Was Metastasen so gefährlich macht |
Farblich animierte 3D-Darstellung einer Metastase in der Lunge einer Maus. Die Tumorzellen sind grün gefärbt, pink das verbliebene Lungengewebe. / Foto: DKFZ/Augustin; Eye of Science/Meckes
Tumoren können prinzipiell in alle möglichen Gewebe streuen. Bei vielen Krebsarten gibt es allerdings bevorzugte Orte beziehungsweise Gewebe, die von den Krebszellen infiltriert werden. Prostatakarzinome beispielsweise streuen besonders häufig in die Wirbelsäule, Melanome in das Gehirn. Woran das liegt, ist noch nicht genau verstanden. Prinzipiell steigt das Risiko, dass sich Metastasen bilden, mit der Größe des Tumors. Hat sich der Krebs schließlich an mehreren Stellen im Körper ausgebreitet, ist in aller Regel ein nicht heilbarer Endzustand der Erkrankung erreicht.
Bei der Metastasierung verlassen Tumorzellen den Zellverbund des Primärtumors und wandern durch Körperhöhlen, Blut- oder Lymphgefäße zu teils weit entfernten Stellen im Körper. Die Zellen müssen dabei zahlreiche Hindernisse überwinden: Sie müssen sich zunächst von ihren Nachbarzellen ablösen, die natürliche Gewebe-Barriere überwinden, in der Blut- beziehungsweise Lymphbahn überleben und in ein weiteres Gewebe eindringen.
Tatsächlich schaffen es nur 0,01 Prozent aller im Blut zirkulierenden Tumorzellen, metastatische Kolonien zu bilden. »Die Metastasierung ist ein ziemlich ineffizienter Prozess«, betonte Professor Dr. Andreas Fischer, Leiter der Abteilung Vaskuläre Signaltransduktion und Krebs am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, bei einem Presseworkshop im Vorfeld des Weltkrebstags am 4. Februar. »Der überwiegende Teil der Tumorzellen stirbt oder kann sich am Zielort nicht vermehren.«
Warum gelingt es einigen Zellen aber doch, diese Hürden zu überwinden? »Die Tumorzellen, die erfolgreich eine Metastase bilden, sind in der Lage, ihre Eigenschaften zu verändern«, so Fischer. Sie wandeln sich von Epithelzellen zu mesenchymalen stammzellartigen Zellen – ein Vorgang, der als epithelial-mesenchymale Transition (EMT) bezeichnet wird und einem Prozess bei der Embryonalentwicklung ähnelt. Die Stammzelleigenschaften erlauben es den Krebszellen, sich aus dem Tumorverbund zu lösen, sich in der Blutbahn zu bewegen und sich schließlich zu unterschiedlichen Zelltypen zu differenzieren und in verschiedenen Geweben anzusiedeln.
Ein weiterer Faktor, die Erfolgsaussichten zu steigern, ist der Zusammenschluss zu Zellclustern. Einzelne im Blut zirkulierende Zellen (CTCs, Circulating Tumor Cells) ereilt häufig der Zelltod aufgrund fehlender Zell-Zell-Kontakte, Anoikis genannt. CTCs, die sich zu Zellverbänden zusammenschließen und weiterwandern, haben also bessere Überlebenschancen. »Diese Clusterbildung erlaubt zudem die Expression von Genen, die den Stammzell-Status aufrechterhalten«, sagte Fischer.
Dazu kommt die Ausbildung sogenannter prämetastatischer Nischen, wie der Mediziner erklärte. Der Primärtumor sende in Vorbereitung der Metastasenbildung unter anderem Botenstoffe und Entzündungsmediatoren aus. Manche Organe im Körper reagierten darauf, dort würden Umbauprozesse angestoßen, Angiogenese-Prozesse eingeleitet, die Immunantwort reduziert und Andockstellen in den Blutgefäßen gebildet. Zusätzlich seien auch Endothelzellen der Blutgefäße in der Lage, schützende Nischen um die Tumorzellen zu bilden und so deren Überleben zu sichern. »Der Tumor bereitet sozusagen sein Bett vor«, so Fischer. Die Tumorzellen können leichter in die entsprechenden Organe eindringen und dort überleben.
Das Verständnis der Metastasierungsprozesse soll Wissenschaftlern vor allem Angriffspunkte für verschiedene Therapiemöglichkeiten liefern. Ein Forscherteam um Professor Dr. Nicola Aceto von der Universität Basel etwa hat mehr als 2000 bereits zugelassene Wirkstoffe auf ihr Potenzial getestet, CTC-Cluster aufzulösen. Die Untersuchung wurde Anfang des Jahres im Fachjournal »Cell« veröffentlicht. Laut Fischer ließ sich dabei unter anderem durch die Gabe des Herzglykosids Digitoxin im Tiermodell die Metastasenhäufigkeit senken.
Ein weiteres Target ist der Fettsäure-Rezeptor CD36, der auf bestimmten Tumorzellen mit besonders hohem Metastasierungspotenzial vorhanden ist, wie 2017 im Fachjournal »Nature« beschrieben wurde. Die Zellen können über den Rezeptor Fettsäuren aufnehmen und verstoffwechseln. »Im Tiermodell führte die Blockade von CD36 mit Antikörpern zu einer starken Reduktion der Metastasierung mit wenig Nebenwirkungen – ein vielversprechender Ansatz«, so Fischer. Inwieweit dies auch beim Menschen möglich ist, müssen weitere Untersuchungen zeigen.
Metastasen sind auch besonders schwierig zu therapieren, weil sie sich genetisch oft stark von den Zellen des Primärtumors unterscheiden. Der Primärtumor ist aufgrund zahlreicher Mutationen genetisch heterogen, das heißt, er besteht aus vielen verschiedenen Zellen mit unterschiedlichem Erbgut. Die CTCs können wiederum weitere Mutationen entwickeln, die im Primärtumor nicht vorhanden sind. Eine bestimmte Therapie kann also beim Primärtumor erfolgreich sein, bei der Metastase aber versagen.
In Heidelberg konzentriert man sich beim Einsatz zielgerichteter Krebstherapien daher nicht nur auf das genetische Profiling von Primärtumoren, sondern wirft auch einen Blick auf das Erbgut der Metastasen. Im Rahmen der aktuell laufenden CATCH-Studie, die das DKFZ zusammen mit dem Universitätsklinikum Heidelberg und dem Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen durchführt, analysieren die Wissenschaftler Gewebeproben aus Metastasen von Patientinnen mit fortgeschrittenem Brustkrebs. Diese werden dann, falls möglich, mit einer zielgerichteten, auf die Mutationen der Metastase angepassten Therapie behandelt. Bei den rund 130 Patientinnen, die im Rahmen dieser Studie behandelt werden, ist der Krebs so weit fortgeschritten, dass eine Heilung nicht möglich ist. Ziel der Therapie ist es, das Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern. Sollte das den Medizinern gelingen, könnten auch Metastasen zukünftig zielgerichteter und individueller behandelt werden.