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Cannabisanbau in Deutschland

Wettlauf mit der Zeit

Ende dieses Jahres soll die erste Ernte Medizinalcannabis in Deutschland eingefahren werden. Für die Gewinner der Ausschreibung für den Anbau ist es ein Wettlauf mit der Zeit, berichtete der Medizinische Direktor der Firma Aphria bei einer Cannabis-Fortbildung der DPhG-Landesgruppe und Apothekerkammer Hamburg. Das Gebäude wurde noch nicht in Betrieb genommen.
Daniela Hüttemann
21.02.2020  11:50 Uhr

2,6 Tonnen Cannabisblüten in pharmazeutischer Qualität – diese Menge sollen in den kommenden vier Jahren die drei Gewinner der Ausschreibung insgesamt pro Jahr liefern. Erst im Mai 2019 wurde das Vergabeverfahren der Cannabis-Agentur des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfolgreich abgeschlossen. Die Aufträge wurden in 13 Losen zu je 200 Kilogramm vergeben. Gewonnen haben das Berliner Start-up Demecan sowie die Deutschland-Ableger der zwei kanadischen Firmen Aphria und Aurora.

Die Vergabe erfolgte im zweiten Anlauf, nachdem ein Hersteller gegen die erste Ausschreibung erfolgreich geklagt hatte, da die Frist beim Vergabeverfahren zu kurz bemessen gewesen sei. Daraufhin schrieb die Cannabis-Agentur die Lose neu aus. Dabei stockte sie die Menge auf 10,4 Tonnen, verteilt auf vier Jahre, auf. Ursprünglich hatte sie mit lediglich 6,6 Tonnen kalkuliert. Experten gehen jedoch davon aus, dass auch diese 10,4 Tonnen für die kommenden vier Jahre, also 2,6 Tonnen pro Jahr, viel zu wenig sein werden, um auf Importware verzichten zu können. Das machte Jan Witte, Medizinischer Direktor von Aphria Deutschland, bei einem Vortrag am vergangenen Samstag in Hamburg deutlich.

Er präsentierte eine Schätzung, nach der bereits im kommenden Jahr circa 5 bis 9 Tonnen Medizinalcannabis in Deutschland benötigt werden, Bedarf weiter steigend. »Die Importe werden bleiben«, ist sich Witte sicher. Auch wird die derzeitige Sortenvielfalt mit Spannbreiten an THC-Gehalt von 26 Prozent und maximal 1 Prozent CBD bis hin zu weniger als 1 Prozent THC und etwa 15 Prozent CBD nicht durch den deutschen Anbau abgedeckt.

Drei Sorten im Angebot

»Es werden hier nur drei Sorten angebaut«, erläuterte Witte. Dabei liegen die Zielwerte für Typ 1 bei 18 bis 22 Prozent THC und weniger als 1 Prozent CBD, für Typ 2 bei 12 bis 16 Prozent THC und weniger als 1 Prozent CBD sowie für Typ 3 bei jeweils 5 bis 9 Prozent THC und CBD. Von Typ 1 sollen pro Jahr 1,6 Tonnen produziert werden, von Typ 2 rund 600 kg und von Typ 3 etwa 400 kg pro Jahr. Aphria wird alle drei Sorten anbauen. Das Unternehmen will in seiner Produktionsstätte im schleswig-holsteinischen Neumünster, die sich noch im Bau befindet, jährlich eine Tonne Cannabisblüten produzieren können. 

Derzeit arbeiten täglich 150 Bauarbeiter an der Anlage mit höchsten Sicherheitsstandards. 15.000 Tonnen Stahlbeton sind bereits verbaut worden, die Wände sind stellenweise 24 cm dick. Das Gelände umschließt ein hoher Zaun. 400 Überwachungskameras, Infrarot-Bewegungsmelder und Wärmebildkameras werden installiert, der Aufenthaltsort von Mitarbeitern und Besuchern kann durch die Indoor-Geofencing-Technologie jederzeit festgestellt werden. Witte bezeichnete das Gebäude als »größten Tresor Europas« mit Drohnenüberwachung und einem Häcksler in den Toiletten, damit niemand auf die Idee kommt, Cannabis über die Kanalisation abzuzweigen. Verwurf und Pflanzenreste sollen unter Polizeischutz zur nächsten qualifizierten Verbrennungsanlage für Sondermüll gebracht werden. »Und unter diesen Bedingungen sollen wir konkurrenzfähig produzieren«, gibt Witte zu bedenken.

Das Unternehmen brauche zudem hochqualifiziertes Personal aus dem Agrar- und Pharmabereich und will mit Firmen und Universitäten für Forschungsprojekte kooperieren, zum Beispiel um Photosensoren zu testen, die den THC-Gehalt der Pflanzen bestimmen oder eine Pilzkontamination anzeigen sollen. So will sich das Unternehmen den teuren Anbau kofinanzieren.

