Was bei Erwachsenen anders ist |
Christina Hohmann-Jeddi |
13.06.2024 09:00 Uhr |
ADHS sieht bei Jung und Alt anders aus. Beobachtbare Symptome nehmen mit dem Alter ab. So zeigen Kinder etwa eher eine motorische Unruhe, während bei Erwachsenen die innere Unruhe dominiert. / Foto: Adobe Stock/BillionPhotos.com
Das Thema ADHS im Erwachsenenalter sei inzwischen auch in der Bevölkerung stark angekommen, sagte Professor Dr. Alexandra Philipsen vom Universitätsklinikum Bonn auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin. Der Moderator Eckart von Hirschhausen, die Journalistin Angelina Boerger oder die Autorin Julia Knörnschild – sie alle leben mit ADHS und haben ihre Diagnose zum Teil medienwirksam öffentlich gemacht. Solche Aufmerksamkeit für das Thema sei insgesamt zu begrüßen, sagte die Psychiaterin. Denn noch häufig wüssten betroffene Erwachsene nichts von ihrer Erkrankung, weil sie in der Kindheit übersehen wurde.
ADHS galt lange als reine Kinderkrankheit, die sich auswächst. Doch inzwischen ist bekannt, dass mehr als 50 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit der Entwicklungsstörung auch im Erwachsenenalter noch Symptome zeigen. Studien zufolge haben etwa 2,6 Prozent der erwachsenen Bevölkerung eine solche persistierende ADHS. »Doch die administrative Prävalenz, die etwa aus Krankenkassendaten ermittelt wird, fällt deutlich geringer aus«, berichtete Philipsen. So wurde etwa in einer AOK-Datenanalyse bei den 18- bis 65-Jährigen eine ADHS-Prävalenz von zuletzt 0,4 Prozent ermittelt. Auch laut Versichertendaten aus den USA liegt die Prävalenz unter 2 Prozent, was zeigt, dass es hier noch eine Diagnoselücke gibt.
Bei ADHS handelt es sich um eine Entwicklungsstörung, die bereits im Kindesalter auftritt und durch die drei Kernsymptome Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität gekennzeichnet ist, die in verschiedenen Ausprägungen vorliegen können. Das gilt sowohl für Kinder als auch Erwachsene. Je nachdem, welche Symptome überwiegen, teilt man die Entwicklungsstörung in entsprechende Präsentationsformen
ein, wobei die kombinierte Form mit einem Anteil von etwa 60 Prozent die häufigste ist.
Die Symptomatik ändere sich mit dem Alter, berichtete die Ärztin. Während Kinder eher motorische Unruhe zeigten, stehe bei Erwachsenen die innere Unruhe im Vordergrund. »Das Beobachtbare, sowohl die Hyperaktivität als auch die Impulsivität, gehen im Erwachsenenalter zurück, auch infolge der zunehmenden Verhaltenskontrolle«, so Philipsen. Dafür kämen zu den drei Kernsymptomen vermehrt Desorganisation und emotionale Regulationsstörungen (bei etwa 70 Prozent der Betroffenen) als Symptome hinzu. Im Alltag fallen Betroffene daher etwa durch Vergesslichkeit und Zerstreutheit auf, oder dadurch, dass sie Termine nicht einhalten können oder schnell von ihren Gefühlen überwältigt werden.
Um die Diagnose ADHS stellen zu können, müssen die Symptome zu mindestens moderaten Beeinträchtigungen der Beziehungen, der Leistungsfähigkeit, der Aktivitäten oder der Teilhabe in verschiedenen Lebensbereichen wie Schule, Beruf, Freizeit und Partnerschaft führen (siehe Kasten). Sie müssen schon in der Kindheit aufgetreten sein, was bei einer Diagnose im Erwachsenenalter etwa durch Befragung von Angehörigen dokumentiert werden kann.
Foto: Adobe Stock/Berit Kessler
Die Diagnostik der ADHS bei Erwachsenen ist ebenso wie bei Kindern zeitaufwendig und umfassend und sollte von Fachärzten für Psychiatrie, Psychotherapie, Neurologie oder psychosomatische Medizin gestellt werden. Grundlegend ist eine strukturierte Exploration des Patienten, seiner Symptomatik und der sich daraus ergebenden Beeinträchtigungen im Alltag anhand des diagnostischen Interviews, aber auch anhand von Fragebögen und Verhaltensbeobachtungen. Der Schweregrad der Symptomatik aktuell oder retrospektiv lässt sich mit standardisierten Fragebögen wie dem ADHS-Selbstbeurteilungsbogen, der Wender Utah Rating Scale (WURS-k) oder den Conners-Skalen zu Aufmerksamkeit und Verhalten für -Erwachsene erfassen. In testpsychologischen Untersuchungen können darüber hinaus zum Beispiel der Intelligenzquotient, die Aufmerksamkeit und die Exekutivfunktionen ermittelt werden. Zusätzlich müssen andere Erkrankungen differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden.