Wie vom Blitz getroffen |
Kerstin A. Gräfe |
22.05.2024 07:00 Uhr |
Zu den Prophylaxe-Medikamenten der zweiten Wahl gehört neuerdings aufgrund einer guten Evidenz und Verträglichkeit auch Botulinumtoxin Typ A, konkret Onabotulinumtoxin A. Vermutlich wird Botulinumtoxin in nozizeptive Afferenzen aufgenommen, in das Ganglion und die zentralen Endigungen transportiert und hemmt dort die Ausschüttung von Neurotransmittern wie Glutamat, Substanz P und CGRP sowie den Einbau von TPRV1-Rezeptoren auf der Zelloberfläche. Wichtige Medikamente der zweiten Wahl sind zudem Phenytoin, Baclofen, Lidocain intranasal/intraoral und Topiramat.
Als dritte Wahl kommt unter anderem Misoprostol infrage, das als einziges Medikament explizit bei der sekundären Trigeminusneuralgie bei Multipler Sklerose (MS) getestet wurde. Als Wirkmechanismus wird eine antiinflammatorische Wirkung an MS-Plaques postuliert. Den Leitlinienautoren zufolge ist allerdings fraglich, ob dies im längeren Verlauf einer MS noch eine Rolle spielt. Des Weiteren ist als Medikament der dritten Wahl Lacosamid Erfolg versprechend. Therapieversuche können zudem mit Levetiracetam, Capsaicin-Creme/Patch, Lidocain topisch (5-Prozent-Patch), Valproat, Ambroxol-Creme und Eslicarbazepin unternommen werden.
Als nicht wirksam stufen die Leitlinienautoren derzeit den Anti-CGRP-Antikörper Erenumab ein. Migräneantikörper auch bei Trigeminusneuralgie einzusetzen, beruht auf der Erkenntnis, dass die Betroffenen ebenso wie Migränepatienten erhöhte Blutspiegel des Neuropeptids CGRP haben und diese nach einer erfolgreichen Behandlung wieder abfallen. Zwar zeigte Erenumab in einer kleinen Fallserie eine gute Wirksamkeit, doch fand eine randomisierte klinische Studie vier Wochen nach der Injektion keinen Unterschied zwischen Erenumab und Placebo hinsichtlich der Schmerzintensität oder Attackenhäufigkeit (»Lancet Neuroloy« 2022, DOI: 10.1016/S1474-4422(22)00294-0). Unklar bleibe, ob eine längere Behandlung wirksam gewesen wäre, so die Leitlinienautoren.
Bei einer Exazerbation muss die Therapie möglich rasch intensiviert werden. Viele der eingesetzten Medikamente sind mit Nebenwirkungen behaftet, die von den meisten Patienten aber aufgrund der Schwere der Attacken in Kauf genommen werden. Als zugelassenes Medikament steht Phenytoin intravenös zur Verfügung, das auch oral weitergenommen werden kann. Die Leitlinienautoren verweisen auf das erhebliche Interaktionspotenzial, das auch beim Einsatz von des Zweite-Wahl-Wirkstoffs Pimozid beachtet werden muss. Eine weitere Option ist Clonazepam, das als dritte Wahl eingestuft wird, aber den Vorteil eines geringen Interaktionsrisikos hat.
Als Alternative zu Phenytoin führt die Leitlinie erstmals Lacosamid an, das ebenfalls intravenös begonnen und oral fortgeführt werden kann. Qualitativ hochwertige Studien fehlen aber noch. Gut verträglich und wirksam ist zudem die intranasale/intraorale Anwendung von Lidocain-Spray, das auch längerfristig bei Exazerbationen eingesetzt werden kann. Eine untergeordnete Rolle spielt subkutanes Sumatriptan, möglicherweise wegen kardiovaskulärer Kontraindikationen bei älteren Patienten. Auch Lokalanästhetika subkutan im Trigeminusgebiet oder am Okzipitalnerv können akute Exazerbationen bis zum Wirkeintritt der Prophylaktika überbrücken.