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Apothekenreform geplant

Ampel-Parteien stellen ihren Koalitionsvertrag vor

Ein wenig mehr als zwei Monate nach der Bundestagswahl ist es soweit: Die Ampel-Parteien haben sich auf gemeinsame Kernpunkte geeinigt. Sie planen weitgehende Neuerungen im Apothekensystem. Auch ein neues Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz steht auf dem Plan. Die ursprünglich vorgesehene Absenkung der Mehrwertsteuer auf Arzneimittel ist aber wieder gestrichen.
Jennifer Evans
24.11.2021  15:50 Uhr

Bereits seit dem 21. Oktober haben SPD, Grüne und FDP darüber verhandelt, wie eine gemeinsame Bundesregierung aussehen könnte. Die strittigen Punkte haben die drei Parteien nun überwunden und am heutigen Mittwoch in Berlin ihren Koalitionsvertrag mit dem Namen »Mehr Fortschritt wagen« vorgestellt. Ziel ist es demnach, ein »lernendes Deutschland und eine lernende Politik« anzustreben, heißt es seitens der Koalitionäre während der heutigen Pressekonferenz in Berlin. Vor den großen Herausforderungen und Krisen wolle man sich nicht verstecken, sondern einen »Paradigmenwechsel einleiten«. Sie sprechen auch von »einem neuen Anfang« für das Land.

Ganz grundsätzlich wollen die Ampel-Partner Deutschland modernisieren und den Fortschritt des Landes vorantreiben und gestalten. Die Palette reicht von Klimaschutz über Digitalisierung und Kindergrundsicherung bis hin zu bezahlbaren Wohnungen, stabilen Renten und der Bewältigung der Coronavirus-Krise. Relevant für die Apotheken ist das Kapitel Gesundheit und Pflege, über dessen Entwurf die PZ bereits berichtete. (Hier finden Sie die Analyse der apothekenpolitischen Pläne der Ampel Koalition.)

Mit dem 177-seitigen Koalitionsvertrag der Ampel-Partner kommen auf die Apotheken einige Veränderungen zu. Geeinigt haben sich SPD, FDP und Grüne heute unter anderem darauf, das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz zu novellieren, um so die pharmazeutischen Dienstleistungen besser zu honorieren. In diesem Zusammenhang ist von Effizienzgewinnen in Sachen Finanzierung die Rede. Die Frage ist letztlich, welche Auswirken das auf das Fixhonorar haben wird?

Versorgung auf dem Land stärken

Auch wollen SPD, FDP und Grüne die Arzneimittelversorgung auf dem Land an den Notfallzentren verbessern, indem sie die Apothekenbetriebsordnung flexibilisieren. Der Nacht- und Notdienstfonds soll zu einem Sicherstellungsfonds werden, um die Landapotheken zu stärken. Außerdem sollen Arznei-, Heil- und Hilfsmittelverordnungen sowie Videosprechstunden, Telekonsile, Telemonitoring und die telenotärztliche Versorgung in Zukunft zur Regelversorgung gehören. Ob die Apotheker damit künftig etwa das Recht bekommen, auf die elektronische Patientenakte (EPA) zuzugreifen, ist noch unklar. Beschleunigen wollen die Vertragspartner jedenfalls die Einführung der elektronischen Patientenakte (EPA) und des E-Rezepts. Und die Gematik wollen sie »zu einer digitalen Gesundheitsagentur« ausbauen. Aber nicht nur weitere Schritte in Sachen Digitalisierung sollen das deutsche Gesundheitssystem in der nächsten Legislaturperiode effizienter machen, auch auf weniger Bürokratie im Gesundheitswesen einigten sich die Vertragspartner am heutigen Mittwoch.

Angesichts der Lieferengpass-Problematik, die sich in der Covid-19-Pandemie verschärft hatte, verständigten sich die Ampel-Parteien ebenfalls darauf, die Arzneimittelherstellung inklusive der Wirk- und Hilfsstoffproduktion wieder mehr auf Deutschland und die EU zu konzentrieren. Dabei ist auch von Zuschüssen die Rede, die womöglich im Vorfeld über die Rabattverträge geregelt werden könnten. Um Interessenkonflikte zu vermeiden, wollen sie in diesem Bereich »mehr Transparenz über finanzielle Zuwendungen an Leistungs- und Hilfsmittelerbringer« schaffen.

Attraktiver sollen künftig die sogenannten Selektivverträge  oder »bevölkerungsbezogene Versorgungsverträge« gestaltet sein. Und um die sektorenübergreifende Versorgung zu stärken, sollen Kassen und Leistungserbringer bei ihren Verträgen einen größeren gesetzlichen Spielraum erhalten.

Pandemie-Erleichterungen sollen bleiben

Bleiben sollen außerdem »die Verfahrenserleichterungen, die sich in der Pandemie bewährt haben«. Das könnte dann auch die erleichtere Abgabe von Arzneimitteln betreffen. Eine Reform ist außerdem für den Gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA) vorgesehen. Zum einen, um die Entscheidungen der Selbstverwaltung zu beschleunigen und zum anderen, um den Gesundheitsberufen weitere Mitsprachemöglichkeiten einzuräumen, sobald diese von den G-BA Entscheidungen betroffen sind. Vorgesehen ist ebenfalls, den Innovationsfonds zu verstetigen.

Unter anderem die Krankenkassen hatten sich seit Langem über die überhöhten Preise im ersten Jahr nach der Zulassung eines Medikaments beschwert. Die Parteien einigten sich in dem neuen Dokument nun darauf, dass sie das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) weiterentwickeln wollen und der Erstattungspreis künftig bereits ab dem siebten Monat nach Markteintritt greifen soll. Dort könnte für die Apotheken womöglich ein Verlust lauern, da die Vergütung aufgrund der 3-Prozent-Marge in Abhängigkeit zum Arzneimittelpreis steht.

Was die Cannabis-Abgabe angeht, stehen nun lizenzierte Geschäfte im neuen Vertrag. Wer allerdings solche Lizenzen erwerben kann, bleibt offen.  Die Parteien sehen damit »die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet.» Wie sich das Gesetz auf die Gesellschaft auswirkt, wollen sie alle vier Jahre überprüfen.

Nicht mehr Teil des Vertrags ist die noch im ersten Entwurf vorgesehene Mehrwertsteuer-Absenkung auf Arzneimittel auf 7 Prozent. Gut für die Apotheken. Welche finanziellen Verluste das nach sich ziehen kann, erlebten sie bereits während der Pandemie, als die Bundesregierung vorübergehend die Mehrwertsteuer auf 16 Prozent herabsetzte. Auch die ursprünglich geplante Erhöhung des Herstellerrabatts für patentgeschützte Arzneimittel auf 16 Prozent ist weggefallen.

Bei der Frage, wer konkret demnächst das Bundesgesundheitsministerium übernehmen wird, hielten sich die Ampel-Partner bei der Pressekonferenz allerdings weiterhin bedeckt. Klar ist nur: Das Amt wird an die SPD gehen. Der Kandidat werde erst am Parteitag am 4. Dezember bekanntgeben, hieß es. In den nächsten zehn Tagen müssen die Parteigremien dem Vertrag der ersten Ampel-Koalition auf Bundesebene noch offiziell zustimmen. SPD und FDP wollen Parteitage am ersten Dezember-Wochenende abhalten, die Grünen eine Mitgliederbefragung. Gibt es grünes Licht von allen Seiten, kann Olaf Scholz bereits Anfang Dezember zum neuen Bundeskanzler gewählt werden.

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