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Benzodiazepine

Vom Wundermittel zur Risikomedikation

Beim Stichwort Benzo­diazepine denken die meisten Apotheker an das Abhängigkeits­potenzial dieser Wirkstoffe. Doch insgesamt sind sie relativ sichere Schlafmittel, die allerdings nur kurzfristig zur Rhythmisierung des Schlaf geeignet sind. In vielen anderen Indikationen sind Benzodiazepine auch heute noch unverzichtbar.
Martina Hahn
Sibylle C. Roll
07.11.2019  11:00 Uhr

In den 1950er-Jahren wurde in den ­Laboren von Hoffmann-La Roche eine neue Substanzgruppe synthetisiert, die im Tiermodell durch sedierende, ­muskelrelaxierende und antikonvulsive Eigenschaften auffiel. Das erste Benzodiazepin bei dem diese pharmakologischen Wirkungen nachgewiesen wurden, war Chlordiazepoxid.

In Deutschland kam Chlordiazepoxid 1960 als Librium® auf den Markt. Viele weitere Benzodiazepine folgten. Sie wurden aufgrund der großen ­therapeutischen Breite und damit ­Sicherheit in der Anwendung häufig verordnet und lösten die Barbiturate ab. 1977 wurde Diazepam in die Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Welt­gesundheitsorganisation (WHO) aufgenommen.

Etwa 10 bis 17 Prozent der Menschen in Deutschland nehmen im Lauf eines Jahres mindestens einmal ein Benzodiazepin-Präparat ein; 1 bis 2 Prozent der Erwachsenen nehmen mindestens ein Jahr lang täglich ein solches Mittel (1). Im letzten Jahrzehnt gingen die Verordnungen jedoch deutlich zurück, da vermehrt Risiken bekannt wurden (2). Die 30-Tages-Prävalenz des Gebrauchs von Schlaf- und Beruhigungsmitteln liegt bei 4,5 Prozent der Männer sowie 9,5 Prozent der Frauen (Alter 60 bis 64 Jahre) (3).

Der Gesetzgeber hat die Benzo­diazepine aufgrund des hohen Abhängigkeitspotenzials dem Betäubungs­mittelgesetz unterstellt; erst in der abgeteilten Form (Tablette, Ampulle) sind sie nicht BtM-pflichtig. Der Gemein­same Bundesausschuss hat die Verordnungsfähigkeit zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung ­zudem stark eingeschränkt. Eine Ver­ordnung ist nur zur Kurzzeittherapie möglich. Ein längerfristiger Einsatz ist nur in medizinisch begründeten Einzelfällen erstattungsfähig. Daher ­werden Benzodiazepine häufig auf ­Privatrezept verordnet und entziehen sich somit den Statistiken.

Benzodiazepine, GABA und der Chloridkanal

Benzodiazepine sind bizyklische Sub­stanzen mit einem Heterozyklus mit Stickstoffatomen an Position 1 und 4 (»Diazepin«), einem Phenylring an Position 5 und einem elektrophilen Substituenten, zum Beispiel Chlor, an Position 7.

Ihre pharmakologische Wirkung beruht auf der Bindung an Untereinheiten des GABAA-Rezeptors am ligandengesteuerten Chloridkanal. Es handelt sich um einen transmembranären ­Ionenkanal, der bei Aktivierung durch das biogene Amin GABA (gamma-­Aminobuttersäure) oder andere Sub­stanzen einen Chlorid-Einstrom in die Nervenzellen ermöglicht, was die ­Signalweiterleitung dämpft. Eine Dysfunktion des Kanals spielt bei Erkrankungen wie Epilepsie, Angststörungen und Schlaflosigkeit eine Rolle. Die volle Kanalöffnung findet statt, wenn zwei GABA-Moleküle an die α- und die β-Untereinheit des Chloridkanals binden (kooperative Bindung). Dies führt zu einer Hyperpolarisation und somit zu einer erschwerten Exzitation des Neurons.

GABAerge Neurone sind häufig in­hibitorische Interneurone und an fast ­allen Vorgängen im Gehirn beteiligt. GABA wiederum ist der wichtigste in­hibitorische Neurotransmitter im ZNS. Benzodiazepine können den Effekt von GABA verstärken, in dem sie an die α- und γ-Untereinheit des Chloridkanals binden und so dessen Affinität für GABA erhöhen (allosterische Modula­tion).

Das bedeutet: Benzodiazepine wirken nur bei Vorhandensein von körpereigenem GABA. Die Öffnung des Kanals erfolgt nie stärker als es physiologisch durch Bindung von GABA möglich ist (Ceiling-Effekt). Daraus resultiert eine große therapeutische Breite und Sicherheit selbst bei Überdosierung. Im Unterschied dazu können Barbiturate bei Überdosierung eine Atemlähmung auslösen, da sie selbst GABAerg wirken.

Die Wirkung hängt zudem ab von der Konzentration an Chloridionen in der Zelle, was Wirkunterschiede an unterschiedlichen Tagen bei dem gleichen Patienten erklären kann.

Der GABAA-Rezeptor ist ein Pentamer, das sich aus verschiedenen Varianten der Untereinheiten zusammensetzt. Man kennt α1-6, b1-3, γ1-3 und ­d-Untereinheiten. Die mannigfaltigen Rezeptorvariationen und die unterschiedlichen Häufigkeiten der diversen Rezeptoren in verschiedenen Gehirn­arealen können die differenzierte Wirkung von GABA und den Benzodiazepinen erklären.

