Wann Antibiotika wirklich nötig sind |
Nicht bei jeder Erkrankung brauchen Kinder Antibiotika; oft reichen unterstützende Maßnahmen zum Gesundwerden. / Foto: Adobe Stock/sabine hürdler
Seit Monaten fehlen Antibiotika in deutschen Apotheken. Säfte für Kinder sind besonders knapp. Das ist ein guter Grund, sich mit Antibiotika in der Pädiatrie näher zu beschäftigen.
Bei Kindern kommen diese Arzneimittel überwiegend peroral zum Einsatz. Ärzte verschreiben bevorzugt lange bekannte Wirkstoffe wie Penicilline, Cephalosporine und Makrolide. Weitere Optionen für Kinder sind Clindamycin, Cotrimoxazol, Ciprofloxacin oder (mit Einschränkungen) Tetracycline wie Doxycyclin.
Die meisten Wirkstoffe sind bereits für Säuglinge beziehungsweise Kleinkinder zugelassen. Eine Ausnahme sind Tetracycline, die erst ab acht Jahren gegeben werden dürfen (1–3). Sie können als unerwünschte Wirkungen die Zähne verfärben, den Zahnschmelz schädigen und reversibel das Wachstum von Röhrenknochen hemmen. Daher verschreiben Ärzte selbst Kindern über acht Jahren Tetracycline nur in Ausnahmefällen (4, 5).
Bei der Wahl des Antibiotikums spielen neben dem Alter des Kindes das Sicherheitsprofil des Mittels, Arzneimittelwechselwirkungen und die Kosten eine Rolle. Zudem sollte das Einnahmeschema leicht umsetzbar sein. Eine spezielle Abwägung ist nötig bei Kindern mit Grunderkrankungen, kompliziertem Verlauf der Infektion oder antibiotischer Vorbehandlung sowie bei sehr jungen Säuglingen oder einem vorangegangenen Auslandsaufenthalt.
Nach der Wahl eines geeigneten Wirkstoffs ist die Dosierung die nächste Herausforderung. Kinder sind bekanntlich keine kleinen Erwachsenen und ihr Wachstum ist kein linearer Prozess. Organe und ihre Funktionen sind je nach Alter unterschiedlich ausgeprägt und pharmakokinetische Parameter wie Absorption, Verteilung und Elimination von Arzneistoffen verändern sich. Die Clearance folgt ebenfalls keiner linearen Entwicklung, da sich zum Beispiel die verschiedenen CYP-Isoenzyme in der Leber unterschiedlich schnell entwickeln. Extrapolationen der Dosierung sind daher nicht ohne Weiteres möglich (5, 6).
In der Praxis wird die Arzneistoffdosis häufig auf Basis der Erwachsenendosis und des Körpergewichts des Kindes berechnet. Das berücksichtigt aber weder die Pharmakokinetik des Arzneistoffs noch das kindliche Entwicklungsstadium ausreichend. Einige Arzneistoffe wie Theophyllin oder Levetiracetam werden im kindlichen Organismus schneller metabolisiert beziehungsweise eliminiert als bei Erwachsenen. Die Kinder brauchen dann höhere mg/kg-Dosen als Erwachsene, um vergleichbare Arzneistoffspiegel zu erzielen (5, 6).
Weiterhin ist zu beachten, dass sich hydrophile Antibiotika, zum Beispiel Beta-Lactame, vor allem im Extrazellularraum anreichern. Der prozentuale Anteil an Wasser pro Kilogramm Körpergewicht nimmt mit zunehmendem Alter ab. Während Frühgeborene noch einen Wasseranteil von mehr als 80 Prozent aufweisen, sind es beim Neugeborenen etwa 80 Prozent und beim Erwachsenen etwa 60 Prozent. Das bedeutet, dass die gleiche mg/kg-Dosis eines hydrophilen Arzneistoffs bei einem Säugling in einer geringeren Konzentration im Körperwasser vorliegt als bei älteren Patienten. Möglicherweise ist der Säugling unterdosiert, wenn die Dosis allein nach dem Körpergewicht berechnet wird.
