Vorsicht vor Botendienst-Ausweitung |
Elke Wolf |
21.11.2019 11:44 Uhr |
Der Ausbau des Botendienstes bietet für die öffentliche Apotheke mehr Gefahren als Chancen, machte Kammerpräsidentin Ursula Funke bei der Delegiertenversammlung klar. / Foto: LAK Hessen
Wie und wann es mit dem Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) weitergeht, ist völlig unklar, sagte a Funke bei der Delegiertenversammlung in ihrer chronologischen Berichterstattung der politischen Ereignisse. Der parlamentarische Gesetzgebungsprozess ruht derzeit. Ob das Bundeskanzleramt bereit wäre, den Gesetzesentwurf auch ohne EU-Votum in den Bundestag einzubringen, sei nicht bekannt.
Die Apothekerschaft gehe vielmehr davon aus, dass sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn für die übrig gebliebene Apothekenreform zuvor grünes Licht aus Brüssel holen will. »Doch es ist davon auszugehen, dass bei der neuen EU-Kommission das Apothekenwesen in Deutschland wohl nicht sofort ganz oben auf der Tagesordnung stehen wird«, mutmaßte Funke. Sie wies nochmals daraufhin, dass die Überführung des Paragraphen 78 Abs. 1 Satz 4 vom Arzneimittelgesetz in das Sozialgesetzbuch, so wie jetzt vorgesehen, nicht nur den Grundsatz der Gleichpreisigkeit beim Bezug von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln aus dem Ausland für alle Krankenversicherten und Selbstzahler konterkariert. Durch die Streichung des Paragraphen wären auch die beiden Verfahren beim OLG München und OLG Düsseldorf hinfällig.
Funkes persönliches Fazit ist derzeit extrem unbefriedigend. »Wir haben keine Verbesserung bei der Gleichpreisigkeit, wir haben kein Makelverbot, wir haben dank des Bundesrates einen zwar abgemilderten, aber dennoch neuen Botendienst und wir haben eher die Problemfälle in die Apotheke bekommen: die Impfungen und die Wiederholungsrezepte ohne Makelverbot. Und in Sachen Dienstleistungen ist noch nichts entschieden. Über die Verbesserungen beim Nacht- und Notdienstfond und bei der Dokumentation freuen wir uns natürlich. Doch das ist keine Sicherung der Arzneimittelversorgung der inhabergeführten Apotheke vor Ort.«
Funke war es ein wichtiges Anliegen, die Delegierten für mögliche Auswirkungen des erweiterten Botendienstes zu sensibilisieren. Zwar sei es gelungen, über den Bundesrat wesentliche Änderungen am ursprünglichen Spahnschen Vorschlag zu erzielen. »Dennoch ist nun der Botendienst aus der Apotheke nicht mehr auf den Einzelfall beschränkt, sondern grundsätzlich möglich. Und damit könnte er sich als dritte Regel-Versorgungsform etablieren«, informierte Funke. Damit sein nicht die derzeit praktizierten Botendienst-Gänge und –Fahrten gemeint.
Vielmehr würden mit einem ausgebauten Botendienst die Patienten und Kunden bedient, die nicht mehr in die Apotheke kommen. Der persönliche Kontakt in der Apotheke gehe dann verloren. »Dieser Botendienst kann die direkte Beratung nie ersetzen, er kann immer nur zweite Wahl sein. Alle Maßnahmen, die es Patienten und Kunden 'ersparen', diesen direkten Kontakt in der Apotheke zu erleben, bereiten den Boden für eine Arzneimittelversorgung außerhalb der Apotheke. Über den Botendienst können wir uns nicht profilieren. Unsere Stärken liegen in der pharmazeutischen Beratung und der sozialen Kompetenz«, machte Funke deutlich.
Auch Ulrich Laut, Hauptgeschäftsführer und Rechtsanwalt der Kammer, teilt die Einschätzung, dass die Ausweitung des Botendienstes zu einer dritten Regelversorgungsform neben der Vor-Ort-Apotheke und dem Versandhandel werden könnte. »Irgendwo dazwischen würde sich dann der Botendienst wiederfinden. Die Frage lautet dann, ob er eher eine Versorgungsform ist, die im Versandhandel oder in der Vor-Ort-Apotheke angesiedelt ist. Dass er aus der Apotheke heraus erfolgt, ist allenfalls ein Indiz.«
Daraus ergäben sich, so Laut, allerlei rechtliche Fragestellungen, die bislang nicht geklärt seien. So etwa die Frage, ob der Botendienst dem Fernabsatzrecht unterliegt und ob vom Kunden nicht mehr gewünschte Präparate zurückgenommen werden müssen oder nicht. In jedem Fall seien sie nicht mehr weiter verwendbar. Um solche Fragen auf Bundesebene zu klären und rechtliche Gefahren vorher auszuloten, stehe die Rechtsabteilung der Kammer in ständigem Austausch mit Kollegen anderer Kammern.
Die derzeitigen immensen Lieferengpässe nannte Funke unerträglich. »Zwar tut es gut, dass jetzt auch die Medien in Funk, Fernsehen und Print das Problem aufgreifen und dadurch die Patienten mehr Verständnis für die Situation aufbringen. Das löst aber das Grundproblem nicht.«
Funke forderte die Politik zum Umdenken auf. Grundsätzlich seien mehrere Generika bei Rabattverträgen und eine Produktion lebensnotwendiger Arzneimittel in Europa nötig. »Globalisierung ist nicht alles, gerade nicht bei Arzneimitteln. Es gehört zur Daseinsfürsorge, dass der Staat Maßnahmen ergreift, damit Arzneimittel für seine Bürger zur Verfügung stehen. Das betrifft nicht nur die Präparate der Notfalldepots, bei denen es auch erhebliche Probleme bei der Bestückung gibt, sondern alle lebensnotwendigen Arzneimittel.«
Die gerade kursierenden Änderungsvorschläge aus dem Bundesgesundheitsministerium zum Faire-Kassenwahl-Gesetz sind da laut Funke gänzlich kontraproduktiv. So soll es erlaubt werden, nach 24 Stunden Wartezeit ein anderes wirkstoffgleiches Nicht-Rabattvertragsarzneimittel abgeben zu dürfen. »Dazu kann man nur sagen, dass die Verfasser solcher Vorschläge von der aktuellen Situation nicht auch nur ansatzweise eine Spur von Ahnung haben. Das würde die Situation nicht verbessern, sondern verschlechtern«, kritisierte Funke.