»Von der Apotheke der Welt zum Meister der Mangelverwaltung« |
Das Versorgungschaos der Patienten ist nur verschoben, wenn die Austauschregeln nicht verstetigt werden, ist sich Kammerpräsidentin Ursula Funke sicher. / Foto: PZ/Wolf
Zwar hat der Bundestag vergangene Woche quasi auf den letzten Metern das Gesetz zur Neustrukturierung der Unabhängigen Patientenberatung Deutschlands (UPD) beschlossen und einen Passus per Änderungsantrag eingefügt, der den Apotheken bis Ende Juli mehr Austauschfreiheiten bei der Abgabe von Rabattarzneimitteln ermöglicht. »Doch das verschafft uns nur kurz Zeit zum Luft holen, aufatmen können wir nicht. Ab August soll dann das Lieferengpass-Gesetz greifen, mit völlig realitätsfremden Regeln, die Lichtjahre von dem entfernt sind, was eine praxistaugliche und unbürokratische Arzneimittelversorgung ausmacht«, sagte Funke bei der gestrigen Delegiertenversammlung der LAK Hessen.
Die Austauschfreiheiten in diesem geplanten Lieferengpass-Gesetz, dessen parlamentarische Phase vermutlich im Mai/Juni beginnen wird, sind an eine beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geführte Wirkstoffliste gebunden. »Damit hätten wir ein neues Bürokratiemonster, dessen Handhabung in der Praxis jegliche Realität vermissen lässt. Uns muss es gelingen, die erleichterten Beinfreiheiten dauerhaft zu verstetigen, damit der Apothekenalltag überhaupt händelbar bleibt und wir die Patienten sach- und fachgerecht versorgen können.« Schließlich habe die Apothekerschaft in den vergangenen drei Pandemiejahren bewiesen, dass sie mit den erleichterten Abgaberegeln der SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung professionell und verantwortungsbewusst umgehen kann; die Kosten für die gesetzlichen Krankenkassen seien nicht gestiegen. »Herr Lauterbach, ist das Ihre Vorstellung von guter Arzneimittelversorgung? Deutschland war mal die Apotheke der Welt, jetzt sind wir Weltmeister in der Mangelverwaltung. Durch sinnvolle Regelungen in diesem Bereich könnten die viel zitierten Effizienzreserven gehoben werden«, meinte Funke.
Die Kammerpräsidentin betonte, dass das Bundesgesundheitsministerium nicht bereit war, eine Lösung zu finden. »Bei Mediziner Lauterbach schlägt keine Therapie an. Genauso gut könnte man gegen eine Betonwand reden.« Nur durch unermüdliche Gespräche mit Bundestags- und Landtagsabgeordneten sowie Mitgliedern der Landesregierungen habe der Änderungsantrag erreicht werden können. Für Funke ist es bezeichnend, dass »auch Mitglieder seiner SPD-Fraktion den Änderungsantrag eingebracht haben, weil aus dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) nichts gekommen ist. Vor allen aus den Ländern kam Druck. Einzelne Abgeordnete haben das Problem in zahlreichen, mit echten Beispielen unterlegten Gesprächen verstanden. Lauterbach ist dagegen fern jeder Realität«. Irgendwann sei die Zeit knapp geworden, das Gesetz zur Unabhängigen Patientenberatung (UPD) befasse sich per se gar nicht mit Arzneimittelversorgung.