Formeln, die die Größe des Extrazellularraums mit einbeziehen, ergeben umso höhere Dosierungen, je jünger das Kind ist. Eine Limitation ist, dass Fieber, Erbrechen, Exsikkose und Ödeme den Extrazellulärraum erheblich verändern können (5, 6).
Antibiotika stehen in vielen Darreichungsformen auch schon für sehr junge Patienten zur Verfügung. Dabei gibt es sowohl perorale als auch parenterale Zubereitungen (Tabelle 1).
Arzneistoffe (alphabetisch geordnet innerhalb der Gruppe) | Darreichungsformen (Auswahl) | Dosierungsempfehlungen verfügbar* |
---|---|---|
Penicilline | ||
Amoxicillin | FTA, GSE, PSE, TAB, TSE | ab Geburt |
Amoxicillin/Clavulansäure | FTA, PSE | ab 2 Monate |
Amoxicillin/Flucloxacillin | HKP | ab 6 Jahre |
Flucloxacillin | HKP, PIE | ab Geburt |
Phenoxymethylpenicillin | TSA | ab Geburt |
Phenoxymethylpenicillin Benzathin | SUE | ab Geburt |
Pivmecillinam | FTA | ab 6 Jahre |
Sultamicillin (Ampicillin/Sulbactam-Ester) | FTA, PSE | ab Geburt |
Cephalosporine | ||
Cefaclor | FTA, GSE, HKP, PSE, TSA | ab Geburt |
Cefadroxil | TAB, TSA | ab 28 Tage |
Cefixim | FTA, GSE, PSE | ab 6 Monate |
Cefpodoxim | FTA, PSE, SAF, TSA | ab 4 Wochen |
Cefuroxim (Cefuroxim-Axetil) | FTA, CSE, TAB, UTA | ab 3 Monate |
Fluorchinolone | ||
Ciprofloxacin | FTA, TSA | ab 1 Jahr |
Makrolide und Clindamycin | ||
Azithromycin | FTA, PSE | ab 1 Jahr |
Clarithromycin | GSE | ab Geburt |
Clindamycin | FTA, GRA, HKP | ab 4 Wochen |
Erythromycin | PSE, PIE | ab Geburt |
Roxithromycin | FTA | ab Geburt (FTA zerkleinern und zusammen mit einem Milchprodukt geben) |
Spiramycin | FTA | ab 3 Jahre |
Tetracycline | ||
Doxycyclin | HKP, TAB | ab 8 Jahre |
Minocyclin | FTA, HKP | ab 8 Jahre |
Tetracyclin | HKP | ab 8 Jahre |
Sulfonamide und Trimethoprim | ||
Cotrimoxazol (Sulfamethoxazol + Trimethoprim) | SUE, TAB | ab 6 Wochen |
Sulfadiazin | TAB | ab 2 Monate |
Trimethoprim | SUE, TAB | ab 6 Wochen |
Weitere Antibiotika | ||
Metronidazol | FTA, TAB | ab Geburt |
Nitrofurantoin | REK, TAB, UTA | ab 3 Monate |
Vancomycin | HKP, PLE, PE, TSS | ab 1 Monat |
Abkürzungen: FTA: Filmtabletten, GRA: Granulat, GSE: Granulat zur Herstellung einer Suspension zum Einnehmen, HKP: Hartkapseln, PIE: Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Injektions- oder Infusionslösung, PLE: Pulver zur Herstellung einer Lösung zum Einnehmen, PSE: Pulver zur Herstellung einer Suspension zum Einnehmen, REK: Retardkapseln, SAF: Saft, SUE: Suspension zum Einnehmen, TAB: Tabletten, TSA: Trockensaft, TSE: Tablette zur Herstellung einer Suspension zum Einnehmen, TSS: Trockensubstanz ohne Lösungsmittel, UTA: überzogene Tabletten
Die Dosierung ist vor allem bei Off-Label-Verordnungen ein Problem, wenn keine Dosierungsanleitungen der Arzneimittelhersteller vorliegen. Im klinischen Alltag wenden Pädiater dann häufig Erfahrungswerte an oder berufen sich auf publizierte Daten. Es stehen Standardwerke zur Arzneimitteldosierung bei Kindern zur Verfügung, etwa Pädiatrische Dosistabellen oder internationale Datenquellen wie das »Pediatric & Neonatal Dosage Handbook« (Kasten).
