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Pest 

Wie Seuchen früher bekämpft wurden

Nachrichten über die täglich steigenden Fallzahlen an festgestellten Covid-19-Infektionen mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 lösen erhebliches Unbehagen aus. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass sich auch Menschen früherer Epochen mit Ausbrüchen von Epidemien und der raschen Verbreitung ansteckender Krankheiten auseinandersetzen mussten.
Ursula Lang
15.03.2020  09:00 Uhr

Auch wenn man sich nicht vor Kurzem in einem Risikogebiet wie in der chinesischen Provinz Hubei, in Venetien oder in der Lombardei aufgehalten hat: Von Presse und Fernsehen gezeigte Bilder von Menschen, die in der Öffentlichkeit Mundschutz tragen, von abgeriegelten Straßen, geschlossenen Wohn- und Bürogebäuden, Isolierstationen für Erkrankte oder von unter Quarantäne gestellten Kreuzfahrtschiffen zeigen die große Angst davor, dass aus einer anfänglich lokal begrenzten Epidemie eine unkontrollierbare Pandemie entstehen könnte.

Der Infektionsmediziner Stefan Winkle (1911 bis 2006) verfasste ein beeindruckendes Werk zur Kulturgeschichte der Seuchen, in dem er über zahlreiche bakteriell, viral oder parasitär verursachte Infektionskrankheiten berichtet. Insbesondere am Beispiel des »Schwarzen Todes«, wie der große Pestausbruch des 14. Jahrhunderts häufig genannt wird, kann nachvollzogen werden, welche gravierenden sozialen Auswirkungen es hatte, als der hoch infektiöse, von Flöhen als Zwischenwirte übertragene Pesterreger Yersinia pestis in Ortschaften einbrach, in denen Einwohner und Ärzte keine Kenntnisse über die Zusammenhänge und Ursachen der rasch um sich greifenden Seuche hatten.

Stadttorschließung und Meldepflicht

Ein Abzweig der in der Mongolei im Jahr 1325 ausgebrochenen Pestepidemie gelangte 1347 über die chinesische Seidenstraße von Ostasien zum Schwarzen Meer auf die Halbinsel Krim, in ein Lager von Tartaren, die die befestigte genuesische Niederlassung Kaffa (heute: Feodossija) belagerten. Als die Tartaren Pestleichen in die belagerte Stadt katapultierten, gelangte die rasch um sich greifende Seuche durch flüchtende Seeleute auf genuesische Handelsschiffe und mit diesen nach Konstantinopel, Messina auf Sizilien, nach Venedig und Pisa sowie in die französische Hafenstadt Marseille. Unaufhaltsam verbreitete sich die Pest weiter nach Neapel, Florenz und Rom und wurde in weite Teile Frankreichs und des übrigen Europas eingeschleppt.

Als der »Schwarze Tod« im Jahr 1352 abebbte, waren ihr etwa 25 Millionen Menschen zum Opfer gefallen (1). Auch danach kam es immer wieder zu Pestausbrüchen in vielen Städten, weil die Bedeutung von verschmutzten Behausungen, die Ratten und Rattenflöhen ideale Verstecke boten, nicht bekannt war. Als Reaktion auf den Ausbruch einer Pestepidemie wurden die Stadttore geschlossen und Einwohner mit Krankheitsanzeichen beim Magistrat angezeigt. Pestkranke schloss man entweder in ihren Häusern ein oder brachte sie in einem von der Stadt eingerichteten Pestspital unter.

Ärzte trugen beim Besuch der Kranken einen mantelartigen Überwurf, Handschuhe und eine schnabelförmige Maske, in die sie wohlriechende Kräuter oder essiggetränkte Schwämme einlegten, um sich vor dem gefährlichen »Pesthauch« und vor dem unsichtbaren Ansteckungsstoff, dem »Kontagium«, zu schützen (2).

Essig als Repellent und Desinfektion

Einen Einblick in die Denkweise der immer wieder mit Pestepidemien konfrontierten Mediziner des Mittelalters kann man aus dem »Consilium de Peste« gewinnen, das der im 15. Jahrhundert wirkende italienische Arzt Saladin Ferro von Ascoli (erste Hälfte 15. Jahrhundert) verfasste und das Rosemarie Dilg-Frank im Rahmen ihrer pharmaziehistorischen Dissertationsschrift übersetzte.