Dadurch lässt sich auch die etwas andere Wirkung der Z-Substanzen erklären, die ebenfalls am GABAA-Rezeptor angreifen. Z-Substanzen haben keine antiepileptische Wirkung, verbessern aber den Schlaf.

Tierexperimentell konnte gezeigt werden, dass die Untereinheiten α2 und -3 anxiolytische Wirkung vermitteln. Sedierung und Amnesie werden durch α1, die muskelrelaxierende und anxiolytische Wirkung durch α2 und -3 vermittelt. Besonders häufig treten GABAerge Neurone in der Großhirn­rinde auf, mit etwas geringerer Dichte auch in Hypothalamus, Thalamus, Kleinhirn und im limbischen System.

Flumazenil, das bei Überdosierungen als Antidot eingesetzt werden kann, ist ebenfalls ein Benzodiazepin, jedoch mit partial-agonistischer Wirkung. Aufgrund seiner hohen Bindungsaffinität zum GABA-Rezeptor verdrängt es Benzodiazepine vom ­Rezeptor. Erst bei sehr hoher Dosis wirkt Flumazenil selbst agonistisch.

Unterschiede in der Pharmakokinetik

Benzodiazepine werden rasch resorbiert, haben aber unterschiedliche Halbwertszeiten (HWZ). Bei der Metabolisierung entstehen teilweise aktive Metaboliten mit langer HWZ, zum Beispiel Desmethyl-Diazepam mit etwa 90 Stunden. Insbesondere bei älteren Menschen kann dies zur Akkumulation führen. Diazepam sollte daher bei älteren Menschen nicht eingesetzt werden (4). Die geschwindigkeitsbestimmenden Schritte sind die N-Desalkylierung, die C3-Hydroxylierung oder die C3-­Glucuronidierung (Tabelle 1).

Wirkstoff, Indikation Erwachsenen-Dosierung (mg/d) Halbwertszeit (h), aktive Metabolite und deren HWZ (h) CYP-Metabolismus Äquivalenzdosis (mg)
Diazepam
- Prämedikation vor operativen oder diagnostischen Eingriffen (z. B. Endoskopien) und postoperative Medikation
- akute Angst-, Erregungs-, Spannungs- und Unruhezustände
- Status epilepticus
- Tetanus
2,5 – 10 oral, maximal 60, bei i. v. Gabe: 10 mg, erneute Gabe nach 30 Minuten möglich, maximal 40 24 – 48 N-Desmethyldiazepam (36 – 200),
Oxazepam (4 – 15),
Temazepam (8 – 22)
CYP2C19, CYP3A4, CYP2B6 10
Chlordiazepoxid
symptomatische Kurzzeitbehandlung von Angstzuständen bei Erwachsenen bis zu 62,5, Einzeldosis von 25 mg sollte nicht überschritten werden 6 – 38
N-Desmethyl-Chlordiazepoxid (10 – 18),
Demoxepam (37),
N-Desmethyldiazepam (36 – 200),
Oxazepam (4 – 15)
CYP3A4 25
Clobazam
- symptomatische Behandlung von akuten und chronischen Spannungs-, Erregungs- und Angstzuständen
- Zusatztherapie bei Patienten mit epileptischen Anfällen
einschleichend dosieren: Anfangsdosis 5 – 15, allmählich steigern bis maximal: circa 80 12 – 60 N-Desmethyl­clobazam (36 – 79) CYP2C19, CYP3A4 20
Dikaliumclorazepat
- symptomatische Behandlung von akuten und chronischen Spannungs-, Erregungs- und Angstzuständen
- Prämedikation vor diagnostischen oder operativen Eingriffen
10 – 20
Dikaliumclorazepat in 2 – 3 Einzelgaben oder als abendliche Einmaldosis, bei Bedarf: Tagesgesamtdosis auf 50 – 150 (maximal) erhöhen
2 – 2,5 Nordazepam, (36 – 200), Oxazepam (4 – 15) CYP3A4, CYP2C19 20
Flurazepam
Schlafstörungen 13,71, maximal 27,42 2,3 – 3,4 Desalkylflurazepam (19 – 133) CYP3A4 15 – 30
Medazepam (Prodrug)
symptomatische Behandlung von akuten und chronischen Spannungs-, Erregungs- und Angstzuständen 10 – 30 in 2 – 3 Einzeldosen oder als abendliche Einmaldosis, maximal 60 2 – 5
Desmethylmedazepam, Diazepam (24 – 48), Desmethyldiazepam (36 – 200),
Oxazepam (4 – 15)
CYP2C19, CYP3A4, CYP2B6 10
Prazepam (Prodrug)
symptomatische Behandlung von akuten und chronischen Spannungs-, Erregungs- und Angstzuständen 10 – 20 verteilt auf 2 Einzeldosen, maximal 60 1 – 3
Nordazepam (36 – 200),
Oxazepam (4 – 15)
CYP2C19, CYP3A4 10 – 20
Tabelle 1: Benzodiazepine mit langer Halbwertszeit: Indikationsgebiete und Dosierungen gemäß der Fachinformationen, Äquivalenzdosierungen nach www.benzo.org.uk; Abbauwege gemäß Fachinformationen und pharmGKB (www.pharmgkb.org/pa

Bereits hydroxylierte Benzodiazepine wie Oxazepam und Lorazepam haben eine kürzere HWZ (Tabelle 2). Sie werden im Phase-2-Metabolismus als ­Konjugat, zum Beispiel als Glucuronid, renal ausgeschieden.