Von den warmen Worten und der Wertschätzung für die wichtige Versorgerrolle der Apotheken während der Pandemie ist nach den Ausführungen Funkes nichts übriggeblieben. »Im Gegenteil: Man verspürt eher einen Tritt. Zuerst die Honorarkürzung durch die Erhöhung des gesetzlichen Kassenabschlags um 23 Cent – was einer Kürzung von 13,5 Prozent entspricht - und dann noch die angedachte 50-Cent-Engpass-Pauschale pro Austausch kommen für mich einer schallenden Ohrfeige rechts und links gleich.«
Da Leistung immer Gegenleistung brauche, sei die Zeit reif, den ABDA-Forderungskatalog mit Vehemenz zu verfolgen. Höchste Priorität haben dabei die Handlungsfreiheit der Apotheken für die schnelle Patientenversorgung, die Erhöhung des Fixums und die Reduzierung von Retaxationen auf das sachlich gebotene Maß, führte Funke aus. Die vom ABDA-Gesamtvorstand gleichzeitig beschlossenen Eskalationsstufen würden nach politischer Situation durchgeführt. Um das »Überraschungsmoment« zu nutzen, sei das Stufenkonzept nicht unter der Kollegenschaft im Vorfeld zu diskutieren. »Gelingen können die Anstrengungen aber nur, wenn alle Apotheker in der Fläche in den nächsten Monaten an einem Strang ziehen.« Dass die erleichterten Austauschregeln vom 7. April bis 31. Juli verlängert wurden, könnte man laut Funke auch so deuten, dass das neue Selbstbewusstsein der Apothekerschaft bei der Politik angekommen ist. Ausdrücklich bedankte sich Funke bei Gabriele Regina Overwiening für ihren ideellen und zeitlichen Einsatz: »Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Gespräche unsere ABDA-Präsidentin führt und wie viele Termine sie aufgrund ihrer guten Vernetzung in alle Richtungen wahrnimmt.«
Unverständlich ist nach den Ausführungen der Kammerpräsidentin die Haltung der Kassenärzte. Diese warnen eindringlich davor, die flexiblen Austauschregeln zu verstetigen. Und auch die AOK ließ verlauten, dass diese Forderung nicht sachgerecht sei. »Aussagen, dass der Arzt aus Gründen der Arzneimitteltherapiesicherheit wissen muss, welches Arzneimittel der Patient einnimmt, lassen die Vermutung aufkommen, dass zumindest einigen Ärzten nicht bekannt ist, dass seit Einführung der Rabattverträge Patienten in der Regel ein durch ihre Krankenkasse bestimmtes Arzneimittel erhalten.«
In diesem Kontext appellierte Funke eindringlich an die Notwendigkeit des heilberuflichen Miteinanders. »Nur so wird der Alltag sowohl in der Arztpraxis als auch in der Offizin erleichtert und die Patientenversorgung verbessert.« Bei ihren Ausführungen hatte die Kammerpräsidentin freilich auch das spezielle Verhalten der KV Hessen im Sinn. Zur Erinnerung: Die KV-Vorstände in Hessen werteten die pharmazeutischen Dienstleistungen und ihre Vergütungen als eine »Kriegserklärung« der Apotheker an die Ärzteschaft. Auch der Hausärzteverband attestierte den Apothekern mangelnde Qualifikation in puncto Arzneimittelberatung. Gesprächsangebote vonseiten der LAK Hessen blieben unbeantwortet.
Stefan Sydow vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration, der der Delegiertenversammlung beiwohnte, geht davon aus, dass die Streitigkeiten behoben sind und bemerkte positiv, dass die LAK Hessen »jederzeit zu einem sachlichen Dialog gesprächsbereit war und ist«.
Ein weiterer Tagungsordnungspunkt war die neu zu gestaltende Nacht- und Notdienstaufteilung unter den Apotheken. Die Ausgangsproblematik ist klar: Durch die vielen Apothekenschließungen ist es zu vielen Turnuskürzungen gekommen, was zum Teil zu immensen Mehrbelastungen der bestehenden Apotheken führte. Hauptgeschäftsführer Ulrich Laut stellte detaillierte Pläne vor, wie im Rahmen der geltenden Rechtslage Verbesserungen erzielt werden könnten. Mithilfe einer digitalen Lösung werden dabei vor allem Apotheken, die sehr viele Notdienste leisten, entlastet. Das digitale System werde bereits in Nordrhein-Westfalen genutzt und wird in Rheinland-Pfalz vermutlich ab Januar 2024 zum Einsatz kommen. Nach den Ausführungen Lauts werde das neue Konzept seit einem Jahr erarbeitet; derzeit sei man in Gesprächen mit dem Hessischen Sozialministerium, um über eine Anpassung der Richtlinie hinsichtlich der Entfernungen zwischen Notdienstapotheken zu sprechen.
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