Wie verändert sich das neue Coronavirus? |
Christina Hohmann-Jeddi |
08.05.2020 12:24 Uhr |
Bei der Replikation kopiert SARS-CoV-2 sein RNA-Genom tausende Male. / Foto: Adobe Stock/nobeastsofierce
Es ist erst wenige Monate auf der Welt und zählt schon zu den am besten analysierten Erregern: das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2. Auf der Website der Global Initiative on Sharing All Influenza Data (GISAID) wurden bereits mehr als 16.000 Genome verschiedener Proben von Forschern weltweit hochgeladen und stehen Wissenschaftlern für Studien zur Verfügung. Täglich kommen neue hinzu. Diese Daten, vor allem die Unterschiede zwischen den Genomen (Diversität), können Forscher nutzen, um die Evolution und die Entstehung des Virus zu untersuchen, aber auch um zu verstehen, inwiefern es sich an den Menschen adaptiert. Die Analyse der Mutationen lässt auch wichtige Rückschlüsse für die Entwicklung von Arznei- und Impfstoffen zu.
Forscher um Dr. Lucy van Dorp vom University College London analysierten jetzt anhand von knapp 7700 Virusgenomen von Covid-19-Patienten weltweit das Auftreten von genomischer Diversität über die Zeit. Sie identifizierten dabei etwa 200 Mutationen, die mehrfach aufgetreten sind, berichten die Forscher im Fachjournal »Infection, Genetics and Evolution«. Ihre Analyse bestätigt die Ergebnisse von anderen Arbeitsgruppen, denen zufolge alle SARS-CoV-2-Genome auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgehen, der Ende 2019 auftrat. Demnach sprang der Erreger etwa zwischen dem 6. Oktober und 11. Dezember 2019 von einem Tier auf den Menschen über – und die Pandemie begann.
Es zeigte sich, dass ein großer Teil der weltweit beobachteten genetischen Diversität in allen stark betroffenen Ländern zu finden ist. Das bedeutet, dass sich das Virus schon zu einem frühen Zeitpunkt weltweit stark verbreitet haben muss. Den Forschern zufolge gab es in den meisten Ländern nicht einen Indexpatienten (Patient Zero), sondern mehrere Einträge des Virus in die Population.
Mutationen entstehen, wenn sich ein Virus vermehrt. Hierbei kopiert es nämlich sein Genom viele tausend Mal. Dem dafür verantwortlichen Enzym, der RNA-abhängigen RNA-Polymerase (RdRp), können dabei Fehler unterlaufen, was zu kleinen genetischen Unterschieden führt. Allerdings verfügt SARS-CoV-2 über einen Korrekturmechanismus, der die Fehlerrate im Vergleich zu anderen RNA-Viren deutlich senkt. Dadurch mutiert das Coronavirus etwa dreimal langsamer als Influenzaviren, die ebenfalls zu den RNA-Viren gehören.
»Alle Viren mutieren«, wird Seniorautor Professor Dr. Francois Balloux in einer Pressemitteilung der Universität zitiert. »Mutationen an sich sind keine schlimme Sache.« Derzeit gebe es keine Hinweise darauf, dass sich das Virus schneller oder langsamer verändere als erwartet.
Die Analyse der Mutationen ergab, dass nicht alle Bereiche des Genoms gleich stark betroffen sind: Während in einigen Bereichen viele Mutationen zu finden waren, blieben andere fast unverändert. Die Forscher nahmen vor allem die 200 Mutationen unter die Lupe, die mehrfach unabhängig voneinander aufgetreten waren. 80 Prozent von ihnen führten zu einer Veränderung der Aminosäureabfolge der viralen Proteine. Dies lasse auf eine stetige Adaptation an den Wirt schließen, schreiben die Forscher.
Hotspots für Mutationen waren zum Beispiel im sogenannten Offenen Leserahmen 1ab (Orf1ab) zu finden. Diese Region im Virusgenom kodiert für ein Polyprotein, in dem viele Nichtstrukturproteine (Nsp) enthalten sind, die zur Replikation benötigt werden. Besonders häufig fanden sich Mutationen in den Regionen, die für Nsp6, Nsp11 und Nsp13 kodieren, und eine im Gen für das Spike-Protein, also die Struktur auf der Hülle, die das Virus zum Eintritt in die Wirtszelle braucht. Diese seien im Zusammenhang mit der Evolution des Virus von besonderer Bedeutung, so Balloux, und auch bei der Impfstoff- und Wirkstoffentwicklung. »Wenn wir unsere Anstrengungen auf Bereiche konzentrieren, die nicht so häufig mutieren, werden wir mit größerer Wahrscheinlichkeit Arzneimittel und Vakzinen erhalten, die langfristig wirksam sind.«
Bisher könne man nicht sagen, ob SARS-CoV-2 mehr oder weniger gefährlich und infektiös wird, so die Forscher. Sie betonen, dass bislang keine verschiedenen Phänotypen entstanden seien. Die große Mehrheit der beobachteten Mutationen seien vermutlich neutral oder eher schädlich für das Virus. Im Auge behalten werden sollten aber Mutationen am Nsp6, da die betroffene Region nach bisherigen Erkenntnissen die T-Zell-Reaktivität beeinflusst. Auch Mutationen im Spike-Protein sind kritisch zu betrachten, da sie die Infektiosität verändern könnten. Der identifizierte Hotspot liege aber nicht in der Rezeptor-Bindedomäne des Proteins, heißt es in der Publikation.
Das Spike-Protein schauten sich auch Forscher um Dr. Bette Korber vom Los Alamos National Laboratory in US-Bundesstaat New Mexico genauer an. Sie identifizierten insgesamt 14 Mutationen in der Sequenz, die für das virale Oberflächenprotein kodiert. Eine davon könnte die Übertragbarkeit des Erregers beeinflussen, berichten sie in einer Preprint-Studie auf der Plattform »BioRxiv«. Die Mutation Spike D614G sei bedenklich: Sie breite sich seit Anfang Februar in Europa aus und sei dort in Gebieten, in die sie neu eingetragen wurde, schnell die dominante Form geworden.
Die Forscher gehen davon aus, dass die Mutation die »Fitness« des Erregers erhöht. Dafür könnten zwei Dinge verantwortlich sein: Entweder könnte die Mutation dazu führen, dass sich die neu gebildeten Viruspartikel nach der Replikation leichter aus der Wirtszelle befreien können. Oder sie beeinflusst die Bindung des Spike-Proteins an den ACE2-Rezeptor auf Wirtszellen und erleichtert damit den Eintritt in die Zellen. Das müsste aber ein indirekter Effekt sein, da die Mutation sich nicht in der Nähe der Rezeptor-Bindedomäne befindet.
Dies sind bislang allerdings noch unbelegte Hypothesen. Darauf macht auch Dr. Peter Hotez vom Texas Children’s Hospital Center for Vaccine Development in der Zeitung »Los Angeles Times« aufmerksam. Die Studie sei »bemerkenswert«, die Folgerungen aus den Ergebnissen müssten aber wissenschaftlich überprüft werden. »Da sind eine Menge Spekulationen drin«, so Hotez. »Sie haben keine experimentelle Verifikation.«
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.