Anzeichen kennen, Beratung anpassen |
Das regenbogenfarbige Unendlichkeitszeichen soll die Vielfältigkeit des Autismus-Spektrums symbolisieren. / Foto: Adobe Stock/vejaa
Der Begriff »Autismus« leitet sich von den griechischen Wörtern »autos« (selbst) und »ismos« (Zustand, Ort) ab und bedeutet »sehr auf sich bezogen sein«. Eine Autismus-Spektrum-Störung ist eine quantitative und qualitative Beeinträchtigung der sozialen Interaktion sowie der Kommunikation mit repetitiven (sich wiederholenden) und stereotypen (gleichförmig auftretenden) Verhaltensmustern, Interessen sowie Aktivitäten, die ein Leben lang andauert (1). Schätzungen zufolge sind etwa 0,6 bis 1 Prozent der Bevölkerung betroffen, wobei Jungen die Diagnose etwa viermal häufiger erhalten als Mädchen.
Die Ausprägung reicht von leichten Formen, die im Alltag kaum auffallen, bis zu schwersten Formen mit erheblicher Beeinträchtigung der sozialen Teilhabe. Wegen dieser großen Unterschiede in der Symptomausprägung spricht man von Autismus-Spektrum-Störungen (2).
Autistische Menschen bevorzugen oftmals die Bezeichnung »Autismus« oder »Autismus-Spektrum« gegenüber »Autismus-Spektrum-Störung«. Letztere ist gängig nach der elften Revision der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11) und wird daher im Folgenden verwendet.
In der ICD-10 wurde Autismus den tiefgreifenden Entwicklungsstörungen zugeordnet und zwischen frühkindlichem Autismus, Asperger-Syndrom und atypischem Autismus unterschieden (siehe Kasten). Doch »diese Differenzierung hat sich nach neueren Erkenntnissen als nicht haltbar erwiesen«, erklärt Professor Dr. Matthias Dose, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Kbo-Berater für Autismus-Spektrum-Störungen und Huntington-Krankheit, gegenüber der PZ. Heutzutage wird ein fließender Übergang der Symptomatik bei unterschiedlicher Krankheitsursache angenommen.
Aus diesem Grund ist in der ICD-11, die seit Januar 2022 gilt, die Gruppe der tiefgreifenden Entwicklungsstörungen aufgelöst und stattdessen die Autismus-Spektrum-Störung der Gruppe der neuronalen Entwicklungsstörungen zugeordnet. Der Begriff gilt nun als Oberbegriff für das gesamte Spektrum autistischer Erkrankungen und fasst Betroffene mit starker Beeinträchtigung (ehemals frühkindlicher Autismus) und geringerer Beeinträchtigung (ehemals Asperger-Syndrom) zusammen. »Mit der Zuordnung zu ›neuronalen‹ statt ›tiefgreifenden‹ Entwicklungsstörungen wird der Tatsache Rechnung getragen, dass es sich um eine Hirnentwicklungsstörung und nicht – wie zum Teil früher angenommen – um Fehler in der Erziehung handelt«, erläutert Dose.
Welche Faktoren die Hirnentwicklungsstörung dabei auslösen, ist noch nicht abschließend geklärt. Allerdings tritt sie familiär gehäuft auf, weswegen wahrscheinlich genetische Faktoren eine entscheidende Rolle spielen. Zudem können Umweltfaktoren eine veränderte Genregulation bewirken (Epigenetik). Als Risikofaktoren werden ein höheres Alter beider Eltern sowie Stress, Infektionen etwa mit Rötelnviren oder die Einnahme bestimmter Medikamente wie Antiepileptika oder Selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI) während der Schwangerschaft oder eine ausgeprägte Frühgeburtlichkeit diskutiert.
Frühkindlicher Autismus: auch Kanner-Syndrom, infantiler Autismus, frühkindliche Psychose, autistische Störung oder Pervasive Development Disorder genannt; Beschwerdebild entwickelt sich vor dem dritten Lebensjahr, ausgeprägte Kontaktstörung (kein Blickkontakt, kein Lächeln), mangelnde Empathiefähigkeit, verlangsamte Sprachentwicklung, eigentümliches Sprechverhalten (Neologismen, Echolalie), reduzierter Intelligenzquotient.
Asperger-Syndrom: auch autistische Psychopathie, schizoide Störung des Kindesalters, Asperger-Autismus oder High-Functional-Autism genannt; erste Symptome im zweiten bis fünften Lebensjahr, rigides, zwanghaft-pedantisches, stereotypes Handlungsmuster, mangelnde Empathiefähigkeit, hoch entwickelte Sprache (geschraubte, affektierte Ausdrucksweise, Neologismen), Spezialinteressen (Inselbegabung).
Atypischer Autismus: Unterscheidet sich zum frühkindlichen Autismus hinsichtlich des Alters bei Krankheitsbeginn oder dadurch, dass diagnostische Kriterien nicht in allen Bereichen erfüllt werden; vor allem bei schwer retardierten Betroffenen beziehungsweise bei Menschen mit einer schwer rezeptiven Sprachentwicklungsstörung.