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Trigeminusneuralgie

Wie vom Blitz getroffen

Der Gesichtsschmerz einer Trigeminusneuralgie ist einer der stärksten Schmerzen überhaupt. Zur Behandlung listet die Leitlinie »Trigeminusneuralgie« ein Arsenal an Wirkstoffen auf. Eine Zulassung in der Indikation haben aber lediglich zwei davon.
AutorKontaktKerstin A. Gräfe
Datum 22.05.2024  07:00 Uhr

»Auf einer Skala von eins bis zehn – eine zwölf.« Als derart heftig beschreiben Betroffene die Schmerzen bei einer Trigeminusneuralgie. Sie zählen zu den stärksten Schmerzen, die es gibt, und schränken die Lebensqualität der Betroffenen massiv ein. Die seltene, neuropathische Erkrankung tritt meist nach dem 50. Lebensjahr auf; Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer (60 versus 40 Prozent).

Der Trigeminusnerv, auch fünfter Hirnnerv oder Drillingsnerv genannt, ist mit seinen sensiblen Ästen für die Wahrnehmung und Weiterleitung von Berührungs- und Schmerzreizen im Bereich des Gesichts verantwortlich (Grafik). Ursächlich für die Neuralgie scheint ein Blutgefäß zu sein, das den Nervus trigeminus im Bereich seines Austritts am Hirnstamm komprimiert (klassische Trigeminusneuralgie). Durch den Druck kommt es zu einer lokalen Demyelinisierung: Die Nervenzellen verlieren an der Druckstelle ihre schützenden Myelinhüllen. Dies führt zu einer Überregung der sensiblen Nervenfasern und zu dem charakteristischen sehr intensiven, plötzlich einschießenden, stromstoßartigen und meist einseitigen Gesichtsschmerz. Bei rund 15 Prozent der Patienten liegen andere Ursachen zugrunde wie Meningeome, andere raumfordernde Tumoren im Kleinhirnbrückenwinkel oder Multiple Sklerose (sekundäre Trigeminusneuralgie).

Meist dauert der Schmerz nur wenige Sekunden. Er kann aber bis zu 100-mal pro Tag auftreten. Dabei können die Attacken ohne Vorwarnung auftreten oder durch vorangegangene harmlose Reize wie Kauen, Sprechen, Schlucken oder Berührung ausgelöst werden. Bei starker Intensität löst der Schmerz häufig eine Kontraktion der Gesichtsmuskeln auf der betroffenen Seite aus (Tic douloureux). Zwischen den Attacken besteht bei den meisten Patienten Schmerzfreiheit, ein Teil von ihnen beschreibt jedoch einen dumpfen Dauerschmerz im betroffenen Areal.

Mittel der Wahl: Carbamazepin

In erster Linie wird die Erkrankung mit Wirkstoffen aus der Gruppe der Antikonvulsiva und Antiepileptika behandelt. Erst wenn die medikamentösen Optionen ausgeschöpft oder die Nebenwirkungen nicht tolerabel sind, werden chirurgische Maßnahmen eingesetzt. Bedingt durch den klinischen Verlauf unterscheidet man zwischen Wirkstoffen zur Langzeittherapie (Prophylaxe) und solchen zur Behandlung akuter Exazerbationen. Die Datenlage ist insgesamt allerdings dünn. Es gibt nur wenige qualitativ hochwertige randomisierte kontrollierte Studien (RCT) und kaum Vergleichsstudien. Die Therapieempfehlungen müssten sich weiterhin teilweise auf Expertenmeinungen stützen, heißt es dazu in der kürzlich aktualisierten S1-Leitlinie.

Die beste Datenbasis hat Carbamazepin, das neben Phenytoin in Deutschland das einzige Präparat mit einer Zulassung zur Behandlung der Trigeminusneuralgie ist. Eine Carbamazepin-Monotherapie gilt als Mittel der ersten Wahl zur Langzeittherapie, wobei retardierte Präparate bevorzugt werden sollten. Etwa 70 Prozent der Patienten sprechen zu Beginn auf die Behandlung an. Zu beachten sind die zentralen Nebenwirkungen wie Schwindel, Benommenheit und Gangataxie, die vor allem bei älteren Patienten die Therapie mit Carbamazepin limitieren können, sowie das Interaktionspotenzial.

Oxcarbazepin als Alternative

Wenn Carbamazepin prinzipiell wirksam ist, aber nicht vertragen wird, kann alternativ Oxcarbazepin eingesetzt werden. Im Vergleich zeigt es weniger zentralnervöse Nebenwirkungen, weniger unerwünschte Effekte auf Blutbild und Leberwerte sowie weniger Interaktionen. Allerdings entwickelt sich unter Oxcarbazepin häufig eine Hyponatriämie. Wird auf Oxcarbazepin umgestellt, erfolgt die Dosierung im Verhältnis 2 : 3 (200 mg Carbamazepin entsprechen 300 mg Oxcarbazepin). Die Leitlinienautoren befürworten einen Therapieversuch mit beiden Optionen, da das individuelle Ansprechen auf Carbamazepin und Oxcarbazepin sehr unterschiedlich sein könne.