Die Ausscheidung durch Hydroxylierung und Glucuronidierung hängt entscheidend von der Leberfunktion des Patienten ab. Die HWZ verlängert sich daher bei älteren Menschen oder Pa­tienten mit eingeschränkter Leberfunktion deutlich.

Zudem unterscheiden sich Dauer und Ausmaß der Verteilung im Organismus deutlich. So haben Diazepam und Nordiazepam ein großes Verteilungsvolumen, sodass Diazepam nach einmaliger Applikation trotz der langen Halbwertszeit nur eine kurze Wirkungsdauer hat. Durch Rückdiffusion der Substanz aus dem zentralen Kompartiment in die peripheren Gewebe werden wirksame Konzentrationen im Gehirn nur relativ kurze Zeit aufrechterhalten. Alprazolam, Clobazam, Lor­azepam und Oxazepam haben hingegen ein kleines Verteilungsvolumen.

Abhängigkeit, Sturz, Demenz und Pneumonie

In der Regel bergen Benzodiazepine kein kardiales, renales oder hepatisches Risiko. Problematisch sind jedoch eine schnelle Toleranzentwicklung und ­Abhängigkeit, erhöhtes Sturzrisiko (5) sowie kognitive Beeinträchtigungen.

Seit fast 20 Jahren wird immer ­wieder ein Zusammenhang mit dem Auftreten einer Alzheimer-Demenz ­diskutiert (6, 7). Bei einer regelmäßigen Einnahme über mehr als drei Monate ist das Risiko für eine Alzheimer-­Demenz bei Patienten über 65 Jahren um 50 Prozent erhöht. Eine Kohortenstudie zeigte zudem, dass die Wirk­stoffe Diazepam, Chlordiazepoxid, ­Lorazepam und Temazepam mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von Pneu­monien und Pneumonie-assoziierter Mortalität einhergehen (8).

Während Patienten mit Angststörungen für die anxiolytische Wirkung eher keine Toleranz entwickeln, ist dies jedoch für die muskelrelaxierende, sedierende und antikonvulsive Wirkung nachgewiesen. Es besteht zudem eine Kreuztoleranz zu Alkohol. Das bedeutet: Bei regelmäßigem Alkoholkonsum sind meist höhere Benzodiazepin-­Dosierungen nötig, um einen pharmakologischen Effekt zu erzielen.

Das Absetzen ist mit einer starken ­Rebound-Symptomatik verbunden. Diese kann schon nach mehrwöchiger Einnahme durch Toleranzentwicklung entstehen. Es empfiehlt sich daher, Benzodiazepine maximal vier bis sechs Wochen einzusetzen. Fragebögen helfen, abzuschätzen, ob der Patient bereits eine Toleranz entwickelt hat und ein Absetzen angezeigt ist (zum Beispiel Lippstädter Benzo-Check).

Nebenwirkungen

Häufige unerwünschte Wirkungen sind Sedierung, Tagesmüdigkeit und Schläfrigkeit mit Beeinträchtigung von Aufmerksamkeit und Reaktionsvermögen. Auch Muskelschwäche, Mattigkeit, Ataxie, Verwirrtheit, Depression und Schwindelgefühl treten häufig auf. Das Sturzrisiko ist deutlich erhöht.

Bei Patienten mit Delir können Benzo­diazepine das Delir noch verstärken und sollten daher nur unter sehr strenger Risiko-Nutzen-Abwägung eingesetzt werden (siehe auch Titelbeitrag in PZ 42/2019).

Gelegentliche unerwünschte Wirkungen sind Überempfindlichkeits­- und, anaphylaktische Reaktionen, Angioödem, Syndrom der inadäquaten Ausschüttung des antidiuretischen Hormons (SIADH), Hyponatriämie, ­Hypothermie, Verstopfung, Bilirubin-Anstieg, Gelbsucht, Anstieg der Leber-Transaminasen und der alkalischen Phosphatase, Änderungen der Libido, Impotenz und verminderter Orgasmus.

Es kann auch zu einer paradoxen Wirkung mit Agitiertheit, Euphorisierung, Erregungszuständen, Schlaflosigkeit und Aggressivität kommen. Dies tritt vor allem bei älteren Menschen und hohen Dosierungen auf.

Die Fahrtüchtigkeit und die Fähigkeit, Maschinen zu bedienen, sind unter Benzodiazepinen nicht gegeben. Die Patienten müssen bei der Abgabe unbedingt dazu aufgeklärt werden. Auch die DRUID-Expertengruppe (­Driving under the influence of drugs, alcohol and medicines) warnt vor der Einnahme von Benzodiazepinen beim Autofahren (9).

Aufgrund des erhöhten Sturzrisikos, des verzögerten Reaktionsvermögens, kognitiven Funktionseinschränkungen und einer möglichen Depression sind insbesondere langwirksame Benzodi­azepine gemäß der Priscus-Liste bei ­Senioren zu vermeiden (4). Für einige mittellang- und kurzwirksame Sub­stanzen gelten Tageshöchstdosen: Lor­azepam 2 mg, Oxazepam 60 mg, Lormet­azepam 0,5 mg, Brotizolam 0,125 mg (Tabelle 2). Dennoch wird das Risiko für Stürze nur minimal gesenkt (10).