Foto: Imago/Westend61
Obwohl Kinder immer wieder Antibiotika brauchen, ist die Datenlage schlecht. Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI) stellen Informationen zusammen. Bisweilen hilft auch ein Blick in eine Leitlinie, evidenzbasierte Dosierungsempfehlungen zu finden.
Um pädiatrische Verordnungen auf Plausibilität zu prüfen, kann das englischsprachige Standardwerk »Pediatric & Neonatal Dosage Handbook« helfen.
Dosierungsempfehlungen für Antibiotika, die off Label eingesetzt werden, gibt die Datenbank Kinderformularium, die im Rahmen des Aktionsplans zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit in Deutschland entwickelt wurde. Das Recherchetool stellt Wirkstoffmonographien zur Verfügung, die zum Zulassungsstatus, zu Dosierung (auch bei eingeschränkter Nierenfunktion), Neben- und Wechselwirkungen sowie ähnlichen Arzneimitteln informieren. Literatur und Fachinformationen sind verlinkt.
Für Kinder zugelassene Arzneimittel finden sich in der Arzneimitteldatenbank ZAK.
Die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker (AMK) veröffentlicht Vergleichstabellen zu Äquivalenz- beziehungsweise Tagesdosen von ausgesuchten Wirkstoffklassen, darunter auch für Antibiotika für Kinder. Diese sind besonders relevant, wenn das Apothekenteam bei Lieferengpässen einen alternativen Wirkstoff auswählen und dem Arzt vorschlagen muss (5, 7, 8).
Bei unklarer Dosierung sind Antibiotika mit einer großen therapeutischen Breite zu bevorzugen. Ist die therapeutische Breite gering, müssen die Dosierung individuell angepasst und die Serumspiegel monitoriert werden (Therapeutisches Drug Monitoring).
▶ Grundsätzlich sollten Antibiotika, wann immer es geht, vermieden oder so kurz wie möglich gegeben werden. Bei leichten selbstlimitierenden bakteriellen Erkrankungen bei immunkompetenten Kindern ist in der Regel gar keine Antibiose erforderlich. Liegen keine Risikokonstellationen vor, gehen Pädiater oft nach der Methode »wait and watch« (»Abwarten und Beobachten«) vor.
Mitunter ist das vorrangige Ziel einer Antibiotika-Verordnung nicht, die Infektion an sich zu bekämpfen, sondern die Ansteckungsgefahr und das Risiko für Komplikationen zu reduzieren.
Das ist zum Beispiel bei Scharlach der Fall. Die akute durch beta-hämolysierende Streptokokken (Streptococcus pyogenes) verursachte Infektionskrankheit ist eine der häufigsten bakteriellen Erkrankungen im Kindesalter. Sie äußert sich als exsudative Tonsillopharyngitis (Rachen- und Mandelinfektion) mit starken Schluckbeschwerden, hohem Fieber und Krankheitsgefühl.
Kennzeichnend sind das tiefrote Enanthem (Ausschlag im Bereich der Schleimhäute) der Rachenschleimhäute, die »Himbeerzunge« und das Scharlachexanthem aus kleinfleckigen Papeln am Körper.
