und AP) zu messen.
Eine Leberschädigung oder eine Cholestase liegen aus Sicht des Apothekers nicht vor, da die Werte der Transaminasen und der AP im Referenzbereich liegen. Der γ-GT-Wert ist nur sehr leicht erhöht. Der Apotheker schickt die Patientin zum Arzt, der das direkte Bilirubin und den Hämatokrit ermittelt. Letzterer gibt den Volumenanteil der zellulären Bestandteile des Blutes an.
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Parameter | Ergebnis | Referenzbereich |
Bilirubin (mg/dL) | 2,3* | 0,1 bis 1,1 |
γ-GT (U/L) | 44* | < 40 |
ALT (U/L) | 17 | 10 bis 35 |
AST (U/L) | 13 | 10 bis 35 |
AP (U/L) | 40 | 35 bis 105 |
Direktes Bilirubin (mg/dL) | 0,3 | 0 bis 0,4 |
Hämatokrit (%) | 27* | 36 bis 45 |
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Die erhöhte Gesamt-Bilirubinkonzentration hat ihre Ursache nicht in der Leber (direktes Bilirubin im Referenzbereich), sondern in einer erhöhten indirekten Bilirubinkonzentration, die auf einen vermehrten Abbau des Hämoglobins aus Erythrozyten hinweist. Vermutlich liegt eine hämolytische Anämie vor, eine unerwünschte Wirkung von Diclofenac. Der erniedrigte Hämatokrit-Wert bestätigt diese Annahme.
Anmerkung: Wäre der Hämatokrit-Wert im Normbereich, könnte auch ein Morbus Meulengracht vorliegen. Bei dieser Krankheit ist die Aktivität der UDP-Glucuronosyltransferase durch einen genetischen Polymorphismus herabgesetzt.
Eine fortschreitende Schädigung der Leber mit Beeinträchtigung der synthetisierenden Zellen äußert sich erst verzögert in der Plasma-Albumin-Konzentration, da die Halbwertszeit des Plasmaproteins etwa 20 Tage beträgt. Daher ändert sich bei akuten kurzfristigen hepatischen Erkrankungen wie viraler Hepatitis oder hepatotoxischen Arzneistoffwirkungen die Albuminkonzentration meist nicht. Sie ist aber häufig reduziert bei chronischen Lebererkrankungen und deutet auf einen erheblichen Leberschaden hin. Es gibt aber auch andere Ursachen für eine reduzierte Konzentration von Albumin im Plasma. Hier sind vor allem eine Proteinurie (zum Beispiel bei fortgeschrittenem Diabetes mellitus) und Mangelernährung zu nennen.
Bei sehr niedrigen Albuminkonzentrationen (2 bis 2,5 g/dL) tritt vermehrt Flüssigkeit ins Gewebe aus, da Albumin durch seine osmotischen Eigenschaften Wasser im Gefäßsystem hält.
Parameter | 1 Punkt | 2 Punkte | 3 Punkte |
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Grad der Enzephalopathie | - | I bis II | III bis IV |
Aszites | - | leicht | mittelgradig |
Bilirubin (mg/dL) | < 2 | 2 bis 3 | > 3 |
Albumin (g/dL) | > 3,5 | 2,8 bis 3,5 | < 2,8 |
INR | < 1,7 | 1,7 bis 2,2 | > 2,2 |
International Normalized Ratio (INR)
Weniger bekannt ist, dass auch das International Normalized Ratio (INR) zur Beurteilung des Ausmaßes einer chronischen Leberdysfunktion hilfreich sein kann. Der INR-Wert (früher Quickwert) wird vor allem als Maß für die Funktion des extrinsischen Blutgerinnungssystems und zum Monitoring einer antikoagulativen Therapie (zum Beispiel mit Phenprocoumon) genutzt.
Der INR-Wert hängt von zwei Faktoren ab: von der Leber, die die Gerinnungsfaktoren synthetisiert, und von Vitamin K, das als Kofaktor zur Aktivierung der Gerinnungsfaktoren nötig ist. Ein Mangel an Vitamin K oder eine Schädigung der Leber verlangsamen daher die Blutgerinnung und erhöhen den INR-Wert. Tritt keine Verbesserung durch Vitamin-K-Substitution ein, kann dies ein Zeichen für eine Leberschädigung sein.
Da die Leber Gerinnungsfaktoren im Überschuss produziert, führt nur eine substanzielle Organschädigung (Verlust von etwa 80 Prozent der Syntheseleistung) zu einer Erhöhung des INR. Leberschäden können sich innerhalb von 24 Stunden auf den INR-Wert auswirken. Dies hängt mit der kurzen Halbwertszeit einiger Gerinnungsfaktoren zusammen. Damit reagiert der INR-Wert schneller auf eine Schädigung der Leber als die Albuminkonzentration. Mit dem INR-Wert kann auch die Blutungsneigung von Patienten mit Leberinsuffizienz abgeschätzt werden. Ein höherer Wert spricht für eine verlangsamte Blutgerinnung.
