Wann Antibiotika wirklich nötig sind |
Nicht bei jeder Erkrankung brauchen Kinder Antibiotika; oft reichen unterstützende Maßnahmen zum Gesundwerden. / Foto: Adobe Stock/sabine hürdler
Seit Monaten fehlen Antibiotika in deutschen Apotheken. Säfte für Kinder sind besonders knapp. Das ist ein guter Grund, sich mit Antibiotika in der Pädiatrie näher zu beschäftigen.
Bei Kindern kommen diese Arzneimittel überwiegend peroral zum Einsatz. Ärzte verschreiben bevorzugt lange bekannte Wirkstoffe wie Penicilline, Cephalosporine und Makrolide. Weitere Optionen für Kinder sind Clindamycin, Cotrimoxazol, Ciprofloxacin oder (mit Einschränkungen) Tetracycline wie Doxycyclin.
Die meisten Wirkstoffe sind bereits für Säuglinge beziehungsweise Kleinkinder zugelassen. Eine Ausnahme sind Tetracycline, die erst ab acht Jahren gegeben werden dürfen (1–3). Sie können als unerwünschte Wirkungen die Zähne verfärben, den Zahnschmelz schädigen und reversibel das Wachstum von Röhrenknochen hemmen. Daher verschreiben Ärzte selbst Kindern über acht Jahren Tetracycline nur in Ausnahmefällen (4, 5).
Bei der Wahl des Antibiotikums spielen neben dem Alter des Kindes das Sicherheitsprofil des Mittels, Arzneimittelwechselwirkungen und die Kosten eine Rolle. Zudem sollte das Einnahmeschema leicht umsetzbar sein. Eine spezielle Abwägung ist nötig bei Kindern mit Grunderkrankungen, kompliziertem Verlauf der Infektion oder antibiotischer Vorbehandlung sowie bei sehr jungen Säuglingen oder einem vorangegangenen Auslandsaufenthalt.
Nach der Wahl eines geeigneten Wirkstoffs ist die Dosierung die nächste Herausforderung. Kinder sind bekanntlich keine kleinen Erwachsenen und ihr Wachstum ist kein linearer Prozess. Organe und ihre Funktionen sind je nach Alter unterschiedlich ausgeprägt und pharmakokinetische Parameter wie Absorption, Verteilung und Elimination von Arzneistoffen verändern sich. Die Clearance folgt ebenfalls keiner linearen Entwicklung, da sich zum Beispiel die verschiedenen CYP-Isoenzyme in der Leber unterschiedlich schnell entwickeln. Extrapolationen der Dosierung sind daher nicht ohne Weiteres möglich (5, 6).
In der Praxis wird die Arzneistoffdosis häufig auf Basis der Erwachsenendosis und des Körpergewichts des Kindes berechnet. Das berücksichtigt aber weder die Pharmakokinetik des Arzneistoffs noch das kindliche Entwicklungsstadium ausreichend. Einige Arzneistoffe wie Theophyllin oder Levetiracetam werden im kindlichen Organismus schneller metabolisiert beziehungsweise eliminiert als bei Erwachsenen. Die Kinder brauchen dann höhere mg/kg-Dosen als Erwachsene, um vergleichbare Arzneistoffspiegel zu erzielen (5, 6).
Weiterhin ist zu beachten, dass sich hydrophile Antibiotika, zum Beispiel Beta-Lactame, vor allem im Extrazellularraum anreichern. Der prozentuale Anteil an Wasser pro Kilogramm Körpergewicht nimmt mit zunehmendem Alter ab. Während Frühgeborene noch einen Wasseranteil von mehr als 80 Prozent aufweisen, sind es beim Neugeborenen etwa 80 Prozent und beim Erwachsenen etwa 60 Prozent. Das bedeutet, dass die gleiche mg/kg-Dosis eines hydrophilen Arzneistoffs bei einem Säugling in einer geringeren Konzentration im Körperwasser vorliegt als bei älteren Patienten. Möglicherweise ist der Säugling unterdosiert, wenn die Dosis allein nach dem Körpergewicht berechnet wird.
Formeln, die die Größe des Extrazellularraums mit einbeziehen, ergeben umso höhere Dosierungen, je jünger das Kind ist. Eine Limitation ist, dass Fieber, Erbrechen, Exsikkose und Ödeme den Extrazellulärraum erheblich verändern können (5, 6).
Antibiotika stehen in vielen Darreichungsformen auch schon für sehr junge Patienten zur Verfügung. Dabei gibt es sowohl perorale als auch parenterale Zubereitungen (Tabelle 1).