Scharlach verläuft in der Regel selbstlimitierend und die Therapie erfolgt rein symptomatisch. Werden Antibiotika gegeben, sind die Patienten normalerweise innerhalb von 24 Stunden nicht mehr infektiös. Mittel der Wahl ist Penicillin V für sieben bis zehn Tage (Tabelle 2). Orale Cephalosporine, Makrolide und Clindamycin sind Alternativen (9–11).
Antibiotikum | Dosierung | Dauer (Tage) | Hinweis |
---|---|---|---|
Tonsillopharyngitis | |||
Penicillin V | 50.000 bis 100.000 E/kg KG/T (max. 3 Mio. E) in 2 bis 3 ED | 7 | nicht zu den Mahlzeiten |
Penicillin V | 100.000 E/kg KG/T (max. 3 Mio. E) in 2 bis 3 ED | 10 | bei Rezidiv |
Benzathin-Penicillin | 50.000 E/kg KG/T (max. 1,5 Mio. E) in 2 ED | 7 | |
Clarithromycin | 15 mg/kg KG/T (max. 1 g) in 2 ED | 7 | bei Penicillin-Allergie |
Akute Otitis media (AOM) | |||
Amoxicillin | 50 mg/kg KG/T (max. 3 g) in 2 bis 3 ED | 5 (bis 7) | TS bevorzugen, viel trinken |
Ambulant erworbene Pneumonie | |||
Amoxicillin | 50 mg/kg KG/T (max. 3 g) in 2 bis 3 ED | 3 bis 5 | TS bevorzugen, viel trinken |
Mykoplasmen-Pneumonie | |||
Doxycyclin | 1. Tag: 4 mg/kg KG/T (max. 200 mg) in 1 EDab 2. Tag: 2 mg/kg KG/T (max. 100 mg) in 1 ED | 7 bis 10 | ab 9 Jahre, Einnahme ohne Milchprodukte, Lichtschutz |
Clarithromycin | 15 mg/kg KG/T (max. 1 g) in 2 ED | 7 bis 10 | bis 8 Jahre |
Keuchhusten | |||
Clarithromycin | 15 mg/kg KG/T (max. 1 g) in 2 ED | 7 | ab 2. Lebensmonat |
Azithromycin | 10 mg/kg KG/T in 1 ED | 5 | nur im 1. Lebensmonat (in der Regel stationär) |
Unkomplizierte Zystitis | |||
Trimethoprim | 6 mg/kg KG/T (max. 400 mg) in 2 ED | 3 bis 5 | lokale Resistenzlage beachten |
Nitrofurantoin | 5 mg/kg KG/T (max. 200 mg) in 2 ED | 3 bis 5 | bei fehlender Alternative, nicht geeignet bei Pyelonephritis |
Fosfomycin | 1×3 g (abends 2 h nach Mahlzeit), Miktion verzögern, 2 Tage Trinkmenge begrenzen | 1 | unkomplizierte Zystitis bei Mädchen ab 12 Jahren und > 50 kg KG |
Borreliose | |||
Doxycyclin | 1. Tag: 4 mg/kg KG/T (max. 200 mg) in 1 EDab 2. Tag: 2 mg/kg KG/T (max. 100 mg) in 1 ED | 14 bis 21 | ab 9 Jahre, Einnahme ohne Milchprodukte, Lichtschutz |
Amoxicillin | 50 mg/kg KG/T (max. 3 g) in 3 ED | 14 bis 21 | bis 8 Jahre, TS bevorzugen, viel trinken |
Nach: Arbeitsgruppe Antibiotic Stewardship in der ambulanten Pädiatrie (ABSaP) der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (14), Stand: März 2022
Abkürzungen: E: Einheiten, ED: Einzeldosis, kg KG: Kilogramm Körpergewicht, TS: Trockensaft
Ähnlich verhält es sich mit der Antibiose bei Keuchhusten. Die Autoren einer älteren Cochrane-Analyse von elf randomisierten kontrollierten Studien zur antibiotischen Therapie der Pertussis stellten fest, dass Antibiotika den klinischen Verlauf nicht beeinflussen (12). Laut der Arbeitsgruppe Antibiotic Stewardship ambulante Pädiatrie (ABSaP) der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) könnten Antibiotika den Krankheitsverlauf nur verkürzen, wenn die Therapie bis zum frühen Stadium convulsivum initiiert wurde. Indiziert sind Antibiotika laut ABSaP daher nur innerhalb von drei Wochen nach Hustenbeginn beziehungsweise bei positivem Erregernachweis (14, 15).
