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Nicht-virale Genfähren

Bioabbaubare Polymere als Transporter ins Zellinnere

25.01.2008  14:14 Uhr

Nicht-virale Genfähren

Bioabbaubare Polymere als Transporter ins Zellinnere

Von Miriam Breunig, Uta Lungwitz und Achim Göpferich

 

Ein zentraler Punkt bei der Gentherapie ist die Einschleusung genetischen Materials in fremde Zellen. Dafür gibt es diverse Vehikel. Die pharmazeutischen Technologen an der Universität Regensburg haben sich zum Ziel gesetzt, sichere und effiziente Genfähren zu konstruieren. Im Fokus stehen dabei bioabbaubare Polymere.

 

In die Gentherapie werden seit Ende der 1980er-Jahre große Erwartungen gesetzt, Behandlungsmethoden gegen schwerste Erkrankungen des Menschen zu finden. Entgegen der anfänglichen Hoffnung auf rasche Umsetzung erfordert das vielversprechende Konzept jedoch noch viel Forschungsarbeit.

 

Unter Gentherapie versteht man das Einbringen von Genen mithilfe geeigneter Übertragungsmethoden in Gewebe oder Zellen mit dem Ziel, durch die Funktion dieser Gene therapeutischen oder präventiven Nutzen zu erlangen (1). Im Unterschied zur herkömmlichen medikamentösen Therapie wird bei der Gentherapie kein direkt wirkendes Arzneimittel verabreicht. Vielmehr sollen die Körperzellen durch die übertragene Nukleinsäure dazu veranlasst werden, benötigte Proteine selbst zu produzieren oder die Produktion unerwünschter Proteine zu unterbinden. Die große Bedeutung der Gentherapie ergibt sich also daraus, dass sie eine echte Kausaltherapie wäre. 

 

Gentherapie in ihrer engsten Definition bedeutet die Reparatur eines defekten Genabschnitts in der Zelle mittels homologer Rekombination, also ein gezielter Austausch der fehlerhaften Sequenz (Genkorrektur). Im weiteren Sinne umfasst Gentherapie den Ersatz defekter Gene durch funktionell intakte Kopien (Genaddition), die Inaktivierung pathogener Genprodukte, zum Beispiel mit Antisense- oder Small-interfering-RNA(siRNA)-Therapie, oder auch die indirekte Heilung von Krankheiten durch Gene, die beispielsweise für Interferone kodieren.

 

Eingriffe zur Korrektur von Gendefekten in Körperzellen (somatische Gentherapie) könnten sich nicht nur zur Behandlung monogenetisch verursachter Erbkrankheiten, zum Beispiel der Bluterkrankheit und der Mukoviszidose, sondern auch zur Therapie anderer schwerer Erkrankungen eignen. Fortschritte erhofft man sich unter anderem bei der Krebsbekämpfung, bei Infektionskrankheiten (insbesondere HIV/Aids), bei Erkrankungen des zentralen Nervensystems sowie des Herz-Kreislauf-Systems. Im Gegensatz zur somatischen Gentherapie ist der Keimbahngentransfer in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten.

 

Die ersten klinischen Gentherapie-Studien wurden Ende der 1980er-Jahre begonnen. Bis heute (1989 bis 2007) folgten mehr als 1100 Gentherapiestudien weltweit (2). Über 60 Prozent der laufenden Studien zielen auf Formen von Krebs ab, bei denen die Zusammenhänge komplex und die Krankheitsbilder individuell verschieden sind.

 

Die größte Hürde für die Gentherapie stellt derzeit die Entwicklung von Übertragungssystemen, sogenannten Genfähren oder Vektoren, dar. Man unterscheidet zwischen viralen und nicht-viralen Vektoren und nennt den Prozess des Gentransfers in Zellen dann Transduktion (mit Viren) beziehungsweise Transfektion (ohne Viren). Der Einsatz geeigneter Vektoren ist für den Behandlungserfolg ausschlaggebend. Ein Entscheidungskriterium ist beispielsweise, ob das genetische Material direkt in den Patienten eingebracht wird (In-vivo-Gentherapie) oder ob einem Patienten Zellen entnommen und diese in Zellkultur transduziert oder transfiziert werden (In-vitro-Gentherapie). Die Verfahren erfordern eine unterschiedliche Zellspezifität des Vektors. Darüber hinaus müssen solche Übertragungssysteme eine hohe Gentransfer-Effizienz haben, gepaart mit hoher Sicherheit für den Patienten und niedriger Zytotoxizität.