Arzneistoffe (alphabetisch geordnet innerhalb der Gruppe) | Darreichungsformen (Auswahl) | Dosierungsempfehlungen verfügbar* |
---|---|---|
Penicilline | ||
Amoxicillin | FTA, GSE, PSE, TAB, TSE | ab Geburt |
Amoxicillin/Clavulansäure | FTA, PSE | ab 2 Monate |
Amoxicillin/Flucloxacillin | HKP | ab 6 Jahre |
Flucloxacillin | HKP, PIE | ab Geburt |
Phenoxymethylpenicillin | TSA | ab Geburt |
Phenoxymethylpenicillin Benzathin | SUE | ab Geburt |
Pivmecillinam | FTA | ab 6 Jahre |
Sultamicillin (Ampicillin/Sulbactam-Ester) | FTA, PSE | ab Geburt |
Cephalosporine | ||
Cefaclor | FTA, GSE, HKP, PSE, TSA | ab Geburt |
Cefadroxil | TAB, TSA | ab 28 Tage |
Cefixim | FTA, GSE, PSE | ab 6 Monate |
Cefpodoxim | FTA, PSE, SAF, TSA | ab 4 Wochen |
Cefuroxim (Cefuroxim-Axetil) | FTA, CSE, TAB, UTA | ab 3 Monate |
Fluorchinolone | ||
Ciprofloxacin | FTA, TSA | ab 1 Jahr |
Makrolide und Clindamycin | ||
Azithromycin | FTA, PSE | ab 1 Jahr |
Clarithromycin | GSE | ab Geburt |
Clindamycin | FTA, GRA, HKP | ab 4 Wochen |
Erythromycin | PSE, PIE | ab Geburt |
Roxithromycin | FTA | ab Geburt (FTA zerkleinern und zusammen mit einem Milchprodukt geben) |
Spiramycin | FTA | ab 3 Jahre |
Tetracycline | ||
Doxycyclin | HKP, TAB | ab 8 Jahre |
Minocyclin | FTA, HKP | ab 8 Jahre |
Tetracyclin | HKP | ab 8 Jahre |
Sulfonamide und Trimethoprim | ||
Cotrimoxazol (Sulfamethoxazol + Trimethoprim) | SUE, TAB | ab 6 Wochen |
Sulfadiazin | TAB | ab 2 Monate |
Trimethoprim | SUE, TAB | ab 6 Wochen |
Weitere Antibiotika | ||
Metronidazol | FTA, TAB | ab Geburt |
Nitrofurantoin | REK, TAB, UTA | ab 3 Monate |
Vancomycin | HKP, PLE, PE, TSS | ab 1 Monat |
Abkürzungen: FTA: Filmtabletten, GRA: Granulat, GSE: Granulat zur Herstellung einer Suspension zum Einnehmen, HKP: Hartkapseln, PIE: Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Injektions- oder Infusionslösung, PLE: Pulver zur Herstellung einer Lösung zum Einnehmen, PSE: Pulver zur Herstellung einer Suspension zum Einnehmen, REK: Retardkapseln, SAF: Saft, SUE: Suspension zum Einnehmen, TAB: Tabletten, TSA: Trockensaft, TSE: Tablette zur Herstellung einer Suspension zum Einnehmen, TSS: Trockensubstanz ohne Lösungsmittel, UTA: überzogene Tabletten
Die Dosierung ist vor allem bei Off-Label-Verordnungen ein Problem, wenn keine Dosierungsanleitungen der Arzneimittelhersteller vorliegen. Im klinischen Alltag wenden Pädiater dann häufig Erfahrungswerte an oder berufen sich auf publizierte Daten. Es stehen Standardwerke zur Arzneimitteldosierung bei Kindern zur Verfügung, etwa Pädiatrische Dosistabellen oder internationale Datenquellen wie das »Pediatric & Neonatal Dosage Handbook« (Kasten).
Foto: Imago/Westend61
Obwohl Kinder immer wieder Antibiotika brauchen, ist die Datenlage schlecht. Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI) stellen Informationen zusammen. Bisweilen hilft auch ein Blick in eine Leitlinie, evidenzbasierte Dosierungsempfehlungen zu finden.
Um pädiatrische Verordnungen auf Plausibilität zu prüfen, kann das englischsprachige Standardwerk »Pediatric & Neonatal Dosage Handbook« helfen.
Dosierungsempfehlungen für Antibiotika, die off Label eingesetzt werden, gibt die Datenbank Kinderformularium, die im Rahmen des Aktionsplans zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland entwickelt wurde. Das Recherchetool stellt Wirkstoffmonographien zur Verfügung, die zum Zulassungsstatus, zu Dosierung (auch bei eingeschränkter Nierenfunktion), Neben- und Wechselwirkungen sowie ähnlichen Arzneimitteln informieren. Literatur und Fachinformationen sind verlinkt.
Für Kinder zugelassene Arzneimittel finden sich in der Arzneimitteldatenbank ZAK.
Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) veröffentlicht Vergleichstabellen zu Äquivalenz- beziehungsweise Tagesdosen von ausgesuchten Wirkstoffklassen, darunter auch für Antibiotika für Kinder. Diese sind besonders relevant, wenn das Apothekenteam bei Lieferengpässen einen alternativen Wirkstoff auswählen und dem Arzt vorschlagen muss (5, 7, 8).
Bei unklarer Dosierung sind Antibiotika mit einer großen therapeutischen Breite zu bevorzugen. Ist die therapeutische Breite gering, müssen die Dosierung individuell angepasst und die Serumspiegel monitoriert werden (Therapeutisches Drug Monitoring).
▶ Grundsätzlich sollten Antibiotika, wann immer es geht, vermieden oder so kurz wie möglich gegeben werden. Bei leichten selbstlimitierenden bakteriellen Erkrankungen bei immunkompetenten Kindern ist in der Regel gar keine Antibiose erforderlich. Liegen keine Risikokonstellationen vor, gehen Pädiater oft nach der Methode »wait and watch« (»Abwarten und Beobachten«) vor.