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Photosensibilisierende Arzneistoffe

Wann besteht Beratungsbedarf?

Forscher haben analysiert, wie häufig photosensibilisierende Wirkstoffe in Deutschland und Österreich für gesetzlich Versicherte abgegeben werden. Das Ergebnis: Fast jede zweite Packung ist betroffen. Was bedeutet das für die Beratung?
Daniela Hüttemann
14.11.2019  10:00 Uhr

Es war eine große Fleißarbeit für die Mediziner der Universitätsklinik für Dermatologie in Wien: Monatelang durchforsteten sie die Fachliteratur zu Angaben über photosensibilisierende Effekte von Arzneistoffen. Heraus kam eine Liste mit 387 Wirk- und Hilfsstoffen, die die Forscher um den korrespondierenden Autor Privatdozent Dr. Benedikt Weber kürzlich im »Journal of the European Academy of Dermatology and Venereology« veröffentlichten. Der Artikel ist im Volltext frei zugänglich. »Es ist die umfangreichste Liste ihrer Art«, erklärt Apothekerin und Koautorin Dr. Gabriele Gradl vom Deutschen Arzneiprüfungsinstitut (DAPI) im Gespräch mit der PZ.

Die Liste bildete die Grundlage für die eigentliche Fragestellung der Forscher. Sie wollten wissen, wie häufig diese Arzneistoffe in Deutschland und Österreich abgegeben werden und wie häufig besonders kritische Substanzen darunter sind. Dafür verwendeten sie zum einen Daten der Österreichischen Sozialversicherung mit durchschnittlich 113 Millionen abgegebenen Packungen pro Jahr. Zum anderen lieferte das DAPI anonymisierte Abrechnungsdaten der in Deutschland zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgegebenen rund 630 Millionen Packungen pro Jahr.

»Das Ergebnis ist beeindruckend«, fasst Gradl zusammen. »Nahezu 50 Prozent der abgegebenen Packungen in beiden Ländern enthalten einen potenziell photosensibilisierenden Wirkstoff.« Müssen die Apotheker nun bei jeder zweiten Abgabe vor der potenziellen Nebenwirkung warnen und zu verstärktem Sonnenschutz raten?

Abgabehäufigkeit und Potenz in Relation

Nicht unbedingt, meint Studienleiter Weber. »Die Studie versuchte, eben genau diesen Aspekt näher zu beleuchten«, so der Facharzt für Dermatologie und Venerologie gegenüber der PZ. Die unterschiedliche Potenz der jeweiligen Wirkstoffe für photosensibilisierende Nebenwirkungen sei entscheidend. Dazu bildeten die Forscher vier Cluster und teilten die Substanzen, die in den beiden Ländern verordnet wurden, nach ihrem photosensibilisierenden Potenzial und der Abgabehäufigkeit ein.

»Bei Medikamenten, die im Verhältnis zu ihrer Verschreibungszahl häufig zu photosensibilisierenden Nebenwirkungen führen, sollte man die Patienten über die potenzielle Nebenwirkung vorab informieren«, empfiehlt Weber. Darunter fallen beispielsweise Doxycyclin, Amiodaron, Psoralen und Vemurafenib (siehe Kasten).

»Anders stellt es sich bei den sehr häufig verschriebenen Medikamenten dar, bei denen auch relativ oft photosensibilisierende Nebenwirkungen berichtet werden«, erläutert der Dermatologe weiter. Darunter fielen in der Analyse der Daten aus Deutschland Ibuprofen und Hydrochlorothiazid (HCT). »Auf die einzelne Verschreibung bezogen ist die Wahrscheinlichkeit für photosensibilisierende Nebenwirkungen natürlich wesentlich geringer«, so Weber. »Hier wäre eine generelle Aufklärung wohl zu weitreichend, auch wenn diese Nebenwirkung in der Fachinformation enthalten sein sollte.«

Erhöhtes Hautkrebsrisiko?

»Eine besondere Bedeutung erhalten diese Medikamente jedoch bei epidemiologischen Fragen, vor allem in Bezug auf die mögliche Provokation von UV-induzierten Hauttumoren«, erklärt der Hautarzt. Unter Medizinern werde jedoch derzeit noch kontrovers diskutiert, ob photosensibilisierende Arzneistoffe tatsächlich das Hautkrebsrisiko erhöhen. »Weitere Studien sind hier unabdingbar, um neben der häufig berichteten Assoziation auch eine Kausalität nachzuweisen«, so Weber.