 

Virale Vektoren

 

Die viralen Vektoren gelten als Genfähren der ersten Stunde und werden in mehr als zwei Drittel der Klinischen Studien eingesetzt. Die nicht-viralen Genfähren können bislang bezüglich der Gentransfer-Effizienz zwar nicht mit den Viren konkurrieren, gelten aber aus unterschiedlichen Gründen als attraktive Alternative.

 

In den klinischen Studien werden bislang immer modifizierte, nicht vermehrungsfähige virale Vektoren eingesetzt, die sich hauptsächlich von Retroviren, Adenoviren, Adeno-assoziierten Viren und Pockenviren ableiten. Bei diesen Vektoren werden die zur Replikation notwendigen Abschnitte im Virusgenom entfernt und durch das therapeutische Gen ersetzt. Die Vektoren werden anschließend in sogenannten Verpackungszelllinien vermehrt. Virale Vektoren eignen sich für den Gentransfer hervorragend, weil sie darauf spezialisiert sind, bestimmte Zelltypen zu infizieren, sich also an diese anzuheften und ihr Erbgut samt Fracht effizient ins Zellinnere zu bringen.

 

Bei etwa einem Viertel der Gentherapie-Studien kommen Retroviren zum Einsatz. Das Genom dieser RNA-Viren wird in der Zelle in DNA umgeschrieben, mehr oder weniger zufällig dauerhaft in das Genom der transduzierten Zellen integriert und auf die Tochterzellen übertragen. Daher sind Retroviren der derzeit beste Ansatz, um monogenetische Erbkrankheiten dauerhaft zu heilen.

 

Innerhalb der Retroviren kennt man solche, die vor allem in Teilung befindliche Zellen transduzieren, beispielsweise Vektoren auf Basis der murinen Leukämieviren. Im Gegensatz dazu können Lentiviren, eine andere Gattung der Retroviren, ruhende Zellen wie Nervenzellen infizieren und haben daher ein potenziell breiteres Anwendungsspektrum. Adenoviren integrieren nicht in das Genom der Zelle, das therapeutische Gen ist deshalb nur für kurze Zeit aktiv. Ihr Hauptanwendungsbereich ist daher beispielsweise die Tumortherapie, bei der nur eine vorübergehende Expression des Zielgens gewünscht ist.

 

Die ersten Erfolge mit viralen Vektoren sind deutlich langsamer eingetreten als zuerst erhofft. Jedoch haben Studien gezeigt, dass die somatische Gentherapie eine brauchbare Option für einige Krankheitsbilder sein kann.

 

Leider ist der therapeutische Einsatz von Viren als Genfähren nicht unproblematisch. Bei einer Studie zur Behandlung von Severe Combined Immunodeficiency (SCID, schwerer kombinierter Immundefekt), die 1999 im Pariser Necker-Hospital durchgeführt wurde, stellte sich heraus, dass retrovirale Genvektoren durch den Einbau in das Genom zelluläre Proto-Onkogene aktiviert hatten (3). In der Folge entwickelten drei der zehn behandelten Kinder akute T-Zell-Leukämien. Dieses Krankheitsbild wird mittlerweile jedoch auch in Zusammenhang mit einer Überexpression des Zielgens gesehen. Weiterhin können bei einer Folgetherapie schwere Komplikationen aufgrund einer Immunreaktion des Körpers auf die abgeschwächten Viren auftreten (4), so im Fall eines Patienten in den USA, der 1999 mit einer hohen systemischen Dosis eines adenoviralen Vektors behandelt wurde.

 

Nicht-virale Genfähren

 

Aus all diesen Gründen ist man seit Jahren bestrebt, DNA oder gar RNA ohne Viren in eukaryontische Zellen einzubringen. In den Forschungslaboratorien sind dazu mittlerweile unterschiedliche Verfahren etabliert.

