Astra-Zeneca gesteht Dosierungs-Panne ein |
Theo Dingermann |
27.11.2020 13:30 Uhr |
Panne mit positivem Ausgang: In der Phase-III-Impfstoffstudie von Astra-Zeneca erhielt ein Teil der Probanden offenbar aus Versehen eine zu geringe Prime-Dosis. Daraus entstand aber ein wirksameres Impfregime als das eigentlich geplante. / Foto: Adobe Stock/BaLL LunLa
Die positiven Nachrichten, die Astra-Zeneca und das Oxford-Institut noch am Montag publizierten, müssen drei Tage später etwas differenzierter bewertet werden. In ihrer Pressemitteilung hatte das Entwicklerkonsortium verlautbart, dass eine Zwischenanalyse von zwei Studien in Großbritannien und Brasilien eine »durchschnittliche Wirksamkeit« von 70 Prozent für seinen Vektorimpfstoff gegen SARS-CoV-2 ergeben hatte. Dieser Durchschnittswert resultierte aus unterschiedlichen Studienergebnissen: In der brasilianischen Studie wurde eine Wirksamkeit von 62 Prozent beobachtet, wohingegen für den Impfstoff in der Studie in Großbritannien eine 90-prozentige Wirksamkeit ermittelt wurde.
Das Unternehmen hatte eine plausible Erklärung für die Diskrepanz: Die beiden Studien waren unterschiedlich angelegt. In beiden Studien wurden jeweils zwei Dosen verimpft, eine erste Prime-Dosis und eine zweite Boost-Dosis. In der brasilianischen Studie war den Probanden bei beiden Gelegenheiten jeweils die gleiche Menge Impfstoff appliziert worden. In der britischen Studie hingegen hatte man den Probanden beim ersten Mal nur die halbe Menge Impfstoff appliziert, die Boost-Dosis enthielt dann auch hier die volle Menge.
Überraschenderweise wurde das deutlich bessere Ergebnis von 90 Prozent Wirksamkeit mit dem britischen Impfregime erzielt, obwohl die Probanden in diesem Fall insgesamt weniger Impfstoff erhalten hatten. Aber genau da scheint das Erfolgsgeheimnis zu liegen, das, wie sich nun abzeichnet, per Zufall entdeckt wurde. Es scheint wichtig zu sein, das Immunsystem schleichend zu stimulieren. Erfolgt die Stimulation im Rahmen der ersten Impfung zu heftig, scheint das bereits gut stimulierte Immunsystem die zweite Dosis anzugreifen und zu inaktivieren.
Zum Hintergrund: Bei der Vakzine AZD1222 handelt es sich – anders als bei den Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna – um einen Vektorimpfstoff. Dieser basiert auf einem nicht replikationsfähigen Schimpansen-Adenovirus, dessen Genom das Gen für das Spike-Protein von SARS-CoV-2 enthält. Im Körper des Geimpften wird dieses abgelesen und bewirkt eine Immunreaktion. Mit ihm werden aber auch Teile des Vektorvirusgenoms exprimiert, die ebenfalls eine Immunreaktion provozieren. Entsprechend kann eine einmal gebildete Immunreaktion auf den Impfstoff bei der Boosterung das Vektorvirus abfangen und damit die Impfeffektivität senken. »Ich würde darauf wetten, dass dies mindestens ein Grund für das erstaunliche Ergebnis ist. Aber es ist nicht die ganze Geschichte«, sagt Professor Dr. Adrian Hill, Direktor des Jenner-Instituts in Oxford, das den Impfstoff entwickelt hat.
Tatsächlich beruht die Entdeckung dieses Befunds laut einem Artikel auf dem Nachrichtenportal des Fachjournals »Science« auf einem Fehler. Astra-Zeneca hatte die Impfstoffgefäße für die Prime-Impfung im Rahmen der britischen Studie irrtümlich mit der Hälfte der vorgesehenen Dosis befüllt. Anstatt an dieser Stelle die Probanden aus der Studie zu nehmen, die die zu niedrige Dosis bereits erhalten hatten, änderte man das Studienprotokoll dahingehend, dass diese initiale halbe Dosis bewusst gewählt wurde, und verabreichte dann die volle Dosis im Rahmen der Boost-Impfung.
Vermeldet hatte die Panne nicht Astra-Zeneca, sondern die Universität Oxford, berichtet das Manager-Magazin. Danach heißt es, dass die Reduzierung der ersten Dosis auf die Hälfte offenbar auf einem Verpackungsfehler basierte. Das Problem sei allerdings mit den Aufsichtsbehörden besprochen worden, die der Fortsetzung der Studie zugestimmt hätten.
Neben dem Verpackungsfehler und der Änderung des Studienprotokolls gibt es nun auch Kritik am Poolen der Ergebnisse aus zwei offensichtlich unterschiedlichen Studien, woraus letztlich die 70 Prozent Wirksamkeit resultierten. Laut dem Virologen Professor Dr. John Moore vom Weill Cornell Medical College sei unklar, welcher Wert korrekt sei: die 62 oder 90 Prozent Schutzwirkung. In der britischen Studie mit der halben Prime-Dosis seien nicht genügend Fälle aufgetreten, um das Ergebnis – die 90 Prozent – statistisch robust zu machen, sagte er gegenüber »Science«.
Hill erklärt, man werde nicht ein 62-Prozent-Regime entwickeln, wenn man ein 90-Prozent-Regime habe. Für dieses muss Astra-Zeneca jetzt ausreichend Daten sammeln, die die Schutzwirkung belegen. Wenn sich die Evidenz erhärtet, dass das Regime mit einer halben Prime-Dosis zu einer höheren Effizienz führt, könne man eine in den USA gestartete Phase-III-Studie noch switchen, heißt es in dem Artikel weiter. In der für 40.000 Probanden angelegten Studie wurden bislang erst 11.000 Personen rekrutiert und mit der vollen Prime-Dosis geimpft. Man könnte für einen Teil der Probanden auf die halbe Prime-Dosis wechseln.
Der Pharmakonzern Astra-Zeneca kündigte nach Kritik an den Studien an, die Wirksamkeit der Vakzine weiter zu untersuchen. »Es muss bestätigt werden, dass eine niedrigere Dosis des Impfstoffs offenbar zu einem besseren Ergebnis führt«, bekräftigte Konzernchef Pascal Soriot laut Agentur Bloomberg.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.