Bei einer Antibiose sind Patienten innerhalb von fünf Tagen nicht mehr ansteckend. Das ist laut dem Robert-Koch-Institut (RKI) wichtig, um Infektionsketten zu unterbrechen (13).
Das Makrolid Erythromycin hat sich bei Keuchhusten bewährt. Vergleichbar wirksam sind Azithromycin und Clarithromycin (Tabelle 2). Heute ist meistens Clarithromycin das Mittel der Wahl. Säuglinge, die jünger als einen Monat sind, bekommen Makrolide nur mit Vorsicht, da es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen oral verabreichtem Erythromycin oder Azithromycin und einer Hypertrophie des Magenausgangs (infantile hypertrophische Pylorusstenose) gibt. Babys in dem Alter werden in der Regel stationär behandelt (14, 15). Eine Alternative zu Makroliden ist Trimethoprim-Sulfamethoxazol (Cotrimoxazol) (15, 16).
Die akute Mittelohrentzündung (akute Otitis media, AOM) ist ein Beispiel für eine Infektionskrankheit, bei der man oft auf Antibiotika verzichten kann. In einem systematischen Cochrane-Review untersuchten Autoren 13 randomisierte kontrollierte Studien mit 3401 Kinder und 3938 AOM-Episoden (17). Antibiotika beeinflussten den Krankheitsverlauf kaum, konnten aber einige Komplikationen verhindern. Der Nutzen der Antibiose muss den Autoren zufolge gegen mögliche Schäden abgewogen werden. Bei einem von 14 antibiotisch behandelten Kindern trat ein unerwünschtes Ereignis wie Erbrechen, Durchfall oder Hautausschlag auf.
Eine akute Mittelohrentzündung ist schmerzhaft. Daher stehen oft Analgetika und nicht Antibiotika im Vordergrund der Therapie. / Foto: Adobe Stock/topshots
Im Allgemeinen steht daher bei einer AOM nicht die Antibiose, sondern eine angemessene Analgesie im Vordergrund. Antibiotika können indiziert sein, wenn Kinder unter zwei Jahren an einer beidseitigen AOM erkranken oder wenn diese mit Otorrhö einhergeht (17). Wenn bei sehr jungen Kindern, schwerem Verlauf oder Risikofaktoren eine Antibiose erforderlich ist, ist Amoxicillin Mittel der Wahl. Bei Kindern zwischen sechs Monaten und zwei Jahren gilt: »wait and watch« (18).
Ein typischer Fall, in dem Antibiotika bei Kindern indiziert sind, ist die Zystitis. Bis zum Alter von sechs Jahren erkranken mehr als 7 Prozent aller Mädchen und 1,6 Prozent aller Jungen mindestens einmal daran. Harnwegsinfektionen (HWI) zählen damit zu den häufigen bakteriellen Erkrankungen bei Kindern (siehe auch diesen Beitrag).
Eine akute HWI wird gemäß der S2k-Leitlinie »Harnwegsinfektionen im Kindesalter – Diagnostik, Therapie und Prophylaxe« aus 2021 zunächst empirisch respektive kalkuliert antibakteriell behandelt (Tabelle 2). Wenn der Erreger bekannt ist und Ergebnisse aus der Resistenztestung vorliegen, wird die Medikation gegebenenfalls angepasst. Besonders wichtig bei der Antibiotikaauswahl ist die aktuelle lokale Resistenzsituation von E.coli, dem dominanten Pathogen.