 

Neben mechanischen und physikalischen Methoden wie Mikroinjektion, Particle-Gun oder Elektroporation (5) ist die chemische Transfektion mit Lipiden (6, 7) oder Polymeren (8, 9) zu nennen. Auf diesem Weg können Plasmide, also zirkuläre doppelsträngige DNA-Moleküle (etwa 1 bis 25 Kilo-Basenpaare, Molekulargewicht über 2 bis 3 Millionen Da), oder im Fall der siRNA- oder Antisense-Therapie doppelsträngige beziehungsweise einzelsträngige, niedermolekulare RNA-Moleküle in die Zelle geschleust werden. Im Gegensatz zu den viralen Vektoren werden die nicht-viralen Übertragungssysteme derzeit noch vorwiegend in Zellkultur und im Tiermodell getestet.

 

Am Lehrstuhl für Pharmazeutische Technologie der Universität Regensburg forschen Wissenschaftler seit mehreren Jahren an der Entwicklung von polykationischen Polymeren für den nicht-viralen Gentransfer (10). Prinzip dieser Polykationen ist, dass sie mit negativ geladenen Nukleinsäuren über elektrostatische Wechselwirkung kleinste Komplexe, die sogenannten Polyplexe, bilden. Eingepackt in Polyplexe ist die Nukleinsäure auf ihrem Weg zur und innerhalb der Zelle weitgehend vor enzymatischem Abbau durch Nukleasen geschützt. Weitere Anforderungen an die Polykationen sind, wie für alle Übertragungssysteme, eine geringere Toxizität und Immunogenität und, besonders wichtig, eine hohe Gentransfer-Effizienz.

 

Bildung von PEI-Polyplexen

 

Unter den vielen bereits eingesetzten Polymeren hat sich das Polyamin Polyethylenimin, kurz PEI, aufgrund seiner einfachen Handhabung und Modifizierbarkeit als günstiges Ausgangsmaterial erwiesen (11). PEI ist sowohl mit verzweigter als auch linearer Struktur in unterschiedlichen Molekulargewichten kommerziell erhältlich. Da jedes dritte Atom ein basischer Stickstoff ist, hat PEI bei einem physiologischen pH-Wert eine hohe Dichte an positiver Ladung.

 

Durch die Zugabe eines Überschusses an Polymer zur negativ geladenen DNA bilden sich kleinste Polyplexe in einer Größenordnung von einigen hundert Nanometern, die eine positive Oberflächenladung tragen. In dem heterogenen Partikelkollektiv können sich in einem Polyplex über hundert Plasmid-DNA-Moleküle befinden. Die Größe der Polyplexe kann man durch das Verhältnis von Polymer zu Nukleinsäure und durch Variation der Elektrolytkonzentration in der Lösung technologisch steuern und mithilfe von Laserlichtstreuung messen.

 

Polyplexe werden am Lehrstuhl für Pharmazeutische Technologie in Regensburg in Zellkultur auf ihre biologische Wirksamkeit getestet. Gibt man PEI-DNA-Polyplexe beispielsweise zu CHO-Zellen (Zellen aus den Ovarien eines chinesischen Hamsters), kommt es zu unspezifischen Wechselwirkungen zwischen den positiv geladenen Partikeln und den negativ geladenen Glykoproteinen und Proteoglykanen auf der Zelloberfläche; dadurch können die Polyplexe an die Zelle andocken. Die Polyplexe werden daraufhin hauptsächlich durch Adsorptions-vermittelte Endozytose in die CHO-Zellen aufgenommen und gelangen in die Endosomen.

 

Vom Zytosol in den Zellkern

 

Damit die von dem Polymer transportierte Information von der Synthesemaschinerie der Zelle wirkungsvoll umgesetzt werden kann, muss die DNA unbeschadet durch das Zytosol in den Zellkern gelangen. Polyplexe nutzen dabei einen zelleigenen Mechanismus, nämlich den Transport der Endosomen entlang des Zytoskeletts der Zelle.

 

Bei diesem Transport in Richtung Zellkern wandeln sich die Endosomen in Lysosomen um und dabei sinkt ihr pH-Wert von 7,2 auf etwa 5,5 bis 5,0 ab. Ein Teil der Nukleinsäure wird zwar in den Lysosomen abgebaut, aber einige Polymere können diesen pH-Gradienten nutzen, um ihre Fracht ins Zytosol der Zelle freizusetzen. Die Nukleinsäure kann von dort, entweder in freier Form oder weiterhin an PEI gebunden, in den Zellkern gelangen, um dort zur Boten-RNA (mRNA) umgeschrieben zu werden. Der genaue Mechanismus ist noch nicht im Detail geklärt.

