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Arzneimittelmissbrauch

Idioten-TEST im Internet

15.02.2011  16:50 Uhr

T wie Testosteron, E wie Epoetin, S wie Somatotropin und T wie Tribulus Terrestris: Einen Test mit weitgehend illegal im Internet angebotenen Hormonpräparaten finden erschreckend viele Otto Normalverbraucher offenbar weder ungewöhnlich noch bedenklich. Angesichts der überhöhten Preise, der oftmals schlechten Qualität und vor allem der immensen Gesundheitsrisiken stellt sich die Frage, ob sie noch ganz bei Sinnen sind.

»Ich bin 17 Jahre und wiege 65 kg. Ich gehe regelmäßig ins Fitnessstudio, aber ohne Erfolg. Deshalb hab ich mich entschieden, Anabolika oder dergleichen zu nehmen. Wenn einer einen Tipp hat, dann bitte posten.« So eine Anfrage in einem Internetforum ist keine Seltenheit. »Sie können sich in den kühnsten Träumen nicht vorstellen, was in der Bodybuilding-Szene abgeht«, sagte Professor Dr. Ulrike Holzgrabe von der Universität Würzburg. Selbstverständlich gebe es für Testosteron zum Beispiel auch medizinische Indikationen, etwa beim männlichen Hypogonadismus. Auch viele andere Androgene seien zunächst im besten Sinne einer Therapie entwickelt worden. Karriere machten sie jedoch als missbräuchlich eingesetzte Substanzen.

Ein Beispiel dafür ist Stanozol, ein durch Alkylierung entstandenes, metabolisch stabileres und oral applizierbares Tes­tosteron-Derivat. Der Sprinter Ben John­son hat es damit zu Weltrekord und Do­pingsperre gebracht. »Das am häufigs­ten missbrauchte Anabolikum ist Metan­dienon«, informierte Holzgrabe. Es be­sitzt eine geringere Affinität zum sexual­hormonbindenden Globulin (SHBG), dem Transportprotein der Sexualhor­mone. Da nur der ungebundene Anteil in den Ziel­or­ganen aktiv werden kann, hat SHBG ei­nen hemmenden Einfluss auf die Wir­kung von Sexualhormonen. »Im Falle von Metandienon ist der frei vorliegende An­teil größer als bei Testosteron«, so Holzgrabe.

 

Wie bei allen anderen Anabolika werden die Zunahme an Skelettmuskelmasse und die Abnahme des Körperfettanteils mit Nebenwirkungen wie Akne, Haarverlust, geschrumpfte Hoden, Abfall der Spermiogenese, Brustbildung bei Männern beziehungsweise Virilisierung bei Frauen teuer erkauft. Holzgrabe wies zudem ausdrücklich auf das erhöhte Risiko von Leberschäden hin. Diese Nebenwirkungen sind auch bei Androstendion möglich, das in den USA ein beliebtes Nahrungsergänzungsmittel ist, obwohl es nachgewiesenermaßen die sportliche Leistung nicht steigert. Holz­grabe machte damit deutlich, dass die angebotenen Substanzen in ihrer Struktur zwar sehr ähnlich sind, aber durchaus ganz unterschiedliche Wirkungen zeigen können. Dihydroepiandrosteron (DHEA) ist ein Prohormon, das als Zwischenprodukt in der Biosynthese von Testosteron entsteht. Auch diese Substanz ist – falls lieferbar – als Anti-Agingmittel oder zur Verbesserung erektiler Dysfunktion zu haben. »Nichts davon kann durch Studienergebnisse bisher belegt werden«, sagte Holzgrabe.

»Sie können sich in den kühnsten Träumen nicht vorstellen, was in der Bodybuilding-Szene abgeht.«

Die Apothekerin kritisierte, dass im Internet ganz bewusst mit dem Unwissen der Anwender gespielt werde. So werde beispielsweise vorgegaukelt, dass sogenannte Testosteron-Booster die körpereigene Testosteron-Produktion erhöhen, was gesünder sei als die externe Testosteron-Gabe. Ob von außen oder körpereigen: »Testosteron ist und bleibt Testosteron«, stellte die Referentin klar. Zudem stimme die Aussage häufig nicht einmal. Ein Präparat enthalte zum Beispiel den irreversiblen Aromatase-Hemmer Dianestrozol. Dieser verhindert den Abbau von Testosteron, kann die körpereigene Produktion aber nicht steigern. Zur Gruppe der Aromatase-Inhibitoren gehören auch Nahrungsergänzungsmittel, die Tribulus Terrestris (Erd-Burzeldorn) enthalten. Auch in diesem Fall ist Holzgrabe zufolge die Wirkung nicht belegt.

 

Auch Somatotropin, das endogene menschliche Wachstumshormon, wird zum Aufbau und zur Steigerung von Muskelmasse genutzt und entsprechend im Internet gehandelt. Auch Darreichungsformen zur oralen Einnahme sind dabei zu erwerben. Wie das Polypeptid dabei die Magen-Darm-Passage überstehen soll, bleibt wohl das Geheimnis des Herstellers. Die ausbleibende Wirkung richtet zumindest keinen Schaden an. Anders sieht es in einem anderen Fallbeispiel aus: Holzgrabe berichtete von einer Warnung der Zollfahndung vor total gefälschten Produkten, die anstelle von Somatotropin ein Corticoid enthielten. Bei weiteren Fälschungen stehen andere Qualitätsmängel im Vordergrund, besonders bei zu injizierenden Produkten. Blutvergiftungen, Methanolvergiftungen und Abszesse an der Injektionsstelle können die Folge sein. »Besonders häufig werden Lifestyle-Medikamente gefälscht«, erklärte Holzgrabe. Ganz oben auf der Liste ständen unter anderem Anabolika, Somatotropin und Epoetin-Präparate. Das Gros seiner Kunden rekrutiere der gewaltige Internet-Schwarzmarkt nicht im Leistungssport, sondern bei Otto Normalverbraucher, etwa bei Hobbysportlern, Bodybuildern oder Türstehern. »Der Anabolikamissbrauch ist von einem Ärgernis im Sport zu einem Problem in Gesellschaft und öffentlichem Gesundheitswesen geworden«, zitierte Holzgrabe aus dem Fachmagazin »Lancet« und pflichtete dem Autorenteam um Professor Dr. Folke Sjöqvist bei.

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