Bei einer unkomplizierten Zystitis sind Trimethoprim oder Cotrimoxazol meist die Mittel der Wahl. Regional können allerdings verstärkte Resistenzen von E.coli gegen Trimethoprim auftreten. Dann ist eine Therapie mit einem Oralcephalosporin, Amoxicillin/Clavulansäure oder Nitrofurantoin angezeigt. Das Antibiotikum wird drei bis fünf Tage gegeben (19–21).
Verdacht auf einen Harnwegsinfekt? Eine Urinuntersuchung ist bei jedem unklaren Fieber, bei Unterbauchschmerzen, Wiedereinnässen oder Blut im Urin nötig. / Foto: Adobe Stock/H_Ko
Eine aktuelle Studie deutet darauf hin, dass fünf Tage Antibiose reichen könnten, um einen HWI bei Kindern zu therapieren (22). Die Kurzzeit-Antibiose könne laut den Wissenschaftlern erwogen werden, wenn sich nach den ersten fünf Behandlungstagen eine klinische Verbesserung einstellt. An der randomisierten, placebokontrollierten Studie hatten insgesamt 664 Kinder mit HWI teilgenommen.
Eine asymptomatische Bakteriurie (ABU) verläuft ohne Entzündungszeichen. Davon sind 1 bis 3 Prozent aller Säuglinge und Kleinkinder sowie 1 Prozent aller Kinder betroffen. Keime niedriger Virulenz führen lediglich zu einer Kolonisation, nicht jedoch zu einer Infektion. Die Bakteriurie verschwindet meistens spontan innerhalb von Tagen bis Monaten, ohne dass sich eine symptomatische HWI entwickelt. Eine antibakterielle Therapie ist nicht angezeigt (19).
Häufige Infektionen im Kindesalter wie Halsschmerzen, Erkältungen, Husten oder Grippe werden durch Viren verursacht. Antibiotika können Viren nicht abtöten und sind daher nicht indiziert.
Auch bei viralen Pneumonien sind meist keine Antibiotika angezeigt, sondern eine engmaschige Verlaufskontrolle und gegebenenfalls eine antiobstruktive Therapie. Bei Kindern mit einer nicht-schweren ambulant erworbenen Pneumonie und ohne Risikofaktoren kann zunächst »watchful waiting« angewendet werden (23). Das sogenannte »safety-netting« können Ärzte bei klinischer Unsicherheit anwenden. Sie geben den Eltern Sicherheitsratschläge (safety-net advice) mit auf den Weg, damit diese erkennen können, wann ihr Kind weitere medizinische Hilfe benötigt (23).
Wenn eine bakterielle Pneumonie antibiotisch behandelt werden soll, bekommen Kinder ab dem sechsten Lebensmonat bevorzugt Amoxicillin-Trockensaft (Tabelle2). Die Eltern achten darauf, dass das Kind viel trinkt. Kinder unter sechs Monaten sollten stationär aufgenommen und parenteral therapiert werden (14).
Schwere Infektionen bei jungen Kindern müssen mitunter stationär behandelt werden. / Foto: Adobe Stock/lisalucia
Infektionen des Gehirns (Enzephalitis) oder der Hirnhäute (Meningitis) können unbehandelt zu bleibenden Schäden führen und sogar tödlich enden. Zu den Leitsymptomen zählen Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, Fieber und Aufmerksamkeitsstörungen. Häufige bakterielle Erreger bei kleinen Kindern sind Streptokokken der Gruppe B, Haemophilus influenzae Typ B (Hib), Meningokokken, Pneumokokken, Escherichia coli oder Listerien. Es handelt sich um einen medizinischen Notfall, der im Krankenhaus behandelt werden muss. Zunächst kalkuliert, dann nach Erregernachweis gezielt ausgesuchte Antibiotika sowie Dexamethason gegen die Schwellung des Gehirns werden intravenös verabreicht. Vorbeugend können Eltern ihren Nachwuchs gegen einige Erreger wie Meningokokken, Pneumokokken und Haemophilus Influenzae impfen lassen (24).