 

Diese Fähigkeit von PEI, die Nukleinsäuren aus den Lysosomen freizusetzen, liegt in seiner Struktur begründet und ist ein wichtiges Kriterium bei der Neuentwicklung von polykationischen Polymeren. Um neue Polykationen auf diese endosomolytische Kapazität zu untersuchen, nutzt man beispielsweise folgendes Testsystem. Zunächst wird die Plasmid-DNA kovalent mit einem Fluoreszenzfarbstoff, zum Beispiel Alexa Fluor 543, markiert. Die damit hergestellten Polyplexe werden mit CHO-Zellen inkubiert, deren Lysosomen mit einem andersfarbigen Fluoreszenzfarbstoff, zum Beispiel Quinacrine mustard oder LysoTracker, markiert wurden. Der Transport der Polyplexe in CHO-Zellen kann so am Konfokalen Laser Scanning Mikroskop verfolgt werden. Darüber hinaus können die Forscher anhand von Co-Lokalisationsstudien der beiden Fluoreszenzfarbstoffe eine qualitative Aussage treffen, ob und zu welchem Zeitpunkt Polyplexe aus den Lysosomen freigesetzt werden.

 

Polyplexe, die frei im Zytosol vorliegen, erscheinen als rote Punkte; die sauren Vesikel in Türkis. Befinden sich Polyplexe in den Vesikeln, wird dies durch die Mischfarbe (rot-türkis) angezeigt. Es sind sowohl Polyplexe zu sehen, die sich noch in den sauren Organellen befinden (Pfeile), als auch solche, die frei im Zytosol vorliegen (Kreis). Das Zytosol und der Zellkern sind bei einer Zelle exemplarisch gekennzeichnet.

 

PEI-Polyplexe zeichnen sich dadurch aus, dass sie aus den Lysosomen sehr gut freigesetzt werden. Dies erfolgt unter anderem nach dem »Protonen-Schwamm-Mechanismus« (12, 13). Im Endosom herrscht ein pH-Wert von etwa 7,2; hier ist nur ein Drittel der Stickstoffatome des PEI protoniert. Fällt der pH im Lysosom auf etwa 5,5 ab, kann PEI durch Protonierung der übrigen Stickstoffatome die einströmenden Protonen abpuffern. Ein nachfolgender Einstrom von Chloridanionen und Wasser führt letztendlich zum Platzen der Lysosomen und die Polyplexe werden ins Zytosol freigesetzt. Die Pufferkapazität des Polymers hat noch einen weiteren Effekt: Das pH-Optimum der lysosomalen Nukleasen wird nicht erreicht und die eingeschlossene Nukleinsäure bleibt überwiegend intakt.

 

Eine noch größere Hürde für Polyplexe ist jedoch die Aufnahme in den Zellkern, da die Membran des Zellkerns als Barriere fungiert und Material nur sehr selektiv über Kernporen aufnimmt. Arbeitet man mit Tumorzelllinien, ist die Aufnahme über Kernporen weniger problematisch, da sich Tumorzelllinien mit hoher Geschwindigkeit teilen und die Polyplexe während der Mitose in den Zellkern gelangen können. Anders ist es bei primären Zellen; diese sind direkt aus Körperflüssigkeiten oder -geweben gewonnene Explantate von vielzelligen Organismen, die bis zur ersten Passage in Kultur gehalten sind. Verwendet man ruhende oder primäre Zellen, die sich kaum noch teilen, besteht die Möglichkeit, sogenannte Kernlokalisationssequenzen an Polyplexe anzuheften. Das sind kurze, meist basische Peptidsequenzen, die einen aktiven Transport in den Zellkern erlauben und so die Menge an Plasmid-DNA im Zellkern erhöhen. Nutzen und Realisierbarkeit dieses Konzepts sind jedoch noch nicht vollständig überprüft.

