»Wir brauchen strukturelle Lösungen« |
Laura Rudolph |
12.07.2022 07:00 Uhr |
Zu niedrig angesetzte Festbeträge zwingen Generikaunternehemn zunehmend in die Knie. Von der GKV erhalten sie für eine Tagesdosis eines Generikums durchschnittlich nur etwa 6 Cent.
PZ: Seit wann und warum haben die Kosten zur Produktion und Bereitstellung von Generika so stark zugenommen?
Bretthauer: Die Kosten zur Her- und Bereitstellung von Generika nehmen seit etwa drei bis fünf Jahren nochmals stetig zu. Zum einen kommt dies durch eine stark gestiegene Nachfrage nach einer Grundversorgung mit essenziellen Arzneimitteln, vor allem in Asien. Das hat die Preise für bestimmte Roh- und Wirkstoffe stark in die Höhe getrieben. Andererseits hat auch die Coronapandemie die Lage verschärft.
PZ: Wie hat sich die Pandemie und die Lockdown-Politik Chinas auf die Generika-Produktionskosten ausgewirkt?
Bork Bretthauer ist seit 2011 Geschäftsführer von Pro Generika. / Foto: Pro Generika /Svea Pietschmann
Bretthauer: Die Pandemiefolgen treiben die Kosten für Generika zusätzlich in die Höhe. Große Lockdowns in China führten zu Produktionsunterbrechungen in Arzneimittelfabriken. Ein weiteres großes Problem stellen pandemiebedingt unterbrochene Lieferketten dar. Auch die Transportkosten sind stark gestiegen: Beispielsweise hat sich der Preis für eine Seefrachtladung von Shanghai nach Rotterdam während der Pandemie um 500 Prozent erhöht. Das Problem für die Generikaunternehmen: Diese Mehrkosten werden ihnen von den Krankenkassen nicht erstattet. Denn beispielsweise gibt es viele Festbeträge, die der Spitzenverband der Krankenkassen festlegt, die seit Jahren fix sind – meist auf Kellerniveau.
PZ: Im SGB V gibt es aber doch zumindest die Idee des Inflationsausgleiches für Pharma-Hersteller…
Bretthauer: Ja, die gibt es – allerdings mit einem großen Haken. Der Inflationsausgleich ist nur für Arzneimittel vorgesehen, die nicht zu einer Festbetragsgruppe gehören. Das sind jedoch sehr wenige Generika. Und so kommt es, dass die produzierenden Unternehmen in der Regel auf den – stetig steigenden – Mehrkosten sitzen bleiben.
PZ: Der Ukraine-Krieg kommt erschwerend hinzu. Was würde ein kompletter Gas-Stopp in Deutschland für die Industrie bedeuten?
Bretthauer: Vor diesem Szenario können wir gar nicht genug warnen. Ein Gas-Stopp würde nicht nur die Arzneimittelproduktion selbst stark beeinträchtigen. Ohne ausreichende Energieversorgung ist es auch nicht möglich, Arzneimittellager zu kühlen. Unsere Unternehmen müssten massenhaft Ware vernichten, die dringend gebraucht wird. Das darf nicht geschehen. Wir stehen dazu schon jetzt in einem dauerhaften Austausch mit mehreren Bundesministerien und der Bundesnetzagentur, um auf die Bedeutung der Gasversorgung für die Arzneimittelversorgung hinzuweisen.
PZ: Gibt es spezielle Arzneimittelgruppen, die derzeit besonders von Lieferengpässen betroffen sind?
Bretthauer: Engpässe können prinzipiell alle Arzneimittel betreffen. Besonders gefährdet sind beispielsweise Parenteralia. Hier gibt es oft ohnehin nur eine Handvoll Hersteller. Gleichzeitig ist die sterile Herstellung sehr teuer, aufwändig und störanfällig. All das sorgt dafür, dass die Produktion bei steigendem Kostendruck immer unattraktiver wird und immer weniger Hersteller an der Versorgung teilnehmen. Leider das klassische Szenario, bei dem es dann oft zu Engpässen kommt.
PZ: Welche schnellwirksamen Möglichkeiten sehen Sie, Arzneimittelengpässe bei Generika zu verhindern und die Liefersituation zu stabilisieren?
