Weniger Bürokratie, mehr Strategie |
Ev Tebroke |
11.05.2022 17:50 Uhr |
Arzneimittelproduktion zurück nach Europa holen: Die Pharmaindustrie fordert einen Strategiewechsel hin zu mehr Versorgungssicherheit. / Foto: Adobe Stock/Ivan Traimak
Die Pharmaindustrie sieht sich in einem Dilemma: Einerseits braucht es dringend stabilere Lieferketten. Liefer- und Versorgungsengpässe von Wirkstoffen und Medizinprodukten sind zwar schon lange ein Problem. Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben die Problematik aber nochmal verstärkt und die Fatalität der Abhängigkeit von Produktionen und Zulieferern in Drittstaaten offenbart. Daher soll Europa wieder mehr als Produktionsstandort dienen, was erhebliche Investitionen erfordert. Andererseits fürchtet die Branche verstärkten Kostendruck. Denn angesichts einer anstehenden Stabilisierung der GKV-Finanzen könnte der Bund auch im Pharmabereich den Rotstift ansetzen. Ein inoffizieller Entwurf eines Spargesetzes hatte die Branche zuletzt alarmiert, dort waren erhebliche Einsparungen vorgesehen: allein für 2023 in Höhe von fast 2 Milliarden Euro. Zwar wurde der Entwurf zurückgezogen, weil er nicht offiziell abgestimmt war. Die Angst der Branche vor einschneidenden Sparmaßnahmen aber bleibt. Angesichts der aktuellen Krisen appelliert die Branche an die Politik, mit neuen Ansätzen die Industrie zu stärken.
»Steigende Energiekosten, fragile Lieferketten und nie dagewesene Preis- und Verfügbarkeitsturbulenzen bestimmen derzeit die Pharmabranche«, sagte Hans-Georg Feldmeier, Vorsitzender des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), heute in Berlin anlässlich des 36. Unternehmertags des Verbands. »Die Zeitenwende ist greifbar.« Es gelte, sich endlich von den seit Jahren bestehenden Abhängigkeiten zu lösen und die Arzneimittelproduktion zurück nach Europa zu holen. Das ist zwar auch das erklärte Ziel der Ampel-Koalition, mit Blick auf den Kostendruck ist aber unklar, wie das zu realisieren sein soll.
Antworten erhoffte sich die Branche heute in einer Podiumsdiskussion vor allem auch von Thomas Müller, Leiter der Abteilung Arzneimittel, Medizinprodukte, Biotechnologie des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Doch leider war Müller verhindert. Neben Thomas Ballast, Vize-Chef der Techniker Krankenkasse (TK) und dem BPI-Vorsitzenden Feldmeier diskutierten nun Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie (VCI), Professor Isabelle Bekeredjian-Ding, Leiterin der Abteilung Mikrobiologie des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) und Marc-Pierre Möll, Geschäftsführer des Bundesverbands Medizintechnologie (BVMed), die Frage, wie sich die Gesundheitsversorgung unter den Vorzeichen der Krisen sichern lässt.
Ballast betonte dabei, grundsätzlich käme man um Einsparungsdebatten nicht herum: Auf 17 bis 23 Milliarden Euro könnte sich das Finanzierungsdefizit der GKV im kommenden Jahr belaufen. Dabei unterstrich er, dass die Finanzierungslücke ein längerfristiges Phänomen sei und nicht aus der Pandemie resultiere. Die dadurch entstandenen zusätzlichen Kosten habe größtenteils der Bund getragen. Grundsätzlich hält Ballast Veränderungen in der Versorgungstruktur für unumgänglich. Der demografische Effekt bedinge künftig Konzentrationen im Versorgungsbereich.