Die Antikörper kommen |
24.01.2018 10:39 Uhr |
Die Zahl an Migränepatienten hat hierzulande in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Zur Akutbehandlung stehen einige Wirkstoffe zur Verfügung. Auch zur Prophylaxe gibt es neben nicht medikamentösen Maßnahmen mehrere pharmakologische Optionen. Schon bald könnten sich diese weiter ausweiten, wenn erstmals Antikörper für diese Indikation den Apothekenmarkt erreichen.
Die Migräne ist eine Form des primären Kopfschmerzes. Die Schmerzen sind dabei häufig einseitig lokalisiert. »20 Prozent der Migränepatienten haben aber beidseitig Schmerzen«, informierte Privatdozent Dr. Charly Gaul. Der Mediziner von der Migräne- und Kopfschmerzklinik in Königstein erklärte, dass die Attacken meist zwischen 4 und 72 Stunden andauern, von Licht- und Geräuschempfindlichkeit sowie Übelkeit begleitet sind und die Beschwerden bei körperlicher Aktivität in der Regel zunehmen.
Mittel der Wahl
Foto: Shutterstock/Andrew Derr
»Eine gute Akuttherapie kann das Chronifizierungsrisiko der Migräne deutlich reduzieren«, betonte der Referent. Grundsätzlich gelte es, bei einem Anfall schnell ein Medikament einzunehmen. Mittel der ersten Wahl bei einer Migräneattacke sind laut Gaul Acetylsalicylsäure (1000 mg oral oder intravenös), Ibuprofen (200 bis 600 mg), Phenazon (1000 mg), Naproxen (500 bis 825 mg), Diclofenac-Kalium (50 bis 100 mg) oder eine Kombination aus 250 mg ASS, 200 mg Paracetamol und 50 mg Coffein.
»Auch Triptane sind effizient und sicher zur Behandlung von Migräneattacken«, betonte der Mediziner. In Deutschland seien alle sieben weltweit zugelassenen Vertreter dieser Klasse im Handel. Am schnellsten und stärksten wirkt Gaul zufolge subkutan injiziertes Sumatriptan. Dafür sei es aber auch nebenwirkungsanfälliger als die anderen Triptane. Als Mittel der zweiten Wahl in der Akutbehandlung nannte er Metamizol (1000 mg) und Paracetamol (1000 mg). Opioide hätten dagegen in der Migränetherapie nichts zu suchen.
»Bei chronischem Migränekopfschmerz benötigen die Betroffenen eine gute Prophylaxe«, so Gaul. Diese solle die Anzahl an Kopfschmerztagen sowie die Attackenschwere und -länge reduzieren und somit die Lebensqualität verbessern. Sinnvoll sei es, nicht medikamentöse Maßnahmen wie Patientenedukation, Ausdauersport und kognitive Verhaltenstherapie mit einem Arzneimittel zu kombinieren. Die Prophylaktika unterscheiden sich in ihrer Wirksamkeit laut dem Referenten nur wenig. Zum Einsatz kommen zum Beispiel Topiramat, Betablocker, Botulinumtoxin oder Candesartan. »Valproat und Flunarizin werden zur Migräneprophylaxe mittlerweile viel seltener eingesetzt als früher«, informierte Gaul. Er riet dazu, bei der Auswahl des Prophylaktikums auch die Begleiterkrankungen des Patienten zu berücksichtigen. So sei ein Betablocker bei Hypertonie günstig, bei Schlafstörungen eher ungünstig. Topiramat dagegen sei etwa bei Adipositas eher günstig, bei Depressionen und Angststörungen dafür nicht.
Antikörper zur Prophylaxe
»Die Wirksamkeit der Migräneprophylaktika ist häufig enttäuschend«, bilanzierte der Referent. Deshalb gebe es auch einen Bedarf für weitere Präparate. Diese könnten in Form von Antikörpern schon bald auf den Markt kommen. Sie schalten ein Schlüsselmolekül in der Pathophysiologie der Migräne aus, das Neuropeptid Calcitonin Gene-related Peptide (CGRP). Bei einer Migräneattacke wird CGRP ausgeschüttet und bei Patienten mit chronischer Migräne ist dessen Blutspiegel permanent erhöht. Während die Antikörper Galcanezumab, Eptinezumab und Fremanezumab CGRP im Blut binden, ist Erenumab gegen den CGRP-Rezeptor gerichtet. Gaul informierte, dass der Zulassungsantrag für den letztgenannten Antikörper eingereicht ist, und prognostizierte eine Markteinführung im Herbst 2018.
Der Referent bezeichnete die Antikörper als wirksam zur Migräneprophylaxe und hob zudem den schnellen Wirkeintritt bereits nach wenigen Tagen und die geringen Abbruchraten unter Therapie mit einem solchen Antikörper in den Studien hervor. Jedoch gebe es auch noch ein paar offene Fragen. »Langzeitdaten fehlen bisher«, so Gaul. Zudem habe CGRP möglicherweise kardiovaskuläre Effekte und eine Rolle bei der Wundheilung. Last but not least sprach der Referent auch potenzielle gastrointestinale Nebenwirkungen an.