Indikation Erwachsenen-Dosierung (mg/d) Halbwertszeit (h), aktive Metabolite und deren HWZ (h) CYP Metabolismus Äquivalenzdosis (mg)
Alprazolam
akute und chronische Spannungs-, Erregungs- und Angstzustände 3 × 0,25 – 0,5, max. 4 12 – 15 Hydroxyalprazolam (12 – 15) CYP3A4 0,5
Bromazepam
akute und chronische Spannungs-, Erregungs- und Angstzustände Beginn mit 3 – 6 in 2 bis 4 Einzeldosen, ambulant in Einzelfällen bis 12, in der Klinik bis 18 15 – 28 Hydroxybromazepam (unbekannt) CYP3A4 5 – 6
Brotizolam
kurzzeitige Behandlung von Ein- und Durchschlafstörungen 0,125 – 0,25 4 – 9 9-Hydroxymethyl-Brotizolam (3 – 6)
6-Hydroxymethyl-Brotizolam (3 – 6)
0,5
Clonazepam
- vor allem als Zusatztherapie bei Epilepsie, vor allem Absencen inklusive atypischen Absencen, Lennox-Gastaut-Syndrom, myoklonische und atonische Anfälle
- infantile Krampfanfälle (inklusive West-Syndrom) und tonisch-klonische Anfälle (ausschließlich als Zusatztherapie oder bei Nichtansprechen auf andere Arzneimittel)
peroral: 0,5 – 4, maximal 8, intravenös: langsame (0,5 bis 1 ml/min) Injektion von 2 ml (1 mg) Lösung. Dosis kann, wenn notwendig, wiederholt werden, eventuell als i. v. Infusion. Maximale Tagesdosis etwa 13 mg i. v. 18 – 50 keine aktiven Metabolite CYP3A4, NAT2 0,5
Flunitrazepam
Kurzzeitbehandlung von Schlafstörungen 0,5 – 1, in Ausnahmefällen 2 18 – 26 Desmethyl-Flunitrazepam (20 – 30) Desmethyl-Hydroxyflunitrazepam (9 – 25) CYP3A4 1
Lorazepam
- Kurzzeitbehandlung von Angst-, Spannungs- und Erregungszu­ständen und dadurch bedingten Schlafstörungen
- Sedierung vor diagnostischen und operativen Eingriffen
- i.v./i.m. Ampullen: Beruhigung (Basissedierung) vor und während operativer und diagnostischer Eingriffe
- Behandlungseinleitung schwerer neurotischer Angstsymptomatik und ausgeprägter Phobien (vorzugsweise i.v.)
- adjuvante kurzfristige Behandlung schwerer Angst- und Erregungs­zustände bei Psychosen und Depressionen
- Status epilepticus
peroral: 0,5 – 2,5, verteilt auf 2 bis 3 Einzeldosen oder als abendliche Einmaldosis, maximal 7,5
- intramuskulär/intravenös: 2 mg Startdosis (0,05 mg/kg KG), maximal 8
12 – 16 keine aktiven Metabolite Glucuronidierung über UGT2B15 1
Lormetazepam
Kurzzeitbehandlung der Schlaflosigkeit Einzeldosis: 1, bei älteren Patienten 0,5, im Einzelfall: Dosis verdoppeln 10 – 12 Lorazepam (12 – 16) Glucuronidierung, renale Elemination 1 – 2
Midazolam
-peroral: Sedation in der Prämedikation vor diagnostischen und operativen Eingriffen
- i. v./i. m.: Analgosedierung vor und während diagnostischer oder therapeutischer Eingriffe mit oder ohne Lokalanästhetika, Narkose: Prämedikation vor Narkoseeinleitung, Narkoseeinleitung, sedierende Komponente einer Kombinations­narkose (nur bei Erwachsenen), Sedierung auf der Intensivstation
30 bis 60 min vor dem diagnostischen oder operativen Eingriff peroral: 7,5 – 15
intramuskulär/intravenös: siehe Fachinformation
2 – 3 alpha-Hydroxymidazolam (1) CYP3A4 10
Nitrazepam
Kurzzeitbehandlung von Schlafstörungen 2,5 – 5, maximal 10 18 – 30 keine aktiven Metabolite CYP3A4 10
Oxazepam
akute und chronische Angst-, Spannungs- und Erregungszustände, Durchschlafstörungen 10 – 30, maximal 60 4 – 15 keine aktiven Metabolite Glucuronidierung über UGT2B15, UGT2B7, UGT1A9, renale Elimination 20
Temazepam
Kurzzeitbehandlung von Schlafstörungen bei Erwachsenen Tageshöchstdosis: 10 – 20, in Ausnahmefällen: 30 – 40 8 – 22 Oxazepam (4 – 15) CYP3A4, CYP3C19, Glucuronidierung über UGT2B7, UGT2B15 20
Triazolam
Kurzzeitbehandlung von Schlafstörungen 0,125 – 0,25 (Erwachsene), Ältere: 0,125 2 – 5 Hydroxytriazolam (2 – 4) CYP3A4 0,5
Tabelle 2: Benzodiazepine mit mittlerer bis kurzer Halbwertszeit: Indikationsgebiete und Dosierungen gemäß Fachinformationen, Äquivalenzdosierungen nach www.benzo.org.uk; Abbauwege gemäß Fachinformationen und pharmGKB (www.pharm

Pharmakodynamische Wechselwirkungen

Bei Anwendung von Benzodiazepinen zusammen mit Opioiden steigt das ­Risiko von Sedierung, Atemdepression, Koma und Tod aufgrund der gegenseitigen Verstärkung der zentraldämpfenden Wirkung. Dosis und Dauer der gleichzeitigen Anwendung sind zu beschränken.