Sind die Mittel der ersten Wahl gut verträglich, aber nicht ausreichend wirksam, kann eine Kombinationstherapie mit Substanzen der zweiten Wahl gegeben werden. Infrage kommen zum Beispiel Gabapentin/Pregabalin oder Baclofen. Mit ihnen ist auch eine Monotherapie möglich, wenn die Mittel der ersten Wahl nicht vertragen werden oder mit Nebenwirkungen einhergehen.

Bei guter Wirksamkeit, aber ungenügender Verträglichkeit der Erste-Wahl-Medikamente kann auf den besser verträglichen Natriumkanalblocker Lamotrigin umgestellt werden. Dies muss oft überlappend erfolgen, da Lamotrigin nur sehr langsam aufdosiert werden darf. Ziel sollte eine komplette Umstellung sein, da die Kombination von zwei Natriumkanalblockern nicht sinnvoll ist. Laut Leitlinie werden jedoch bei manchen Patienten auch mit der Kombination Lamotrigin und Carbamazepin/Oxcarbazepin Erfolge erzielt.

Gute Evidenz für Botulinumtoxin Typ A

Zu den Prophylaxe-Medikamenten der zweiten Wahl gehört neuerdings aufgrund einer guten Evidenz und Verträglichkeit auch Botulinumtoxin Typ A, konkret Onabotulinumtoxin A. Vermutlich wird Botulinumtoxin in nozizeptive Afferenzen aufgenommen, in das Ganglion und die zentralen Endigungen transportiert und hemmt dort die Ausschüttung von Neurotransmittern wie Glutamat, Substanz P und CGRP sowie den Einbau von TPRV1-Rezeptoren auf der Zelloberfläche. Wichtige Medikamente der zweiten Wahl sind zudem Phenytoin, Baclofen, Lidocain intranasal/intraoral und Topiramat.

Als dritte Wahl kommt unter anderem Misoprostol infrage, das als einziges Medikament explizit bei der sekundären Trigeminusneuralgie bei Multipler Sklerose (MS) getestet wurde. Als Wirkmechanismus wird eine antiinflammatorische Wirkung an MS-Plaques postuliert. Den Leitlinienautoren zufolge ist allerdings fraglich, ob dies im längeren Verlauf einer MS noch eine Rolle spielt. Des Weiteren ist als Medikament der dritten Wahl Lacosamid Erfolg versprechend. Therapieversuche können zudem mit Levetiracetam, Capsaicin-Creme/Patch, Lidocain topisch (5-Prozent-Patch), Valproat, Ambroxol-Creme und Eslicarbazepin unternommen werden.

Als nicht wirksam stufen die Leitlinienautoren derzeit den Anti-CGRP-Antikörper Erenumab ein. Migräneantikörper auch bei Trigeminusneuralgie einzusetzen, beruht auf der Erkenntnis, dass die Betroffenen ebenso wie Migränepatienten erhöhte Blutspiegel des Neuropeptids CGRP haben und diese nach einer erfolgreichen Behandlung wieder abfallen. Zwar zeigte Erenumab in einer kleinen Fallserie eine gute Wirksamkeit, doch fand eine randomisierte klinische Studie vier Wochen nach der Injektion keinen Unterschied zwischen Erenumab und Placebo hinsichtlich der Schmerzintensität oder Attackenhäufigkeit (»Lancet Neuroloy« 2022, DOI: 10.1016/S1474-4422(22)00294-0). Unklar bleibe, ob eine längere Behandlung wirksam gewesen wäre, so die Leitlinienautoren.

Mit Phenytoin Exazerbationen mildern

Bei einer Exazerbation muss die Therapie möglich rasch intensiviert werden. Viele der eingesetzten Medikamente sind mit Nebenwirkungen behaftet, die von den meisten Patienten aber aufgrund der Schwere der Attacken in Kauf genommen werden. Als zugelassenes Medikament steht Phenytoin intravenös zur Verfügung, das auch oral weitergenommen werden kann. Die Leitlinienautoren verweisen auf das erhebliche Interaktionspotenzial, das auch beim Einsatz von des Zweite-Wahl-Wirkstoffs Pimozid beachtet werden muss. Eine weitere Option ist Clonazepam, das als dritte Wahl eingestuft wird, aber den Vorteil eines geringen Interaktionsrisikos hat.

Als Alternative zu Phenytoin führt die Leitlinie erstmals Lacosamid an, das ebenfalls intravenös begonnen und oral fortgeführt werden kann. Qualitativ hochwertige Studien fehlen aber noch. Gut verträglich und wirksam ist zudem die intranasale/intraorale Anwendung von Lidocain-Spray, das auch längerfristig bei Exazerbationen eingesetzt werden kann. Eine untergeordnete Rolle spielt subkutanes Sumatriptan, möglicherweise wegen kardiovaskulärer Kontraindikationen bei älteren Patienten. Auch Lokalanästhetika subkutan im Trigeminusgebiet oder am Okzipitalnerv können akute Exazerbationen bis zum Wirkeintritt der Prophylaktika überbrücken.

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