Kinder, die an bestimmten schweren chronischen Krankheiten leiden, können dauerhaft auf Antibiotika angewiesen sein. Ein Beispiel ist die angeborene Multiorganerkrankung Mukoviszidose (Zystische Fibrose, CF). Bei der autosomal-rezessiv vererbten Erkrankung ist der epitheliale Ionenkanal CFTR (Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator) in der Funktion beeinträchtigt oder fehlt ganz. Die Patienten sind dadurch anfällig für chronische bakterielle Infektionen des bronchopulmonalen Systems. Bei Kindern sind die häufigsten Erreger Staphylococcus aureus und Haemophilus influenzae.
Daher inhalieren die meisten CF-Patienten ganzjährig oder intermittierend Antibiotika. Bei einer akuten Verschlechterung (Exazerbation) kommen meistens intravenöse oder orale Antibiotika hinzu. Bei Pseudomonas-aeruginosa-Infektionen sind Ciprofloxacin und Levofloxacin wirksam. In der S3-Leitlinie »Lungenerkrankung bei Mukoviszidose: Pseudomonas aeruginosa« aus 2022 finden sich Behandlungsschemata und Dosierempfehlungen für geeignete Antibiotika (25, 26).
Die Verordnung eines Antibiotikums kann Eltern verunsichern. Manche befürchten unerwünschte Wirkungen wie nachhaltige Veränderungen des kindlichen Mikrobioms. Völlig ausschließen kann man Nebenwirkungen zwar bei keiner Therapie, doch das Apothekenteam kann über die Nutzen-Risiko-Abwägung aufklären und beruhigen. Zudem kann es zur prophylaktischen Einnahme eines Probiotikums beraten (Kasten).
Bei jedem Antibiotikum ein Probiotikum: Wie gut ist diese Empfehlung für pädiatrische Patienten? Das überprüften Autoren 2019 in einem Cochrane-Review, für den sie 23 Studien mit 6352 Kindern auswerteten (30, 31). Die Teilnehmer wendeten Probiotika (Lactobacillispp., Bifidobacterium spp., Streptococcusspp. oder Saccharomyces boulardii allein oder in Kombination), Placebos, keine oder andere Behandlungen zur Vorbeugung von Antibiotika-assoziierter Diarrhö (AAD) an. Probiotika konnten pro neun behandelten Kindern einen Fall von Durchfall verhindern. Präparate mit höherer Dosis (≥ 5 Milliarden KBE pro Tag) schienen besser wirksam zu sein als niedriger dosierte Präparate. Die beste Wirksamkeit zeigten Lactobacillus rhamnosus und Saccharomyces boulardii bei 5 bis 40 Milliarden KBE/Tag.
Eine allgemeine Empfehlung wollten die Autoren jedoch nicht geben. Zwar scheinen gesunde Kinder Probiotika gut zu vertragen. Selten wurden Nebenwirkungen wie Ausschlag, Übelkeit, Blähungen oder Verstopfung berichtet. Bei stark geschwächten oder immunschwachen Kindern mit Risikofaktoren, Grunderkrankungen oder Zentralvenenkatheter traten aber schwere Nebenwirkungen auf, weshalb Probiotika nicht allgemein empfohlen werden sollten.
Antibiotika-Zubereitungen sind im flüssigen Zustand nicht lange haltbar und sind daher oft als Trockensaft im Handel. Die (gefrier)getrockneten Inhaltsstoffe müssen kurz vor Gebrauch in Wasser gelöst oder suspendiert werden (28, 29). Viele Eltern freuen sich, wenn das Apothekenteam den Saft als Serviceleistung für sie anmischt. Vorab verrät ein Blick in die Gebrauchsanweisung, ob man Leitungswasser verwenden kann oder ob speziell gereinigtes Wasser erforderlich ist. So braucht man zum Beispiel mineralarmes Wasser, wenn das Antibiotikum mit Calcium- und Magnesiumsalzen aus hartem Leitungswasser nicht resorbierbare Komplexe bildet.