Bei gleichzeitiger Anwendung von ­Benzodiazepinen mit anderen zentraldämpfenden Arzneimitteln, zum Beispiel Hypnotika, Sedativa, Analgetika, Psychopharmaka, Lithium, Anästhetika und Antihypertonika, sowie mit Alkohol können sich die Wirkungen wechselseitig verstärken. Diese Wechsel­wirkungen sind vor allem bei Therapiebeginn, hoher Startdosis oder schneller Dosiserhöhung relevant.

Pharmakokinetische Wechselwirkungen

Bei Einsatz von Inhibitoren oder Induktoren von CYP oder/und UGT kann es zu einem Konzentrationsabfall (In­duktion) oder -anstieg (Inhibition) kommen. Auch aktive Metabolite können kumulieren. Der Einsatz von Inhibitoren und Induktoren sollte daher nur nach einer Interaktionsprüfung erfolgen.

Clobazam ist ein CYP2D6-Inhibitor. Gemäß Fachinformation kann es zu ­einem Anstieg des CYP2D6-Substrats Dextromethorphan um 90 Prozent führen. Durch gleichzeitigen Alkoholkonsum stiegen die Clobazam-Spiegel um 50 Prozent an.

Besondere Bedeutung haben Interaktionen mit Valproat, das Patienten mit Epilepsie oder psychiatrischen Krankheitsbildern, beispielsweise Manie, möglicherweise parallel zu Benzodiazepinen einnehmen. Valproat kann die Wirkung von Oxazepam und Lor­azepam durch Inhibition der Glucu­ronidierung verstärken. Lorazepam hemmt jedoch auch den Abbau von Valproat; daher sind in dieser Kombination Plasmaspiegel-Messungen ratsam.

Für Alprazolam und Lormetazepam wurde eine Interaktion mit Digoxin ­beobachtet: Die Plasmaspiegel von ­Digoxin können steigen. Eine Plasmaspiegel-Bestimmung ist daher beim An- und Absetzen dieser Benzodiazepine anzuraten.

Zudem wurde eine verkürzte Wirkdauer von Prazepam bei Rauchern (Induk­tionseffekte) beobachtet.

Absolute und relative ­Kontraindikationen

Eine Einnahme oder intravenöse Gabe sollte insbesondere dann nicht erfolgen, wenn der Patient akut intoxikiert ist, zum Beispiel mit Alkohol, Drogen, Analgetika oder anderen Psychopharmaka. Hier drohen Atemdepression und Kreislaufstillstand!

Vorsicht ist besonders bei der ­Kombination mit den atypischen Antipsychotika Clozapin (peroral) und Olanzapin (intramuskulär) geboten. Hier wurden Todesfälle durch plötzlichen Kreislauf- oder Atemstillstand gemeldet (11). Es gilt daher eine absolute (Clozapin) und relative Kontraindikation (Olanzapin intramuskulär). Ausnahme: Katatone Schizophrenie, malignes neuroleptisches Syndrom oder extreme Agitiertheit lassen den Einsatz vertretbar erscheinen (12, 13).

Aufgrund der muskelrelaxierenden Wirkung dürfen Benzodiazepine nicht bei Patienten mit Myasthenia gravis verordnet werden. Bei Schlafapnoe oder COPD sollten sie nicht eingesetzt werden.

Bei Schwangeren sollten Benzo­diaze­pine nur im Notfall dauerhaft eingesetzt werden, da sie die Plazenta­schranke überwinden und beim neu­geborenen Kind zum »Floppy Infant Syndrom« führen können. Dieses geht mit Muskelschwäche und Sedierung einher. Auch beim Stillen ist die Einnahme ungünstig, da Benzodiazepine in die Muttermilch übergehen.

Ist der ­Einsatz unumgänglich, sollten nur kurzwirksame Präparate wie Lora­zepam Anwendung finden (www.­embryotox.de).

Hauptindikation Schlafstörungen

Häufig werden Benzodiazepine bei Schlafstörungen eingesetzt. Die Zu­lassung bei isolierten Schlafstörungen besteht für Flunitrazepam, Flurazepam, Lormetazepam, Nitrazepam, ­Temazepam und Triazolam (Tabellen 1 und 2). Schlafhygienische Maßnahmen sollten vorher jedoch gänzlich ausgeschöpft werden.

Nach mehrwöchigem Gebrauch kommt es beim Absetzen zu einem ­Rebound des REM-Schlafs – man hat dadurch sehr lange und intensive Traumphasen. Die Patienten fühlen sich morgens »wie gerädert«. Dies kann einen Teufelskreis anstoßen, wenn die Patienten in der darauffolgenden Nacht wieder zur Medikation greifen. Bei längerer Einnahme kann es durch den Rebound sogar zu absoluter Schlaflosigkeit kommen. Die ­Dosis sollte daher langsam reduziert und der ­Patient immer wieder motiviert werden, die Entwöhnung durchzuhalten. Die Verordnung von Benzodiazepinen sollte vier Wochen nicht überschreiten, um Abhängigkeiten zu vermeiden.

Das Gleiche gilt für Z-Substanzen, da auch diese eine Abhängigkeit auslösen können. Deren Vorteil liegt lediglich in einer kürzeren Halbwertszeit und damit weniger Überhang am nächsten Morgen. Das Sturzrisiko ist ebenfalls erhöht (4). Die Priscus-Liste gibt daher Höchstdosierungen für Patienten über 65 Jahre an: Zolpidem 5 mg, Zopiclon 3,75 mg, Zaleplon 5 mg (4). Auch bei den Z-Substanzen kann es zu paradoxen ­Reaktionen kommen und die Kognition wird eingeschränkt.

