Pille danach fällt aus der Rezeptpflicht |
14.01.2015 10:26 Uhr |
Von Stephanie Schersch / Die EU-Kommission hat vergangene Woche die Rezeptpflicht für Ellaone® aufgehoben. Diesem Beschluss will das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) folgen und neben Ulipristal-Acetat auch Levonorgestrel freigeben. Unklar ist bislang allerdings, ab wann Apotheker die Pille danach ohne Rezept abgeben dürfen.
Jahrelang steckte Deutschland fest im Streit um die Pille danach und nun geht plötzlich alles sehr schnell. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) gibt seinen Widerstand gegen eine Freigabe der Notfallkontrazeptiva auf und will eine Änderung der Arzneimittel-Verschreibungsverordnung (AMVV) auf den Weg bringen. Hintergrund ist eine Entscheidung der EU-Kommission in Brüssel. Sie stimmte vergangene Woche dafür, das Ulipristal-haltige Elllaone aus der Rezeptpflicht zu befreien und folgte damit einer Empfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur aus dem November.
Zentrale Zulassung
Ellaone ist seit 2009 auf dem Markt und in der EU zentral zugelassen. Bei solchen Präparaten sind Beschlüsse der Europäischen Kommission grundsätzlich bindend für alle 28 EU-Mitgliedstaaten. Allerdings gibt es Ausnahmen bei empfängnisverhütenden oder schwangerschaftsunterbrechenden Arzneimitteln, hier haben die Länder Spielraum: Sie können von den Vorgaben der Kommission abweichen und einen nationalen Sonderweg einschlagen.
Ratlos: Hermann Gröhe folgt dem Beschluss der EU-Kommission, die Ellaone aus der Rezeptpflicht entlassen hat. Ab wann die Freigabe in Deutschland gilt, weiß allerdings auch der Minister nicht so recht.
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Von dieser Möglichkeit will Deutschland aber keinen Gebrauch machen. Das Gesundheitsministerium kündigte kurz nach der Entscheidung aus Brüssel an, nicht nur Ulipristal, sondern auch Levonorgestrel (zum Beispiel Pidana®) aus der Verschreibungspflicht zu entlassen. Dieses Notfallverhütungsmittel gibt es in den meisten Ländern bereits heute ohne Rezept. Deutschland ist eine der wenigen Ausnahmen.
»Unser Ziel ist es, auch weiterhin eine gute Beratung für beide Präparate aus einer Hand sicherzustellen«, erklärte das Ministerium. »Da diese Beratung nun aufgrund der Brüsseler Entscheidung nicht mehr durch einen Arzt vorgenommen werden muss, ist eine qualitativ gute Beratung auch in den Apotheken der richtige Weg.«
Mit der geplanten Freigabe der beiden Präparate endet in Deutschland eine jahrelange Debatte über die Pille danach. Im Mittelpunkt der Diskussion stand dabei stets das national zugelassene Levonorgestrel. Vor allem Linkspartei und Grüne hatten zuletzt immer wieder auf eine schnelle Freigabe des Arzneimittels gedrängt. Die Union hatte stets eisern dagegen gehalten – bis jetzt.
Zeitpunkt unklar
Offen ist bislang allerdings, ab wann Frauen die Pille danach ohne Rezept in Deutschland erhalten können. Zwar wurde der EU-Beschluss zu Ellaone bereits offiziell veröffentlich und ist damit in Kraft. In Deutschland weist die AMVV das Präparat allerdings noch als rezeptpflichtig aus. Umstritten ist nun, ob zunächst die AMVV geändert werden muss oder ob der EU-Beschluss ausreicht, um die Pille danach freizugeben.
Aus Sicht der Europäischen Kommission ist die Freigabe mit der offiziellen Veröffentlichung der Entscheidung für die Mitgliedstaaten grundsätzlich bindend. Demnach ist lediglich noch eine »technische« Verzögerung möglich. Schließlich müsse der Hersteller die Apotheken zunächst über den OTC-Switch informieren, hieß es bei der Kommission. Dies werde voraussichtlich wenige Tage in Anspruch nehmen.
