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Gesundheitsreform

Versperrte Ausfahrt

09.01.2007  16:01 Uhr

Gesundheitsreform

Versperrte Ausfahrt

Von Thomas Bellartz

 

In deutschen Landen geht es derzeit zu wie im alten Rom. Zwischen Berlin, Kreuth, Stuttgart und nirgendwo hat sich die große Koalition verirrt und findet keinen Weg zurück in die politische Normalität. Oder das, was zurzeit in der Gesundheitspolitik passiert, ist mittlerweile für Union und SPD Normalität.

 

Apotheker, Ärzte, Krankenhausdirektoren und Kassenfürsten schwanken dieser Tage zwischen Schadenfreude und starkem Unwohlsein. Die deutsche Politik ist auf der verzweifelten Suche nach einer Linie. Während sich die Kanzlerin in ihre Aufgaben als temporäre EU-Ratspräsidentin und G8-Chefin flüchten darf, trommeln CDU, CSU und SPD aufeinander ein, dass es dem guten Staatsbürger keine Freude sein kann. Die Sitten sind verroht, wenn Generalsekretäre dem jeweils anderen den Mund stopfen oder die Meinungen verbitten wollen. Wenn es nicht um Milliarden und die Zukunft des Gesundheitssystems und der 80 Millionen Menschen ginge, wäre dies komisch und reichte für abend-füllende Veranstaltungen.

 

Gute Zahlen

 

Nachdem Ulla Schmidt nun den Wirtschaftsweisen und Sozialexperten Professor Dr. Bert Rürup dazu ermuntern konnte, seine Weihnachtsfeiertage dem Gesundheitsfonds und dessen Auswirkungen zu widmen, will die Kritik immer noch nicht verstummen. Die Klausurtagungen von Fraktionen und Parteien beschäftigen sich mit vielem, vor allem aber mit der vermasselten Gesundheitsreform.

 

Dabei waren die Zahlen, die der Darmstädter Ökonom präsentierte, durchaus in Schmidts Sinn. Die Belastungen für die wohlhabenderen Bundesländer, so Rürups Fazit, seien weitaus geringer als vom Kieler Institut für Mikrodatenanalyse prognostiziert. In Bayern, Baden-Württemberg und Hessen könnten die zusätzlichen Belastungen zwischen 50 und knapp 100 Millionen Euro jährlich liegen. Einen Teil ihrer Kritiker konnte Schmidt mit diesen Daten besänftigen, doch der Streit schwelt weiter. Auch weil ein Teil der Angriffe eigentlich auf Bundeskanzlerin Angela Merkel zielt.

 

In der Hauptstadt wird seit Tagen damit gerechnet, dass sich die Koalition zwar zu einer Reform auf der Basis ihrer Eckpunkte durchringen wird. Doch damit ist es nicht getan. Schon macht das Wort von der Nachverhandlung die Runde. Koalition und föderaler Staat fahren auf einer Kreisbahn und die Ausfahrt ist versperrt.

 

Im Mittelpunkt der Debatten stehen nicht nur der Gesundheitsfonds und die vom Schmidt-Ministerium stillschweigend vorbereitete Demontage der privaten Krankenversicherung (PKV). Mittlerweile geht es auch um die Zukunft der Gesundheitsministerin selbst. Ulla Schmidt (SPD) stand bei der Union schon lange unter Generalverdacht. Schmidt gilt als ebenso erfahren wie listig. Im Gesetzeswerk seien viele Formulierungen enthalten, die nicht Teil der in den Eckpunkten manifestierten Vereinbarung gewesen seien, heißt es häufig aus CDU und CSU.

 

Die jüngste Vertagung der Entscheidung zeugt davon, wie zart besaitet alle Beteiligten sind. Und es hat nicht den Anschein, als würde sich dies bald ändern. Am kommenden Montag will sich die SPD-Bundestagsfraktion im Detail mit den Reformplänen auseinandersetzen. Schmidt und ihre Staatssekretäre bemühen sich, bei allerlei Veranstaltungen auf die Segnungen der Reform hinzuweisen.

 

Bei den Sozialdemokraten regt sich unterdessen immer wieder Widerstand gegen die geplante Reform. Der SPD-Gesundheitspolitiker Wolfgang Wodarg hält es für möglich, dass das Gesetz in der Fraktion keine Mehrheit bekommt.

 

Die sich abzeichnenden Änderungen, die das Gesetz praktikabler machen und gleichsam die Leistungserbringer in ein nicht allzu enges Korsett sperren, sind in Gefahr, solange die Koalition derart zerstritten ist. Der Druck aus den unionsgeführten Bundesländern, der zu dem Rürup-Gutachten geführt hatte, hat nachgelassen. Nur aus Bayern, das seinerzeit in der Arbeitsgruppe nur mit dem Bundespolitiker Wolfgang Zöller vertreten war, und aus Baden-Württemberg kommen Störsignale.

 

Den von Opposition und Verbänden geforderten Neuanfang wird es aber nicht geben. Die große Koalition kann sich eine solche politische Niederlage nicht erlauben. Und so wird es zu zahlreichen Änderungen im Gesetzestext kommen. Dem Vernehmen nach wollen sich nicht nur die Koalitionäre, sondern auch die Bundesländer Zeit lassen, die Neuformulierungen zu prüfen. Zu Nachverhandlungen wird es in jedem Fall kommen. Baden-Württembergs Ministerpräsident Günter Oettinger hatte das am Dienstag angekündigt. In der kommenden Woche werden die meisten Abgeordneten wieder zurück in Berlin erwartet. Dann geht die Fahrt noch ein paar Runden weiter.

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