Eine Alternative bieten insbesondere Antidepressiva mit schlaffördernder Wirkung, bei denen keine Abhängigkeit auftritt, zum Beispiel Mirtazapin, Agomelatin, Trazodon und Trizyklika, sowie bei älteren Patienten die Antipsychotika Pipamperon und Melperon. Zuge­lassen zur Behandlung der isolierten Insomnie sind aber nur Doxepin, Melperon und Pipamperon. Bei psychiatrischen Grunderkrankungen können die Antidepressiva Trazodon, Agomelatin, Amitriptylin und Mirtazapin sowie die Antipsychotika Quetiapin, Olanzapin, Prothipendyl, Chlorprothixen und Levomepromazin zulassungsgemäß verordnet werden. Von Antihistaminika und Phytopharmaka rät die S3-Leitlinie zu Schlafstörungen bei Erwachsenen aufgrund von unzureichender Daten­lage ab (14).

Unersetzlich bei Status epilepticus

So essenziell Benzodiazepine im Status epilepticus sind, so ungeeignet sind sie als Dauermedikation, da eine schnelle Toleranzentwicklung mit Absinken der Krampfschwelle eintritt. Die S1-Leit­linie Epilepsie (Stand 2017) der Deutschen Gesellschaft für Neurologie empfiehlt, ausschließlich Antiepileptika als Dauermedikation einzusetzen, zum Beispiel Levetiracetam, Gabapentin und Valproat (15).

Beim Status epilepticus empfiehlt die Leitlinie »Status epilepticus im ­Erwachsenenalter« (Stand 2012) den Einsatz von Benzodiazepinen als erste Wahl (16). Die Gabe sollte nur erfolgen, wenn der Anfall länger als zwei Minuten anhält oder ein hohes Risiko für eine Anfallsserie besteht. Hier sind vor allem parenterale Darreichungsformen gefragt: Lorazepam, Clonazepam, Diazepam und Midazolam intravenös und intramuskulär sowie Diazepam-Rektiolen. Midazolam gibt es auch als Buccaltablette oder Nasenspray (off label, NRF 17.3.: Midazolamhydrochlorid-Lösung 2,22 mg/ml).

Midazolam-Ampullen können auch über einen Vernebelungs-Applikator mit Luer-Lok-Anschluss (zum Beispiel MAS 300) über die Nase verabreicht werden, was dem Patienten eine rektale Gabe, zum Beispiel zu Hause oder im Heim, ersparen kann (17). Die Buccal­tabletten sind nur für Kinder und ­Jugendliche bis 18 Jahren zugelassen. Midazolam wird rasch über die Rachenschleimhaut resorbiert – auch bei Applikation als Nasenspray.

Als zweite Wahl kommen im Status epilepticus Valproat und Phenytoin infrage.

Einsatz bei akuter Angst und in der Akutpsychiatrie

Im Rettungswagen ist bei Ausnahme­situationen oft Lorazepam Mittel der Wahl, um den Patienten, zum Beispiel nach Myokardinfarkt oder schweren Unfällen, schnell zu beruhigen (Tabelle 2).

Eine längerfristige Gabe bei Angsterkrankungen wie der generalisierten Angststörung, Agoraphobie oder Panikstörung ist hingegen kontraproduktiv. Die Patienten entwickeln schnell eine psychische Abhängigkeit (»Handtaschen-Tavor«), sodass sie nicht mehr aktiv werden können, ohne das Medikament mitzuführen. Die S3-Leitlinie Angststörungen (Stand 2014) empfiehlt den Einsatz von Benzodiazepinen nur im absoluten Ausnahmefall (18). Angsterkrankungen sollten primär psychotherapeutisch oder allenfalls mit SSRI, Pregabalin, Opipramol, Buspiron oder SSNRI behandelt werden.

Lavendelöl hat eine gewisse Bedeutung als OTC-­Produkt gewonnen. ­Inhaltsstoffe binden ebenfalls an GABAA-­Rezeptoren, jedoch nicht an den Benzodiazepin-Rezeptor.

Bei akuten Erregungszuständen, zum Beispiel nach sehr belastenden ­Ereignissen wie einem Unfall oder Tod eines Angehörigen, können Benzodi­azepine wegen ihres schnellen Wirkeintritts (anders als bei Antidepressiva mit einer Latenzzeit von bis zu 14 Tagen) hilfreich sein. Sowohl orale wie auch parenterale Verabreichungen sind möglich. Bei älteren Menschen steigt aber – ähnlich wie bei anticholinerg wirksamen Substanzen – das Delir-Risiko (paradoxe Wirkung).

In der Akutpsychiatrie ist zu beachten, dass der Patient vorab keine Drogen, Alkohol oder Psychopharmaka ein­genommen haben darf, da Fälle von Atem- und Kreislaufdepression beschrieben sind. Eine Alternative bieten dann die atypischen Antipsychotika. Bei akuten psychotischen Erregungszuständen liegen vor allem für die Monotherapie mit Benzodiazepinen keine Wirksamkeitsbelege vor (19). Vorsicht bei Suizidalität: Die anxiolytische Wirkung kann das Risiko für einen Suizid erhöhen (20).