Die ABDA hält hingegen die AMVV für ausschlaggebend. Sie müsse zunächst geändert werden, bevor Apotheker Ellaone ohne Rezept abgeben können, sagte eine Sprecherin. Dabei verweist die ABDA auch auf die Sonderregelung für empfängnisverhütende Präparate. Die Entscheidung aus Brüssel habe demnach nicht zwingend bindende Wirkung für die Mitgliedstaaten und könne die AMVV daher nicht aushebeln.
Kein Signal aus dem BMG
Das Gesundheitsministerium hat sich bis Redaktionsschluss in dieser Frage nicht eindeutig positioniert. Dort hieß es lediglich, man wolle das deutsche Recht für Ulipristal und Levonorgestrel »schnellstmöglich anpassen«. Eine Änderung der Verschreibungsverordnung könnte jedoch mehrere Wochen in Anspruch nehmen, da bei einem solchen Schritt etwa auch der Bundesrat einbezogen werden muss. Gerüchte, wonach es eine Schnellverodnung zur Abänderung der AMVV geben könnte, wollte das Ministerium vor Redaktionsschluss nicht bestätigen.
Ob der EU-Beschluss für Ellaone auch ohne rechtliche Neuregelung in Deutschland gilt, wird im BMG derzeit geprüft. Für eine Freigabe von Levonorgestrel muss hingegen in jedem Fall die AMVV angepasst werden.
Frauen müssen künftig nicht mehr zum Arzt, wenn sie die Pille danach benötigen.
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In vielen Apotheken sorgte die Situation bereits für Verunsicherung. Vereinzelt hätten Kundinnen schon nach der rezeptfreien Pille danach gefragt, berichteten einige Apotheker. Auch der Ellaone-Hersteller HRA Pharma steht bereits in den Startlöchern. Das Unternehmen will die Apotheker möglichst bald über das Prozedere rund um den OTC-Switch informieren. Ein entsprechendes Schreiben sei bereits vorbereitet und mit dem Regierungspräsidium Arnsberg als zuständige Aufsichtsbehörde abgestimmt, sagte HRA-Deutschland-Chef Klaus Czort der PZ. Demnach sollen auch die als verschreibungspflichtig deklarierten Ellaone-Packungen in Kürze ohne Rezept abgegeben werden dürfen.
Herausschicken will der Hersteller das Schreiben jedoch erst, wenn Klarheit über den Zeitpunkt der Freigabe herrscht. »Wir warten auf ein offizielles Signal aus dem Ministerium«, sagte Czort. Die Produktion von OTC-Verpackungen laufe indes bereits an. Auf Rx-Packungen in den Beständen will HRA Pharma den Schriftzug »rezeptpflichtig« mit dem Hinweis »apothekenpflichtig« überkleben. Darüber hinaus soll es auch für Anwenderinnen der Pille danach ein Informationsschreiben geben.
Die Bundesapothekerkammer (BAK) begrüßte die geplante Freigabe. Je früher die Pille danach eingenommen werde, desto sicherer sei ihre Wirkung, sagte BAK-Präsident Andreas Kiefer. »Ohne Rezept können wir den Frauen noch schneller weiterhelfen.« In den wohnortnahen Apotheken mit ihrem flächendeckenden Notdienst erhielten Betroffene das Notfallkontrazeptivum auch nachts und an Feiertagen umgehend. »Die Apotheker werden zur rezeptfreien Pille danach kompetent beraten, um die größtmögliche Arzneimittelsicherheit zu gewährleisten und Missbrauch zu verhindern«, so Kiefer (lesen Sie dazu auch Pille danach: Wichtig für die Beratung).
Daniela Hüttemann / Passend zur Freigabe der Pille danach hat der Informationsdienstleister IMS Health Absatzzahlen der Notfall-Verhütungsmittel der vergangenen zehn Jahre in Deutschland veröffentlicht. Demnach hat sich die Abgabemenge mehr als verdoppelt: Während 2004 noch 236 100 Packungen über den HV-Tisch gingen, waren es 2013 schon 488 100 Packungen, davon 248 400 Packungen mit Levonorgestrel (Pidana®) und 239 000 Packungen mit Ulipristalacetat (Ellaone®). Früher stand nur Levonorgestrel als Notfallkontrazeption zur Verfügung. Seit seiner Zulassung 2009 wächst jedoch der Marktanteil von Ulipristalacetat, während der Absatz von Levonorgestrel wieder zurückgeht.
