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ADHS-Therapie

Tipps von einem Profi

Eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) kann sich, vor allem wenn sie nicht diagnostiziert und unbehandelt ist, wie eine Spur durchs ganze Leben ziehen. Das machte Professor Dr. Michael Huss von der Universitätsmedizin Mainz beim Wochenendworkshop Patient & Pharmazeutische Betreuung in Halle an der Saale deutlich. Er informierte auch über eine wichtige Säule der Behandlung, die Pharmakotherapie.
Sven Siebenand
12.11.2019  10:00 Uhr

»Es gibt keine monokausale Ursache für ADHS«, stellte der Psychologe klar. Heute wisse man, dass unter anderem eine genetische Veranlagung zu ADHS führen kann. Ferner kämen Umweltfaktoren wie Stress, Noxen sowie externe Faktoren als Risikofaktoren infrage. Als Beispiel für letztgenannte Kategorie informierte Huss über eine Untersuchung, die zeigte, dass die Inzidenz von ADHS nach einem Schädel-Hirn-Trauma zunimmt.

»ADHS kommt selten allein«, sagte der Referent. Nur etwa ein Drittel der Betroffenen hätte eine »reine« ADHS. Mehrheitlich lägen Komorbiditäten vor, zum Beispiel Angststörungen, Störungen des Sozialverhaltens oder Tic-Störungen. Zudem verwies Huss darauf, dass ein sequenzielles Geschehen möglich sei. ADHS müsse daher auch selbst als Risikofaktor, etwa für eine Depression, angesehen werden.

Huss betonte, dass die Behandlung von ADHS multimodal erfolgen sollte. »Pharmakotherapie ist nicht alles.« Dennoch gehört die medikamentöse Behandlung oft dazu. Der am häufigsten eingesetzte Wirkstoff ist das Stimulans Methylphenidat. Die Substanz ist schon mehrere Jahrzehnte alt. Synthetisiert wurde sie von dem Chemiker Leandro Panizzon. Der Handelsname des Originalpräparats Ritalin® geht übrigens auf den Vornamen seiner Frau, Rita, zurück. Sie nahm den Wirkstoff vor Tennismatches ein und bemerkte unter Methylphenidat deutlich verbesserte motorische Fähigkeiten. Erst Jahre später wurde der Arzneistoff dann zum Goldstandard bei ADHS.

Guanfacin mit positivem Effekt auf das Frontalhirn

Mittlerweile gibt eine Reihe weiterer Arzneistoffe, die bei ADHS zum Einsatz kommen dürfen: die Stimulanzien Lisdexamfetamin und Dexamfetamin sowie die Nicht-Stimulanzien Atomoxetin und Guanfacin. Letztgenannte Substanz kam erst 2016 für die ADHS-Therapie hinzu. Huss bedauerte, dass Guanfacin in Deutschland nicht wie in Japan für die Behandlung erwachsener Patienten zugelassen ist. »Es wäre ein Traum, wenn wir es auch hierzulande bei Erwachsenen einsetzen dürften.« Beispielsweise liege das Suchtpotenzial quasi bei Null.

Huss zufolge hat Guanfacin auch nach Absetzen noch einen nachhaltigen Effekt. Diese sogenannte Hysterese liege wahrscheinlich daran, dass Agonisten am α2-Rezeptor wie Guanfacin die Frontalhirn-Entwicklung anstoßen können. Die übergeordnete Frontalhirn-Steuerung sei besonders wichtig, bei ADHS-Patienten aber deutlich schwächer ausgeprägt.

Die Pharmakotherapie bei ADHS gehört in Profihände. Erfahrene Ärzte schauen vor der Verordnung eines ADHS-Präparats auch auf die Vormedikation. »Bei Kindern, die ursprünglich Methylphenidat bekommen haben, muss man zum Beispiel damit rechnen, dass Atomoxetin keinen oder kaum Effekt hat.« Wie Huss ferner betonte, lässt sich die ADHS-Pharmakotherapie durch feine Dosis-Optimierung verbessern. Es bringe Vorteile, optimal zu titrieren. »Die Wirkung von Methylphenidat beispielsweise lässt wieder nach, wenn man über die optimale Dosis hinausgegangen ist«, so Huss.

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