Arzneistoffgruppe | Arzneistoffe |
---|---|
Analgetika | Morphin, Pentazocin |
Antianginosa | Isosorbiddinitrat, Nitroglycerin |
Antidepressiva | Dibenzepin, Doxepin, Imipramin, Mianserin, Sertralin, Trimipramin, Venlafaxin |
Antihistaminika | Promethazin |
Antineoplastika und Immunsuppressiva | Ciclosporin, Mercaptopurin, Tacrolimus |
Antiparkinsonmittel | Bromocriptin, Selegilin |
Antipsychotika | Chlorpromazin, Quetiapin, Perphenazin |
Betablocker | Metoprolol, Propranolol |
Calciumkanalblocker | Nicardipin, Verapamil |
Hypnosedativa, Anxiolytika | Buspiron, Clomethiazol, Zaleplon |
Migränetherapeutika | Sumatriptan |
Phosphodiesterasehemmer | Sildenafil |
Statine | Fluvastatin, Lovastatin |
Child-Pugh-Score
Da keiner der genannten Leberwerte alleine zur Quantifizierung einer Leberfunktionsstörung geeignet ist, werden häufig Klassifikationssysteme verwendet. Am bekanntesten ist der Child-Pugh-Score (Tabelle 4), der verschiedene Parameter und Symptome betrachtet und eigentlich zur Stadieneinteilung einer Leberzirrhose entwickelt wurde. In einigen Fachinformationen findet man Hinweise zur Pharmakokinetik des Arzneistoffs und zur Dosierung bei Patienten mit Leberdysfunktion, die sich am Child-Pugh-Score orientieren. Jedoch kann man mit keinem der bekannten Leberwerte die verbleibende Metabolisierungsleistung eines leberinsuffizienten Patienten verlässlich vorhersagen, auch nicht mit dem Child-Pugh-Score (7).
Pharmakokinetik bei Leberdysfunktion
Die Leber ist neben der Niere das wichtigste Eliminationsorgan unseres Körpers. Die hepatische Clearance (CLH), das heißt die hepatische Eliminationsleistung für einen bestimmten Arzneistoff, hängt ab
Von hoher hepatischer Clearance spricht man, wenn mehr als 70 Prozent des Arzneistoffs während einer Passage durch die Leber eliminiert werden. Dann wird die hepatische Clearance fast ausschließlich durch den Blutfluss bestimmt. Diese »High Extraction Drugs« (Tabelle 5) werden schon bei der ersten Leberpassage stark metabolisiert (First-Pass-Effekt) und haben deshalb eine geringe Bioverfügbarkeit nach peroraler Applikation. Bei lebergesunden Patienten werden sie relativ hoch dosiert, um die präsystemische Inaktivierung durch den First-Pass-Effekt auszugleichen.
Bei einer Leberzirrhose kommt es zur spontanen Ausbildung von Gefäßen zur Umgehung der Leber, sogenannten portosystemischen Shunts, die das Blut um die Leber herumführen. Die Folge ist, dass bei der ersten Leberpassage weniger Substanz eliminiert wird und der Arzneistoff den Blutkreislauf in höheren Konzentrationen direkt erreicht. Daneben produziert eine geschädigte Leber weniger Enzyme, was die Metabolisierungsleistung reduziert. Beides hat zur Folge, dass bei Patienten mit Leberzirrhose die Bioverfügbarkeit von High Extraction Drugs bis auf das 10-Fache ansteigen und zu toxischen Arzneimittelwirkungen führen kann (8) (Grafik, Kurve links).
Arzneistoffe, bei denen weniger als 30 Prozent während einer Passage durch die Leber eliminiert werden, heißen »Low Extraction Drugs«. Die hepatische Clearance wird hier durch die Kapazität an metabolisierenden Enzymen bestimmt. Die Bioverfügbarkeit dieser Arzneistoffe ist bei Patienten mit Leberzirrhose im Wesentlichen unverändert, die Elimination jedoch verlangsamt (9) (Grafik, Kurve rechts).
Dosisanpassung
Aus den Veränderungen der Pharmakokinetik bei Leberdysfunktion ergibt sich, dass High Extraction Drugs bei diesen Patienten besonders kritisch sind und nach Möglichkeit vermieden werden sollten. Dies gilt vor allem dann, wenn sie eine geringe therapeutische Breite haben.
Ist dies nicht möglich, muss die Initialdosis für die perorale Therapie abhängig von der hepatischen Extraktion reduziert werden: je nach Arzneistoff auf 25 bis 50 Prozent der Standarddosis. Dies gilt zum Beispiel für Propranolol, das bei Leberzirrhose oft zur Prophylaxe von Varizenblutungen eingesetzt wird. Hier sollten Initialdosen von 5 bis 10 mg nicht überschritten werden. Da die Organdurchblutung bei Patienten mit Leberzirrhose in der Regel ebenfalls beeinträchtigt ist, ist bei High Extraction Drugs auch die hepatische Clearance reduziert. Deshalb müssen neben den Initial- besonders auch die Erhaltungsdosen halbiert werden, unabhängig davon, ob die Verabreichung peroral oder parenteral erfolgt.
High Extraction Drugs:
Im Gegensatz dazu kann bei Low Extraction Drugs eine unveränderte Initialdosis verabreicht werden. Die Erhaltungsdosis muss in der Regel etwa halbiert werden.
Low Extraction Drugs:
Wichtig ist, dass Arzt und Apotheker die Wirkung der Arzneistoffe nach Gabe reduzierter Dosen besonders engmaschig überwachen. Welche Parameter dazu geeignet sind, hängt von der Pharmakodynamik des Arzneistoffs ab. Bei kardial wirksamen Arzneistoffen eignet sich häufig der Blutdruck oder Puls. Treten weder erwünschte noch unerwünschte Wirkungen auf, wird die Dosis schrittweise erhöht, bis die erwünschte Wirkung erzielt wird (Dosistitration). Beim Auftreten unerwünschter Wirkungen wird die Dosis gesenkt. Dieses Dosierungsprinzip wird häufig als »start low, go slow« bezeichnet.
Herr Dietrich, 36 Jahre alt, löst in der Apotheke ein Rezept über ein Zaleplon-Präparat ein, das er kurzfristig zur Behandlung seiner psychisch bedingten Schlafstörungen anwenden soll. Zaleplon ist ein High Extraction Drug und kann zur Erhöhung der Leberenzyme führen. Da die Apothekerin weiß, dass der Patient früher ein Alkoholproblem hatte, bietet sie ihm an, seine Leberwerte in der Apotheke zu kontrollieren.
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Parameter | Ergebnis | Referenzbereich |
γ-GT (U/L) | 380* | < 60 |
ALT (U/L) | 60* | 10 bis 50 |
AST (U/L) | 180* | 10 bis 50 |
AP (U/L) | 112 | 40 bis 130 |
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Die Leberenzymwerte sind stark erhöht. Vor allem die deutliche Erhöhung der AST deutet auf einen erheblichen Leberschaden hin (De-Ritis-Quotient > 2). Auch der γ-GT-Wert ist deutlich erhöht, was auf eine Schädigung der Leber hinweist. Die Apothekerin vermutet, dass bereits eine Leberzirrhose vorliegt und weist den Patienten auf das Problem hin. Im Telefonat mit dem Arzt stellt dieser die Verordnung auf Zolpidem, ein Low Extraction Drug, um. Die Ursache für die veränderten Leberwerte ist damit aber noch nicht geklärt. Nach einem eindringlichen Gespräch gibt der Patient zu, jeden Tag ein Glas Wodka zu trinken. Er verspricht, auf den Alkohol zu verzichten. Die Leberwerte normalisieren sich innerhalb von drei Wochen. Modifiziert nach (5)
Fazit
Die Bestimmung der Leberwerte spielt eine große Rolle bei der Diagnose und Verlaufskontrolle von Lebererkrankungen sowie zur Erkennung hepatotoxischer Arzneistoffwirkungen. Sie eignen sich jedoch nicht zur Dosisanpassung bei Leberdysfunktion. Bei diesem Patienten sind Substanzen mit hoher hepatischer Extraktionsrate (High Extraction Drugs) besonders kritisch, da deren Bioverfügbarkeit deutlich ansteigen kann. Bei Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion sollten diese Arzneistoffe äußerst zurückhaltend eingesetzt und besonders vorsichtig dosiert werden. Ein engmaschiges Monitoring ist ein wesentlicher Beitrag zur Arzneimitteltherapiesicherheit bei Patienten mit Leberdysfunktion. /
Literatur
Ulrich Jaehde erhielt nach dem Pharmaziestudium an der Freien Universität Berlin 1985 die Approbation als Apotheker und wurde 1989 promoviert. Nach einem Forschungsaufenthalt an der Universität Leiden (Niederlande) schlossen sich Tätigkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Assistent für Klinische Pharmazie an der Freien Universität Berlin an. Seit 1999 ist er Professor für Klinische Pharmazie in Bonn und beschäftigt sich seitdem mit der Therapieindividualisierung in der Onkologie sowie der Arzneimitteltherapiesicherheit bei geriatrischen und onkologischen Patienten. Seit 2002 ist er Vorsitzender der Regionalgruppe Rheinland der DPhG – Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft. Jaehde ist Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesapothekerkammer sowie der Arzneimittelkommissionen der deutschen Ärzteschaft und der Apotheker.
Navin Sarin studierte Pharmazie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und absolvierte das Praktische Jahr bei der Animal Health Division der Bayer HealthCare AG, Monheim, und in der Adler-Apotheke in Köln. Seit der Approbation im Mai 2011 arbeitet er an seiner Dissertation im Bereich Klinische Pharmazie der Universität Bonn. Im September 2011 begann er die Weiterbildung zum Fachapotheker für Arzneimittelinformation.
Für die Verfasser: Professor Dr. Ulrich Jaehde, Pharmazeutisches Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms- Universität Bonn, Klinische Pharmazie, An der Immenburg 4, 53121 Bonn E-Mail: u.jaehde(at)uni-bonn.de