Bretthauer: Arzneimittelengpässe sind ein strukturelles Problem, das dringend strategisch, also längerfristig gelöst werden muss. Schnellwirksame Effekte gibt es nicht viele. Kurzfristig könnte es helfen, die anstehenden Festbetragsanpassungen, die den Preis in der Regel senken, auszusetzen und Preisgleitklauseln in den Rabattverträgen einzuführen. Letztere würden verhindern, dass ein vor der Krise verhandelter Mega-Rabatt einem Unternehmen über die Dauer von zwei oder drei Jahren das Genick bricht. Mittel- und langfristig brauchen wir ein Preissystem, das atmet.
PZ: Haben Sie konkrete Verbesserungsvorschläge?
Bretthauer: Die Krankenkassen zahlen Generikaunternehmen für eine Tagesdosis eines Generikums durchschnittlich nur etwa 6 Cent. Das ist so wenig, dass immer mehr Hersteller bestimmte Arzneimittel aus der Versorgung zurückziehen müssen. Je weniger Unternehmen aber an der Versorgung teilnehmen, umso höher ist das Risiko von Engpässen. Dieser Marktverengung müssen wir unbedingt entgegenwirken, in dem wir bei den betreffenden Wirkstoffen rechtzeitig den Kostendruck lockern. Außerdem müssen wir weg vom Hauptsache-Billig-Prinzip in den Krankenkassen-Ausschreibungen. Hier darf es nicht länger nur um den Preis gehen. Auch Investitionen der Unternehmen, beispielsweise in robustere Lieferketten, müssen eine Rolle spielen.
PZ: Etwa zwei Drittel der Generika werden in Asien produziert. Wie können sich deutsche Generika-Unternehmen langfristig weniger abhängig machen und wieder vermehrt in Europa produzieren?
Bretthauer: Die Produktion von Arzneimitteln wieder gänzlich nach Europa zu verlegen ist weder realistisch noch notwendig. Da sind sich nahezu alle Expertinnen und Experten einig. Es ist an sich nicht zwingend problematisch, dass Wirkstoffe beziehungsweise Arzneimittel mehrheitlich im außereuropäischen Ausland produziert werden. Das Kernproblem ist, dass sich die Produktion auf sehr wenige Hersteller und Regionen, vor allem in China und Indien, konzentriert. Dadurch entsteht ein Klumpenrisiko und eine hohe Abhängigkeit.
PZ: Wie lässt sich dieses Klumpenrisiko aufweichen?
Bretthauer: Um dieses zu senken, benötigt es mehr Diversifizierung – und Anreize für Unternehmen, Generika regional diversifiziert herzustellen. Das ist besonders für versorgungskritische Wirkstoffe wie beispielsweise Antibiotika oder in der Intensivmedizin benötigte Arzneien relevant. Die bestehende Arzneimittel- und Wirkstoffproduktion in Europa gilt es zu unterstützen und weiter auszubauen. Die Vorgabe der Politik an die Kassen war zu lange: »Kauft billig.« Sie muss jetzt lauten: »Kauft nachhaltig und diversifiziert.«
PZ: Nun plant das BMG ja derzeit eine große GKV-Sparreform, mit der insbesondere im Pharma-Bereich gespart werden soll. Eigentlich sollen in erster Linie forschender Hersteller zu Sparmaßnamen gezwungen werden. Befürchten Sie, dass sich die Sparmaßnahmen trotzdem auch auf Generika-Hersteller auswirken könnten?
Bretthauer: Die Gesundheitspolitik hat zu lange an der Grundversorgung mit Arzneimitteln gespart. Weitere Sparmaßnahmen würden die Generikaunternehmen unter massiven Kostendruck setzen. Aus der Politik bekommen wir aber Signale, dass es beim GKV-Finanzstabilisierungsgesetz nicht um Generika-Unternehmen gehen soll.
PZ: Die Bundesregierung hat zum wiederholten Male die SARS-Cov-2-Arzneimittel-Versorgungsverordnung verlängert. Wie bewertet Pro Generika die Maßnahmen? Wie würde Pro Generika eine Verstetigung kommentieren?
Bretthauer: Pro Generika hat keine systemische Analyse über die Auswirkungen der Verordnung auf die Generikaunternehmen durchgeführt. Aber wir haben die Firmen nach ihrer Einschätzung befragt und gespiegelt bekommen, dass die Rabattquoten in der Pandemiezeit trotz der neuen Abgabefreiheiten für die Apotheken weiterhin sehr hoch sind. Da die Verordnung die Versorgung für Patienten erleichtert und die Apotheker von Bürokratie entlastet werden, spricht nichts gegen eine für Patientinnen und Patienten sowie für Apotheken pragmatische Lösung.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.