Schnelle Hilfe bei katatoner Schizophrenie

Katatone Symptome sind im Verlauf schizophrener Erkrankungen häufig (etwa 30 bis 40 Prozent) und können das klinische Bild sogar dominieren (21). Man unterscheidet zwei entgegengesetzte, manchmal im schnellen Wechsel auftretende Formen:

  • katatoner Sperrungszustand mit Hemmung der Motorik, Stupor und Rigidität, sowie
  • katatoner Erregungszustand mit psychomotorischer Bewegung (Bewegungssturm).

Mittel der Wahl sind neben der Elektrokrampftherapie insbesondere Benzodiazepine (22). Als besonders gut wirksam in dieser Indikation haben sich Lorazepam und Diazepam erwiesen. Bei Stupor (Starrezustand bei vollem Bewusstsein) und Mutismus (Stummheit, psychogen bedingt) oder starker psychomotorischer Hemmung (kata­toniformen Zuständen) ist Lorazepam zunächst in einmaliger Dosis von 2 bis 2,5 mg indiziert (auch als langsame ­intravenöse Gabe möglich).

OP-Vorbereitung

Lorazepam ist zur Sedierung vor und nach Operationen zugelassen. Midazolam wird wegen der guten Steuerbarkeit (kurze Halbwertszeit) häufig auf der ­Intensivstation zur Analgosedierung und Sedierung verwendet. Zusätzlich kommt es zur Anästhesie-­Einleitung, als Prämedikation zur Narkose und als ­sedierende Substanz bei der Kombina­tionsnarkose zum Einsatz.

Diazepam ist zugelassen als Prä­medikation bei operativen oder diagnostischen Eingriffen.

Einsatz beim qualifizierten Alkoholentzug

Insbesondere bei Krampfanfällen in der Vorgeschichte ist beim Alkohol­entzug der Einsatz von Benzodiazepinen indiziert. Diese schwächen nicht nur die Entzugssymptomatik ab, sondern verhindern auch, dass Krampfanfälle oder Delirien als Komplikation auf­treten. Die Arzneistoffe werden sofort nach Aufnahme verabreicht und langsam über wenige Wochen abdosiert.

Bei Entzug ohne vorherigen Krampfanfall kann man mit dem Alkohol­entzugs-Symptom-Bogen arbeiten und nur bedarfsweise ein Benzodiazepin verabreichen. Dabei werden die Aspekte Blutdruck, Ruhepuls, Tremor, Schwitzen, Übelkeit und Erbrechen, Durchfall, Ängstlichkeit, Nervosität, psychomotorische Unruhe, Orientierung, Trugwahrnehmungen und Halluzinationen sowie Krampfanfälle erfasst. Mithilfe eines Scores wird dann ermittelt, ob ein Benzodiazepin verabreicht werden muss. Die Messung erfolgt nach Aufnahme zunächst jede Stunde, das Kon­trollintervall kann im Verlauf verlängert werden.

Muskelrelaxation

Alle Benzodiazepine haben eine muskelrelaxierende Wirkung und erhöhen so das Sturzrisiko, insbesondere bei ­älteren Menschen (4). In der Indikation »Muskelrelaxation« steht seit 2013 ­jedoch kein Benzodiazepin mehr zur Verfügung. Tetrazepam wurde wegen schwerer Hautreaktionen vom Markt genommen; die Zulassung ruht auf Geheiß der EMA bis mindestens 2021.

Eine Option bieten Methocarbamol (Lumbalgie), Baclofen (Spastik) und ­Tolperison (Spastik). Die S3-Leitlinie »Kreuzschmerz« (Stand 2017) rät von zentralen Muskelrelaxanzien jedoch gänzlich ab (23).

Zulassung bei Tetanus

Bei Infektionen mit Clostridium tetani wird Tetanus-Toxin gebildet, das die Ausschüttung inhibitorischer Transmitter (Glycin, GABA) am α-Moto­neuron hemmt. Folge ist eine Enthemmung der α-Motoneurone, die zu einem erhöhten Muskeltonus und zu Muskelspasmen führt.

Diazepam ist als einziges Benzodi­azepin zugelassen zur Behandlung von Spasmen bei Tetanus. Aufgrund der ­relativ schlechten muskelrelaxierenden Wirkung müssen sehr hohe Dosen (bis zu 500 mg Diazepam/d!) eingesetzt werden. Die DGN-Leitlinie »Tetanus« (Stand 2017) empfiehlt zudem Midazolam als Dauerinfusion sowie Lorazepam (24).

Off-label bei Pavor nocturnus

Nachtangst (Pavor nocturnus) ist an den Tiefschlaf gebunden und geht mit einer vegetativen und emotionalen ­Erregung und vorübergehenden Des­orientierung einher. Pavor nocturnus findet sich meist bei Kindern und Jugendlichen. Bei ausgeprägtem Krankheitsbild kann off-label Clonazepam (Rivotril® 0,5 bis 2 mg), Alprazolam, ­Diazepam oder Imipramin gegeben werden.

Rolle der Apotheker beim Benzodiazepin-Entzug

Apotheker sollten bei Rezepteinlösung auf behutsame Art und Weise versuchen, den Patienten die Probleme einer Dauereinnahme zu vermitteln. Patienten haben dieses Problembewusstsein oft nicht, da die Einnahme »ärztlich legitimiert« ist und sie das Medikament in der Apotheke bekommen. Zudem sind die Dosierungen meist konstant. Tagesdosen, die eine Äquivalenzdosis von 20 mg Diazepam nicht überschreiten, liegen im therapeutischen Bereich (Low-Dose-Dependency).