 

Um den Erfolg des Gentransfers möglichst einfach und schnell bestimmen zu können, kann die eingeschleuste DNA ein sogenanntes Reportergen tragen, das von der Zielzelle beispielsweise in GFP (grün fluoreszierendes Protein, green fluorescent protein) übersetzt wird. Eine transfizierte Zelle emittiert dann, im Gegensatz zu einer nicht transfizierten, nach Bestrahlen mit Licht von 488 nm Wellenlänge grünes Licht. Mithilfe der Durchflusszytometrie (Fluoreszenz-basierte Methode zum Zählen und Analysieren von Zellen oder Partikeln in einem Flüssigkeitsstrom) ist es sehr einfach, einerseits die Gesamtzahl der Zellen und andererseits die leuchtenden und damit erfolgreich transfizierten Zellen auszuzählen.

 

Verzweigtes PEI kann je nach Polymermenge, die man für die Herstellung der Polyplexe verwendet, etwa 25 Prozent der Zellen transfizieren. Das ist ein beachtliches Ergebnis. Betrachtet man die Zellen nach dem Transfer von DNA mit verzweigtem PEI unter dem Lichtmikroskop, erkennt man allerdings den Preis, den dieses Vorgehen hat. Das Polymer ist relativ stark zytotoxisch und tötet einen großen Teil der Zellen ab.

 

Die Transfektionseffizienz und die Überlebensrate hängen von der zugesetzten PEI-Menge ab. Diese Polymermenge lässt sich im NP-Verhältnis ausdrücken, das als Anzahl der Stickstoffatome (N) im Polymer zu den Phosphatatomen (P) in der DNA definiert ist. Da immer mit einem Polymerüberschuss gearbeitet wird, ist das NP-Verhältnis größer als 1. Die Transfektionseffizienz steigt mit zunehmender Polymermenge zuerst an, sinkt dann jedoch wie die Überlebensrate mit ansteigender Polymerkonzentration ab.

 

Neue Polymere als Genfähren

 

Bisherige Anstrengungen, die Toxizität dieser Polymere zu reduzieren, haben gleichzeitig zu einem Verlust an Gentransfer-Effizienz geführt. In Regensburg wird seit einigen Jahren an der Entwicklung von neuen Materialien zum Bau von Genfähren geforscht.

 

Auf der Suche nach Alternativen wurde zuerst die Wirksamkeit von linearem PEI mit niedrigem Molekulargewicht systematisch untersucht (14-16). Polyplexe, die aus linearem PEI gebildet wurden, sind bis zu einer bestimmten Konzentration für CHO-Zellen nicht mehr toxisch, wenn das Molekulargewicht des PEI unter 5000 Da liegt. Leider geht unterhalb eines bestimmten Molekulargewichts die höhere Überlebensrate mit einer niedrigeren Gentransfer-Effizienz einher. Darüber hinaus sinkt die Komplexierungskapazität von DNA, also die Fähigkeit, kleine Polyplexe zu bilden, mit dem Molekulargewicht des linearen PEI. Somit sind die Polyplexe oft einige Mikrometer groß und werden von den Zellen nicht aufgenommen.

 

Doch man hat diese Kenntnisse genutzt, um Polymere zu entwickeln, die die Eigenschaften von verzweigtem PEI, nämlich die gute Komplexierungskapazität für DNA, und die von linearem PEI mit niedrigem Molekulargewicht, nämlich die niedrige Toxizität, vereinigen. Mit diesem Konzept ist es den Apothekern am Regensburger Institut zum ersten Mal gelungen, Trägersysteme zu entwickeln, die effizienter und weniger toxisch sind als eine Reihe handelsüblicher Transfektionsreagenzien (17, 18).

 

Dies gelang durch die Synthese von bioabbaubaren kationischen PEI. Die Polymere bestehen aus kurzen linearen PEI-Ketten, die über Disulfidbrücken quervernetzt wurden. Die Verknüpfung von niedermolekularem Ausgangsmaterial führt zu verzeigten Polymeren mit hohem Molekulargewicht, die die Nukleinsäuren gut komplexieren. Sobald die Polyplexe in der Zelle (Endosom oder Zytosol) angelangt sind, werden die Disulfidbrücken durch das intrazelluläre reduktive Milieu an den Verknüpfungsstellen durch Reduktion gespalten. Es entstehen in der Zelle wieder niedermolekulare lineare PEI-Moleküle, die für die Zellen deutlich weniger toxisch sind.