Im ersten Schritt wird das Pulver durch Klopfen aufgelockert. Das Wasser wird portionsweise – meistens in zwei Gaben – zugegeben; zwischendurch wird die Flasche kräftig geschüttelt. Die erste Wasserzugabe sollte nicht zu gering sein, da sich sonst trockenes Pulver an Wand oder Boden in einem Film einschließen kann. Wenn sich beim Schütteln Schaum bildet, muss dieser erst zerfallen, bevor bis zur Markierung aufgefüllt wird.
Wichtig ist es, das Herstelldatum auf die Flasche zu schreiben. Die vom Arzt auf dem Rezept dokumentierte Dosierung ist ebenfalls auf die Umverpackung des Arzneimittels zu übertragen. Vor jeder Entnahme wird die Flasche kräftig geschüttelt, da sich Pulver absetzen kann. Wenn dabei Schaum entsteht, können Eltern mit einer Dosierspritze das Arzneimittel ohne Schaum entnehmen. Der Abstand zwischen den einzelnen Einnahmen sollte möglichst genau eingehalten werden, um optimale Wirkstoffspiegel im Körper sicherzustellen.
Gute Aufklärung in der Apotheke kann viele Bedenken der Eltern vor Nebenwirkungen zerstreuen. / Foto: ABDA
Bei Kindern können Milch und Milchprodukte einen hohen Stellenwert in der Ernährung haben. Hier ist der Hinweis wichtig, dass Tetracycline und Fluorchinolone bei gleichzeitiger Einnahme mit Milch vermindert wirksam sind. Sie bilden zusammen mit zwei- und dreiwertigen Metallionen wie Calcium-, Magnesium-, Zink-, Eisen- und Aluminium-Ionen stabile Chelatkomplexe. Die Komplexe sind nicht resorbierbar. In der Folge werden die benötigten Konzentrationen der Antibiotika im Blut nicht erreicht.
Für eine genaue Dosierung stellen Hersteller meistens skalierte Applikationsspritzen oder Messbecher mit dem Antibiotikum zur Verfügung. Eltern sollten immer die Messhilfe verwenden, die der Packung beiliegt. Am genauesten lassen sich Säfte mit einer Spritze (ohne Nadel) dosieren. Säuglingen können Eltern das Arzneimittel daraus direkt in den Mund verabreichen.
Einige Antibiotika wie Tetracycline machen die Haut lichtempfindlicher. Das Apothekenteam sollte die Eltern informieren, dass ihr Kind während der Therapie Sonneneinstrahlung am besten meiden oder ein Sonnenschutzmittel verwenden soll.
Antibiotika sollten stets so lange wie verordnet eingenommen werden. Werden sie zu früh abgesetzt, können sich Resistenzen entwickeln. Reste müssen entsorgt werden. Eltern können sie dazu in der Apotheke abgeben. Antibiotika sind nur für den aktuellen Krankheitsfall vorgesehen. Die Arzneimittel aus Angst vor einem Mangel für zukünftige Krankheiten aufzubewahren oder an andere Personen weiterzugeben, ist nicht sinnvoll und kann sogar schaden (27).
Nicole Schuster studierte zwei Semester Medizin, dann Pharmazie und Germanistik in Bonn und später in Düsseldorf. Während ihres Studiums machte sie Praktika bei verschiedenen wissenschaftlichen Verlagen. Nach der Approbation absolvierte Schuster ein Aufbaustudium in Geschichte der Pharmazie in Marburg und wurde 2016 zum Doktor der Naturwissenschaften promoviert. Die PZ-Leser kennen Schuster als Autorin zahlreicher Fachbeiträge.