Wann sollten Arzt und Apotheker das Hautkrebsrisiko ansprechen? Weber zufolge sollten Patienten nur dann über das Risiko der Karzinogenität aufgeklärt werden, wenn es auch fundierte wissenschaftliche Daten gibt. »Bei wenigen Medikamenten ist die Assoziation von UV-Exposition und Photokarzinogenese gut nachgewiesen, zum Beispiel Azathioprin und Psoralen.« Bei einigen Medikamenten gebe es lediglich assoziative Studien, wobei hier der Nachweis der Kausalität noch fehle, zum Beispiel bei den Diuretika. Bei vielen anderen Medikamenten müssten zukünftige Studien zeigen, welche Auswirkung sie tatsächlich haben. »Allgemein ist dies ein sehr komplexes Thema und es ist wissenschaftlich derzeit nicht vertretbar, zu behaupten, dass jedes photosensibilisierende Medikament Hautkrebs verursacht – vor allem auch deshalb, weil die Mechanismen der Photosensibilisierung mitunter sehr unterschiedlich sein können«, betont der Experte.

Die klassische photosensibilisierende Nebenwirkung sei eine phototoxische Reaktion der Haut im Sinne eines verstärkten Sonnenbrandes, erläutert Weber. Im Unterschied zum normalen Sonnenbrand tritt die Reaktion typischerweise aber erst verzögert auf und hält länger an. Hinweise liefere die Anamnese (UV-Exposition) und eine charakteristische Verteilung: »Bei phototoxischen Reaktionen finden sich typischerweise keine Hautveränderungen an Arealen, die nicht der Sonne ausgesetzt sind, zum Beispiel hinter den Ohren oder unterhalb des Kinns.« Bei Verdacht auf eine derartige Reaktion sollte der Patient an einen Dermatologen verwiesen werden.

Die andere Variante ist die photoallergische Reaktion. Hierbei handelt es sich um eine T-Zell-vermittelte, zeitverzögerte Hypersensibilitätsreaktion der Haut. Dabei wird ein Wirkstoff in Anwesenheit von Sonnenstrahlung kovalent an ein körpereigenes Protein gebunden. Die Hauptverursacher solcher allergischen Reaktionen sind chemische UV-Filter und topisch applizierte nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR). Phototoxische und photoallergische Reaktionen sind klinisch nicht immer voneinander zu unterscheiden.

Was ist mit Ibuprofen?

Bei einigen Handelspräparaten mit dem NSAR Ibuprofen wird die Photosensibilität als »gelegentliche unerwünschte Wirkung« (>1/1000) angegeben. Hängt hier das Risiko bei systemisch eingenommenen Präparaten auch von der Dosis oder Einnahmedauer ab? »Das ist eine sehr interessante und schwierige Frage«, so Weber. Bei einer phototoxischen Reaktion wäre im Gegensatz zu einer photoallergischen Reaktion eine gewisse Dosis-Wirkungs-Abhängigkeit zu erwarten. »Aber die ungelöste Frage ist, warum nur wenige Patienten eine so starke phototoxische Reaktion entwickeln.«

Webers Interpretation ist, dass es hier wesentliche individuelle Faktoren wie Hauttyp und Metabolismus geben könnte, die zu einer besonders starken Reaktion führen, wobei die Aspekte Dosis beziehungsweise kumulative Dosis nicht vordergründig sind. »Noch komplexer wird bei der Gruppe der NSAR die Diskussion hinsichtlich der Kanzerogenität, denn obwohl phototoxische Reaktionen gar nicht so selten sind, zeigen NSAR bezüglich weißem Hautkrebs sogar einen protektiven Effekt, zum Beispiel topisch appliziertes Diclofenac bei aktinischen Keratosen.« Es bedürfe weiterer Studien, um das Verständnis für individuelle Faktoren zu vertiefen, die phototoxische Reaktionen provozieren können.

Gradl erinnert daran, auch die sehr häufig verordneten Arzneistoffe mit eher niedrigem photosensibilisierendem Potenzial nicht aus den Augen zu verlieren: »Darunter fallen einige sehr häufig verordneten Arzneistoffe wie Simvastatin, Ramipril und Candesartan.« Allgemein sei in der älteren Bevölkerung das Risiko für Nebenwirkungen erhöht, da Ältere öfters mehrere Wirkstoffe insbesondere aus dem kardiovaskulären Bereich gleichzeitig anwenden, heißt es in der Originalveröffentlichung. Die Analyse ergab, dass 15,2 Prozent der Wirkstoffe mit photosensibilisierendem Potenzial, die im Beobachtungszeitraum in beiden Ländern abgegeben wurden, zu diesem Segment gehören. Jede dritte abgegebene Packung enthält einen Arzneistoff mit Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System.

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