Es sei nicht zu schaffen gewesen, erst nach der Vergabe im Mai 2019 mit dem Bau anzufangen und 18 Monate später die erste Ernte abzuliefern. Ohne Vergabe aber keine Baugenehmigung. Aphria war sich seiner Sache wohl sicher, die Ausschreibung zu gewinnen: Das Unternehmen hatte schon vorher eine Baugenehmigung für eine Anlage zur Produktion von medizinischem Chili beantragt und den ersten Spatenstich im November 2018 gesetzt. Inzwischen wurde die Baugenehmigung umgewidmet. Im Moment stehen die nackten Räume inklusive vorgeschriebenem Anstrich und Bodenbelag, der Ausbau hat noch nicht begonnen.

Anders als in anderen Ländern wird der Anbau nicht in einem gesicherten Gewächshaus mit Glasdach stattfinden. »Unsere Cannabispflanzen werden nie das Tageslicht sehen«, so Witte, sondern wachsen dank modernster LED-Technik und ausgeklügeltem Belüftungs- und Wässerungssystem. Dazu wird spezieller Dünger, aber kein Pestizid eingesetzt. Um eine Pilzkontamination zu vermeiden, dürfen die Mitarbeiter nur in kompletter Schutzkleidung zu den Pflanzen. Die fertige Ware wird zudem nach der Ernte bestrahlt, da sie häufig für schwer Kranke, zum Beispiel Tumorpatienten, vorgesehen ist. Es gelten neben den Richtlinien des Deutschen Arzneibuchs (DAB) und der Pharmacopoeia Europae (PhEu), das Betäubungsmittelrecht sowie die GMP- und GACP-Richtlinien, also Good Manufacturing Practice und Good Agricultural and Collection Practice for Starting Materials of Herbal Origin.

Alle drei Sorten werden strikt getrennt angebaut sowie auf eigenen Produktionsstraßen verarbeitet und verpackt. Grundlage ist eine Mutterpflanze, die bis zu einem Jahr herangezogen wird. Aus ihr werden Klone genommen, aus denen wiederum innerhalb von sieben bis elf Tagen Stecklinge gezüchtet werden. Die einzelnen Cannabispflanzen wachsen dann sechs bis 14 Tage heran. Nach acht bis zwölf Wochen ist der Blütenstand voll ausgebildet. Die Cannabisblüten werden dann etwa vier Tage getrocknet, bevor sie zur Lagerung in einen klimatisierten Tresor kommen. Aphria plant fünf Ernten pro Jahr. »Es wird aber sicherlich auch viel Verwürfe geben, wenn der Cannabinoid-Gehalt nicht stimmt«, so Witte. Bei aller Technik bleibt Cannabis schließlich ein Naturprodukt.

Wie kommt das Cannabis in die Apotheken?

Anbau, Ernte, Verarbeitung, Qualitätsprüfung, Lagerung, Verpackung sowie Abgabe an Großhändler und Apotheken unterliegen der Kontrolle durch die Cannabis-Agentur. Sie hat keine Anbaulizenzen vergeben, sondern Lieferverträge mit den Herstellern vereinbart. De facto gehören die Pflanzen vom Samen bis zur Ernte dem Staat und dieser zahlt für die vereinbarte Liefermenge. »Die Ernte wird nicht ins BfArM nach Bonn transportiert oder dort gelagert und weiterverteilt«, betonte Witte. Die Distribution sei noch nicht genau geregelt, solle aber über räumlich in der Nähe angesiedelte Unternehmen abgewickelt werden. Hier stehe die Ausschreibung noch aus.

Witte geht davon aus, dass der Preis für Cannabisblüten langfristig sinken wird. »Die ganze Welt produziert derzeit medizinisches Cannabis, um nach Deutschland zu exportieren und da die Sicherheitsanforderung nicht so hoch wie bei uns sind, können sie es günstiger anbieten als wir«, so der Onkologe. Derzeit darf nur aus Kanada und den Niederlanden mit ihrem staatlichen Anbau importiert werden. Es sei nun die Frage, ob die Bundesrepublik in Zukunft weiter auf Importe setzen oder den Anbau in Deutschland weiter ausbauen will. »Die derzeitigen Lieferengpässe liegen eher an politischen und ökonomischen Entscheidungen, weniger an den Produktionsmöglichkeiten«, meint Witte.

Den Apothekeneinkaufspreis für das in Deutschland produzierte Cannabis wird die Cannabis-Agentur vorschreiben. Derzeit verhandeln der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zudem über den Rezepturaufschlag. Witte vermutet, dass die Apotheken demnächst weniger Geld für das aufwendige Handling der Blüten bekommen werden, was bereits heute für viele Offizinen nicht wirtschaftlich ist. Um zumindest den Prüfaufwand für die Apotheken zu erleichtern, will Aphria in Zukunft auch validierte Schnelltests für die THC- und CBD-Gehalte seiner Cannabisblüten anbieten.

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