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Interview

»Damit die Kinder eine Zukunft haben«

18.01.2011  16:34 Uhr

Von Brigitte M. Gensthaler / Mehr als 300 000 Tote, unzählige Waisen und Invaliden: Das ist die traurige Bilanz des Erdbebens in Haiti vor einem Jahr. Die Situation der meisten Menschen ist noch immer desolat. Der Botschafter der Republik Haiti in Deutschland, Jean Robert Saget, erklärt, wie politische Stabilität, Kontrolle und die Zukunft der Kinder zusammenhängen.

PZ: In der Presse wird viel über die Not der Menschen in Haiti berichtet. Haben Sie eine gute Nachricht aus Ihrem Land?

 

Saget: Wir sind auf dem Weg zu mehr politischer Stabilität, die wir dringend brauchen. Nach den Präsidentschaftswahlen im November 2010 gab es starke Proteste und Unruhen. Jetzt zeichnet sich eine Lösung ab.

 

PZ: Was kann Haiti aus der Katastrophe lernen?

 

Saget: Es gibt viel zu ändern. Beispielsweise die Bauweise: Nicht das Beben selbst, sondern die nicht erdbebensicher gebauten Häuser haben sehr viele Menschen das Leben gekostet. Ebenso fehlte bislang eine Kanalisation in den Städten. Das Gesundheitswesen muss neu organisiert werden, denn es gibt keine Krankenversicherung. Kranke können zwar die allgemeinen Krankenhäuser aufsuchen, aber die Medikamente müssen sie selbst besorgen. Viele können dies nicht bezahlen. Andererseits werden auf den Märkten Arzneimittel verkauft, die tagelang in der Sonne liegen und wahrscheinlich wirkungslos sind. Zudem wir haben keine Kontrolle, was Arzneimittelfälschungen betrifft.

PZ: Haiti ist derzeit das Land mit den meisten Hilfs­organi­sationen pro Quadratmeter. Wie wird die Hilfe koordiniert?

 

Saget: In Haiti sind mehr als 10 000 Organisationen tätig, deren Aktivitäten nicht kontrolliert und koordiniert werden. Dies wäre Aufgabe des Staates, aber unsere öffentlichen Institutionen sind sehr geschwächt. Wir haben durch das Erdbeben viele Funktionäre verloren, etwa 40 Prozent sind tot oder haben das Land verlassen. Die Hilfsorganisatio­nen arbeiten kaum zusammen, viele verweigern sogar eine Kooperation oder stehen in Konkurrenz. Ich persönlich empfehle, kleine Projekte wie Kinderheime, Bibliotheken und Schulen zu fördern, damit unsere Kinder ihre Zukunft nicht verlieren.

 

PZ: Stichwort Cholera. Warum lässt sich die Seuche so schwer zurückdrängen?

 

Saget: Wir rechnen derzeit mit mehr als 150 000 Patien­ten und mindestens 3800 Cholera-Toten. Die hygieni­schen Zustände in den Zeltstädten sind sehr schlecht. Selbst Händewaschen ist oft nicht möglich, denn Wasser ist knapp. Außerdem kennen viele Menschen den Nutzen dieser Maßnahme gar nicht.

 

PZ: Wie sieht effektive Seuchenprävention aus Ihrer Sicht aus? Können Apotheker dazu beitragen?

 

Saget: Nützlich wären Aufklärungsplakate, Filmmaterial, Rundfunkspots und Lautsprecherdurchsagen in kreolischer Sprache. Apotheker könnten mit solchen Projekten sehr viel zur Aufklärung beitragen. Daneben sind weiterhin Desinfektionsmittel, orales Rehydratationssalz und Ringer-Lactat-Lösungen ganz wichtig.

 

PZ: Gibt es einheimische Apotheker auf Haiti?

 

Saget: In Port-au-Prince wird eine pharmazeutische Ausbildung angeboten, aber diese Kapazität reicht nicht. Es gibt viele Apotheken, die von jungen Menschen geleitet werden, die keine Ahnung von der Pharmazie haben. Um eine Apotheke zu eröffnen, braucht man eigentlich einen Apotheker, aber auch hier fehlt die Kontrolle.

 

PZ: Durch das Erdbeben sind viele Kinder alleine zurückgeblieben. Bekommen sie genügend Unterstützung?

 

Saget: Es reicht bei Weitem nicht. Wir sind weit davon entfernt, dass wir behaupten könnten, die Kinder seien gut versorgt. Jedoch gibt es viele gute Initiativen. Diese Projekte verdienen Unterstützung, damit die Kinder eine Zukunft bekommen. Viele Schulen und Kinderheime müssen neu gebaut werden. Solche Projekte sollten koordiniert und kontrolliert werden; dafür lohnt sich der finanzielle Einsatz.

 

PZ: Was ist Ihr dringendster Wunsch für Ihr Land?

 

Saget: Politische Stabilität. Viele Haitianer leben im Ausland, die wollen wir zurückholen. Wir brauchen nicht nur Spenden, sondern vor allem Investoren, damit es Arbeit gibt und die Menschen ihren Lebensunterhalt selbst verdienen können. Dafür arbeiten wir. /

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