Den Menschen wurde in Pestzeiten dringend dazu geraten, möglichst zu Hause zu bleiben und Menschenansammlungen zu meiden. Faulig riechende Luft wurde mit Räucherungen und Duftstoffen »gereinigt«, Räume mit Rosenwasser und Essig besprengt. Menschen, die auf die Straße gingen, rochen währenddessen an Duftäpfeln oder gelöcherten Behältern mit Rosenessig, um keine »verpestete Luft« einzuatmen.

Darüber hinaus sollten Gesicht und Nase mit Essig gewaschen, Speisen mit starkem Essig und Getränke mit sauren Säften von Limonen oder Granatäpfeln zubereitet werden (3). Rezepturen von Essigzubereitungen mit aromatisch duftenden Kräutern wie Salbei, Rosmarin, Raute, Nelken und weiteren Ingredienzien wurden jahrhundertelang als »Pestessig« tradiert.

In zahlreichen Arzneibüchern der Frühen Neuzeit finden sich Acetum prophylacticum, Acetum anisepticum oder Acetum aromaticum als Vorbeugemittel gegen die Pest und andere epidemisch auftretende Krankheiten. Mit ätherischen Öldrogen mazerierter Essig wurde folglich eingesetzt zur Vorbeugung einer Ansteckung. Einerseits können aromatische Essigzubereitungen als frühe Repellenzien und andererseits aufgrund der enthaltenen Essigsäure als Vorläufer von Desinfektionsmitteln eingeschätzt werden (4).

Isolierung und Quarantäne

Die Stadt Venedig gründete 1486 den »Magistrato della sanità« als erste öffentliche Gesundheitsbehörde, die im Fall eines Pestausbruchs berechtigt war, drastische Maßnahmen und Verordnungen in Kraft zu setzen. Regelungen zum Betreiben von Lazaretten, zur Einschränkung des Handels, zur Unterbringung von Fremden und zum Umgang mit Bettlern wurden getroffen und Vorschriften für Ärzte und Apotheker erlassen (5).

Einen aufschlussreichen Einblick in die Arbeit des »Magistrato della sanità« Venedigs vermittelt der Tropenmediziner und Hygieniker Ernst Rodenwaldt (1878 bis 1965) in einer medizinhistorischen Abhandlung über Entseuchungsverfahren Venedigs im 16. Jahrhundert. Kernstück der Seuchenabwehr war die Isolierung der Erkrankten im »Lazaretto vecchio« sowie die über eine Zeitspanne von 40 Tagen durchzuführende Entseuchung von Gütern, von denen angenommen wurde, sie könnten mit dem »Kontagium« der Seuche behaftet sein. Ebenso mussten zugereiste Fremde sowie Tiere mit Woll- oder Langhaarpelz eine 40-tägige Quarantänezeit (lat. quadraginta: 40) abwarten, bevor der Zutritt nach Venedig gestattet wurde.

Stoffballen, Wolle, Teppiche, Kleider, Felle, Pelze, Leder, Federn und Federbetten mussten wochenlang gelüftet und täglich umgewendet werden. Handelswaren wurden aus Bündeln und Säcken herausgenommen und an einem abgeschiedenen Ort gelüftet, Tiere mit kurzhaarigem Fell am Lido ins Wasser getrieben und Federvieh wiederholt mit Essig besprengt.

Besonders strenge Vorschriften galten beim Umgang mit Besitztümern von Pesttoten, wenn diese nicht, wie Matratzen, Decken oder persönliche Kleidung, vernichtet wurden. In Häusern der Pestopfer verbrannte man wiederholt stark qualmende Räucherpasten aus Myrrhe, Pech, Harz und Schwefel auf Kohlebecken, bevor die Räume wieder für die Bewohnung freigegeben wurden (6). Bei Seuchenausbrüchen anderer Infektionskrankheiten wie beispielsweise der Cholera in späteren Jahrhunderten wurden ähnliche Maßnahmen ergriffen.

Meldepflicht und Registrierung, gesundheitsbehördlich angeordnete Isolierung und Quarantäne, die Durchführung von Entseuchungsverfahren sowie das Tragen von Atemmasken und Schutzkleidung sind heute noch unentbehrlich zur Seuchenabwehr von Infektionskrankheiten, gegen die es weder einen prophylaktisch zu verabreichenden Impfstoff noch ein wirksames Therapeutikum gibt.


 

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