Nach Angaben von IMS Health empfahlen zwei gynäkologische Fachgesellschaften 2013 Ulipristalacetat als Mittel der Wahl. Stiftung Warentest und das Arznei-Telegramm ziehen dagegen weiterhin Levonorgestrel aufgrund der längeren Erfahrung mit dem Präparat vor. Zudem ist der Preis für eine Packung Ellaone fast doppelt so hoch wie der für eine Packung Levonorgestrel. /
Wie genau die Beratung in der Apotheke ablaufen soll, möchte Gesundheitsminister Gröhe gemeinsam mit Frauenärzten, Apothekern und Vertretern aus dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte festlegen. Erste Gespräche sollen am Freitag stattfinden. Am Ende sollen verbindliche Beratungskriterien stehen.
Frauenärzte sind kritisch
Die Gynäkologen äußerten allerdings bereits Zweifel am Können der Apotheker. Eine medizinisch kompetente und vertrauliche Beratung in der Apotheke sei »problematisch und in den meisten Fällen unmöglich«, heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme, die der Berufsverband der Frauenärzte, die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie die Deutsche Gesellschaft für gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin herausgegeben haben.
So gelte es zu klären, ob die Einnahme der Pille danach überhaupt notwendig ist und welches Präparat im Einzelfall das geeignete ist. Darüber hinaus müssten die Frauen über mögliche Nebenwirkungen informiert und darüber aufgeklärt werden, wie im weiteren Zyklus verhütet werden muss, um auch nach der Verschiebung des Eisprungs eine ungewollte Schwangerschaft zu verhindern, so die Verbände. Auch die Beratung über sexuell übertragbare Krankheiten dürfe nicht zu kurz kommen.
Erstattung unklar
Mit Blick auf die Freigabe der Pille danach bleiben vorerst viele Fragen offen. Ungeklärt ist auch, ob Frauen unter 20 Jahren das Notfallverhütungsmittel künftig selbst zahlen müssen. Bislang übernehmen die Krankenkassen die Kosten für sie, bei OTC-Präparaten ist eine Erstattung jedoch schwierig. Derzeit kostet Pidana pro Packung 18,33 Euro, für Ellaone werden 35,72 Euro fällig.
Die Frauenärzte warnen bereits jetzt: »Wenn junge Frauen künftig für die Pille danach in der Apotheke bezahlen müssten, würde das die Situation deutlich verschlechtern.« Teenager könnten nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr den Kauf der Pille danach aus Kostengründen scheuen, fürchten die Gynäkologen. Darüber hinaus vermuten sie, dass Frauen »neben den Kosten für das Medikament künftig auch für die Beratung zahlen müssen, während sie bisher Bestandteil des Leistungskatalogs der Krankenkassen war«. Die Ärzte verweisen dabei auf das Beispiel der Schweiz. Dort können Apotheker bei Abgabe der Pille danach eine Beratungsgebühr erheben. /
Schwarzer Peter
Eine Überraschung war die Entscheidung aus Brüssel eigentlich nicht. Und doch hatte im Bundesministerium für Gesundheit (BMG) offenbar niemand die Freigabe von Ellaone® auf dem Schirm. Das voraussichtliche Ende der Rezeptpflicht hätte Gesundheitsminister Hermann Gröhe dort in Ruhe vorbereiten können – diese Chance hat er verpasst.
Das Nachsehen haben nun die Apotheker. Ob sie die Pille danach bereits jetzt ohne Rezept abgeben dürfen, ist unklar. Das BMG drückt sich um eine klare Aussage in diesem Punkt und will sich bei der Interpretation der Rechtslage lieber nicht festlegen. Der Schwarze Peter liegt damit in der Offizin. Die Apotheker müssen selbst entscheiden, wie sie mit der Situation umgehen. Sie damit allein zu lassen, kann aber nicht im Interesse des Gesundheitsministers sein. Er muss daher endlich aus der Deckung kommen und die Apotheker aus diesem Dilemma befreien.
Stephanie Schersch
Ressortleitung Politik & Wirtschaft