Anders schön |
Als Gemische aus Pigmenten, Trägerflüssigkeit, Verdickern, Konservierungsmitteln und einer Vielzahl anderer teilweise unbekannter Einzelsubstanzen bergen Tattoo-Farben auch Gefahren. Zur Risikoeinschätzung fehlen Langzeitbeobachtungen. Es gibt jedoch erste Hinweise, dass es zu chronischen Gesundheitsschäden kommen kann.
Als Gemische aus Pigmenten, Trägerflüssigkeit, Verdickern, Konservierungsmitteln und einer Vielzahl anderer teilweise unbekannter Einzelsubstanzen bergen Tattoo-Farben besondere Risiken. / Foto: Adobe Stock/Yakobchuk Olena
Nach Einschätzung der European Chemicals Agency (ECHA) vom 21. Januar 2020 können Tätowierfarben Substanzen beinhalten, die nicht nur Allergien beziehungsweise Schwellungen, Rötungen, Juckreiz oder Ausschläge auslösen (13, 14), sondern zudem unter anderem krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend sind.
Unter den circa 4000 Chemikalien in Tätowierfarben spielen hier unter anderem Polycyclische Aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), Nitrosamine, aromatische Amine, Formaldehyd(abspalter), halogenorganische Stoffe, Nickel, weitere Metalle, Methanol und spezifische Pigmente eine Rolle (15).
Untersuchungen zeigen, dass Letztere vielfach von Makrophagen umhüllt werden, die dazu beitragen können, dass die Farben nicht nur lebenslang in der Haut verweilen, sondern sich auch im Organismus verteilen können (16, 17).
Manche Tattoo-Farben enthalten infolge der Spaltung auch Nanopartikel, die in der Lage sind, sich besonders schnell über Lymphe und Blutstrom im Körper zu verbreiten beziehungsweise in innere Organe zu gelangen (18, 19).
Da chronische Gesundheitsauswirkungen wie die Entstehung von Krebs erst Jahre oder Jahrzehnte nach Einwirkung der Schadstoffe auftreten, lassen sich nachweisliche Zusammenhänge zwischen Tattoos und chronisch schädlichen Effekten bislang noch nicht aufzeigen. Lediglich einige Studien zeigen bereits, dass das Stechen von Tattoos das Risiko der Entstehung von Hautkrebs erhöhen kann (20, 21).
Tätowiermittel unterliegen in Europa der »Richtlinie 2001/95/EG über die allgemeine Produktsicherheit« (22) sowie der EU-Kosmetik-Verordnung (23). In Deutschland erfolgt die Reglementierung der Tätowiermittel durch die 2009 in Kraft getretene Tätowiermittelverordnung (TätoV). Diese umfasst Negativlisten mit gesundheitsschädlichen Substanzen, die nicht in Tätowierfarben enthalten sein dürfen, jedoch keine Positivlisten mit Pigmenten, die in Tätowiermitteln ohne Gesundheitsrisiko verwendet werden können (24).
Dies wäre jedoch als Orientierung sowohl für Tätowierer als auch für Tätowierwillige wünschenswert, da ansonsten auch die »Rapid Exchange of Information System«-(Rapex-)Liste als Schnellwarnsystem der Europäischen Kommission nur Meldungen zu schädlichen Tattoo-Farben sowie entsprechende Zusatzinformationen für Tätowierer über gefährliche Inhaltsstoffe in Tattoo-Farben umfasst.
Ganzkörpertätowiert mit zahlreichen Implantaten und Piercings unter und in der Haut: der Berliner Magneto. / Foto: Raymond Angeles
Bodymodification ist ein Sammelbegriff für alle Aktivitäten, die mehr oder weniger permanent den Körper verändern. Dazu zählen genau genommen auch das Rasieren oder Färben der Haare, Kraftsport sowie Abnehmkuren (31). Unterschieden werden medizinische Bodymodifications wie Liftings oder Brustimplantate und nicht medizinische Bodymodifications, zu denen neben Tattoos und Piercings auch extremere Formen, zum Beispiel Ziernarben, Zierimplantate, Spaltungen oder sogar Amputationen zählen.
Unter »Skarifikation« (lateinisch: scarificatio/scarifatio = das Ritzen) versteht man das Einbringen von Ziernarben in die Haut. Schmucknarben durch Verbrennungen werden durch »Branding« geschaffen. Beim Heißbrandverfahren wird die Haut mit glühenden Stahlplättchen oder Draht im gewünschten Muster verbrannt. Bei der Kaltbrandversion geschieht dies durch ein mit flüssigem Stickstoff auf minus 80 Grad heruntergekühltes Eisen.
Beim »Cutting« werden kontrolliert Narben durch Schnitte in die Haut erzeugt. Für einfache Strichnarben wird die Haut mit einem Skalpell je nach Stelle circa 3 Millimeter tief eingeschnitten. Bei kunstvollen Motiven hingegen ist es notwendig, eine Fläche mit dem Skalpell zu umkreisen und die Haut anschließend abzuziehen (»skin removal«). Um besonders gut sichtbares Narbengewebe zu erzeugen, wird der Heilungsprozess durch wiederholtes Öffnen der Schnitte oder Einreiben mit Essig irritiert.
Eine weitere Möglichkeit der Hautveränderung bieten Zierimplantate. Ein »Transdermal« ist ein unter der Hautoberfläche liegendes Metallplättchen mit einem durch die Haut ragenden Gewindestab, auf den Schmuck geschraubt werden kann. Ein »Implant« hingegen ist ein subdermales Implantat meist aus Silikon, das sich in einer mittels Dermal-Elevator geschaffenen Hauttasche befindet. Durch Verkapselung des 3-D-Fremdkörpers nach circa sechs Wochen verbleibt dieser an dem gewünschten Ort und verändert dauerhaft Optik und Form der Hautstelle.
»Splitting« ist das Teilen verschiedener Körperteile. Am extremsten ist hierbei die »Subinzision«, also die teilweise oder vollständige Spaltung der Unterseite des Penis entlang der Harnröhre. Die bekannteste Form ist das »Forking«, die Spaltung der Zunge. Hierbei wird der vordere Teil der Zunge mit einem Skalpell entlang der Mittellinie aufgeschnitten und die Wunden werden durch Vernähen oder mit Hitze geschlossen.
Die sicherlich fragwürdigste Form der Bodymodification ist die komplette Abtrennung eines Körperteils und hier unter anderem die Amputation eines Arms oder Beins (31), wenn diese Gliedmaßen als »unästhetisch« beziehungsweise fremd und störend empfunden werden.
Als Ursache der sogenannten »Body Integrity Identity Disorder«, also der seit 2008 in der psychiatrischen Literatur aufgezeigten, wenn auch seltenen, jedoch zunehmenden »Körperintegritäts-Identitätsstörung«, werden neuroanatomische Veränderungen funktioneller Hirnregionen, genauer Beeinflussungen des funktionellen Vernetzungsgrads und der Dichte der grauen Substanz in bestimmten Hirnregionen, diskutiert (32). Diese Erkrankung wurde 2019 in die »Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme« (ICD 11) aufgenommen.