 

In verschiedenen Zelllinien wurden unterschiedliche Zusammensetzungen dieser bioabbaubaren Polymere auf ihre Effizienz, genetisches Material erfolgreich in Zellen einzuschleusen, getestet (17). Gentransfer-Experimente in HEK-Zellen (von menschlichen embryonalen Nierenzellen abgeleitete Zelllinie) führten zu einer maximalen Transfektionseffizienz von etwa 70 Prozent, ohne dabei für die Zellen toxisch zu sein. Weiterhin zeigte der Vergleich mit sieben kommerziell erhältlichen und äußerst effektiven Transfektionsreagenzien (zum Beispiel Lipofectamine® oder FuGENE®) eine deutliche Überlegenheit der bioabbaubaren Polymere. Zellen, die mit diesen Polymeren transfiziert wurden, wiesen eine 5- bis 7-fach höhere Transfektionseffizienz auf. Diese Versuche erfolgten unter solchen Bedingungen (Wahl der Transfektionsreagenz- und DNA-Menge), dass die Überlebensrate der Zellen über 90 Prozent lag.

 

Ausblick

 

Die nicht-virale Genübertragung ist ein bedeutendes und expandierendes Feld in der pharmazeutischen Forschung und Entwicklung. Noch sind solche »Trojanischen Pferde« ineffizienter und weniger zielsicher als ihr virales Pendant, doch viele Wissenschaftler arbeiten daran, den Vorsprung aufzuholen.

 

Trotz aller Verbesserungen, die bisher an nicht-viralen Systemen vorgenommen wurden, ist man von einer klinischen Anwendung noch weit entfernt. Ein wichtiges Ziel ist die Entwicklung von Vehikeln, die sich ins Blut injizieren lassen und ihre Nukleinsäuren gezielt zu bestimmten Geweben oder Organen wie Lunge, Leber, Milz oder Knochenmark transportieren. Insbesondere die Krebsbehandlung ließe sich damit erheblich verbessern. Dazu ist es beispielsweise notwendig, die Oberflächenladung von kationischen Polyplexen mit Polyethylenglykol abzuschirmen, um eine unspezifische Interaktion mit Nicht-Zielzellen zu unterbinden. Um aber eine selektive Aufnahme durch Zielzellen zu ermöglich, ist dann eine sogenannte Targeting-Sequenz auf der Oberfläche der Polyplexe unabdingbar. Eine solche Sequenz kann beispielsweise eine Rezeptor-vermittelte zelluläre Aufnahme von Polyplexen vermitteln (19).

Literatur

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Die Autoren

Miriam Breunig studierte an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Pharmazie und erhielt Ende 2001 die Approbation als Apothekerin. In mehreren Praktika sammelte sie Erfahrungen in der pharmazeutischen Industrie. 2002 begann sie mit der Promotion am Lehrstuhl für Pharmazeutische Technologie der Universität Regensburg, die sie 2005 mit „summa cum laude” abschloss. Seit Ende 2005 arbeitet Dr. Breunig als wissenschaftliche Mitarbeiterin an diesem Lehrstuhl.

 

Uta Lungwitz studierte von 1995 bis 2000 in Regensburg Pharmazie und erhielt 2001 die Approbation. Anschließend fertigte sie am dortigen Institut für Pharmazeutische Technologie ihre Dissertation zum Thema „Polyethylenimine-derived Gene Carrier and their complexes with plasmid DNA” an. Seit eineinhalb Jahren ist Dr. Lungwitz an der Universität Odense (Dänemark) als Post-Doc tätig.

 

Achim Göpferich studierte in Heidelberg Pharmazie und erhielt 1987 die Approbation als Apotheker. Nach der Promotion 1991 arbeitete er als Stipendiat der DFG am Department of Chemical Engineering, Massachusetts Institute of Technology, Cambridge, Massachusetts/USA sowie als Gastwissenschaftler am Department of Bioengineering der Rice University in Houston/Texas. 1997 habilitierte er sich an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg für das Fach Pharmazeutische Technologie. Seit Oktober 1997 leitet er den Lehrstuhl für Pharmazeutische Technologie an der Universität Regensburg. Seit 2002 ist Professor Göpferich European Editor des European Journal of Pharmaceutics and Biopharmaceutics.

 

 

Institut für Pharmazeutische Technologie

Universität Regensburg

Universitätsstraße 31

93040 Regensburg

miriam.breunig(at)chemie.uni-regensburg.de

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