Im Gespräch sollte das Apothekenteam auf die Begriffe »Sucht« und »Abhängigkeit« möglichst verzichten und den Patienten umfassend informieren. Dazu gehört, auf die Nebenwirkungen langfristiger Einnahme hinzuweisen, zum Beispiel Leistungseinbußen bis zu einem erhöhten Risiko für Demenzen. Nach chronischer Einnahme hoher Dosen können weitere Symptome auf­treten wie dysphorische Verstimmung, Vergesslichkeit, Leistungsminderung, eingeschränkte Kritikfähigkeit und Gleichgültigkeit, extreme muskuläre Schwäche mit Reflexverlust, Appetitstörungen, Abnahme der Libido und Menstruationsstörungen. Erläutert man diese Effekte der langfristigen ­Einnahme, sind viele Patienten bereit, einen Absetzversuch zu unternehmen.

Beim Absetzen unterscheidet man Rebound- und Entzugssymptome. Rebound-Symptome sind eine Gegenregulation mit akutem und verstärktem Auftreten der ursprünglichen Krankheitssymptomatik (Unruhe, Angst, Schlafstörungen). Sie halten wenige Tage an. Entzugssymptome waren dagegen vor der ersten Benzodiazepin-Verordnung nicht vorhanden. Sie können zwei bis zehn Tage nach dem Absetzen auftreten (je nach HWZ des Wirkstoffs) und halten gewöhnlich fünf bis 15 Tage an. Auch das Risiko für Krampfanfälle ist in diesem Zeitraum erhöht (Tabelle 3).

Entzugssymptome Beispiele
leicht - vermehrte Angst, innere Unruhe, Schreckhaftigkeit, erhöhte Irritabilität
- Schlaflosigkeit
-erhöhte Herzfrequenz, Blutdrucksteigerung
-Übelkeit und Erbrechen, Schwitzen, Tremor
-Kopfschmerzen, Muskelverspannungen
schwer - Verwirrtheit, psychotische Zustände, Delirien
-Depersonalisation, Derealisation
-ängstlich-depressive Syndrome
-Krampfanfälle, Katatonie, Muskelzittern und -zuckungen
-Oszillopsien, Dysmorphopsien (gestörte Körperwahrnehmung)
-Photophobie, Hyperakusis
-Hypersomnie
-Dysästhesien, kinästhetische Störungen
Tabelle 3: Entzugssymptome nach Absetzen eines Benzodiazepins

Durch Toleranzentwicklung kann es auch bei fortgeführter Einnahme zu Entzugserscheinungen kommen.

Wichtig ist das stufenweise Ausschleichen. Die ersten 50 Prozent des Benzodiazepins können rasch reduziert werden, für die weiteren 50 Prozent sind manchmal mehrere Monate erforderlich. Die letzten 25  Prozent sollten sehr langsam abgesetzt werden. Jeder Reduktionsschritt sollte mindestens eine Woche dauern. Für den Erfolg des Entzugs ist insbesondere eine erfolgreiche Therapie der Grunderkrankung wichtig.

Faustregel: Die Dauer des Entzugs sollte in Monaten so lange dauern, wie die Einnahme in Jahren erfolgt ist. Ein Beispiel: Einnahme über fünf Jahre – Entzug über fünf Monate.

Grundregeln für die Verordnung

Benzodiazepine sollten nur nach der 5K-Regel eingesetzt werden:

  • klare Indikation,
  • kleinste mögliche Dosis,
  • kürzest möglicher Zeitraum,
  • kein abruptes Absetzen,
  • Kontraindikationen beachten.

Bei Beachtung dieser Grundsätze sind Benzodiazepine sicher in der Anwendung. In vielen Indikationen sind sie heute noch unverzichtbar. Bei Patienten mit Dauerkonsum sollte ein Absetzversuch unternommen werden. Dabei kann der Apotheker neben dem Arzt für eine Abhängigkeit sensibilisieren und den Patienten motivieren, das Absetzen durchzuhalten.

In der Kooperation von Arzt und Apotheker im Modellprojekt »Ambulanter Entzug Benzodiazepin-abhängiger Patienten in Zusammenarbeit von Apotheker und Hausarzt« war die Entzugsbehandlung bei 46 Prozent der Teilnehmer erfolgreich. 

Die Autorinnen

Martina Hahn studierte Pharmazie in Marburg und erhielt 2007 den Doctor of Pharmacy. Seit 2011 arbeitet sie als klinische Pharmazeutin in der Vitos Klinik Eichberg. Dort entwickelte sie zusammen mit Professor Dr. Sibylle C. Roll das Eichberger Modell und berät Ärzte und Patienten zu Arzneimittel­neben- und -wechselwirkungen. Neben Lehraufträgen an der Philipps-Universität Marburg und der Goethe-Universität Frankfurt für klinische Pharmazie hat Professor Hahn seit 2012 auch einen Lehrauftrag an der University of Florida und ist dort als Clinical Assistant Professor im ­Department of Pharmacology and Translational Research tätig. Seit 2013 ist sie Fachapothekerin für klinische Pharmazie.

Sibylle C. Roll ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit Zusatzbezeichnung Suchtmedizin. Berufsbegleitend hat sie ein Studium der Krankenhausbetriebswirtschaft absolviert. Sie ist Balint-Gruppenleiterin der Deutschen Balintgesellschaft sowie Dozentin und Super­visorin an mehreren Ausbildungsinstituten, Hochschulen und Universitäten. Aufgrund ihres wissenschaftlichen und klinischen Engagements bei der Implementierung klinischer Pharmazie in psychiatrische Behandlungs­konzepte wurde sie zur Profes­sorin am College of Pharmacy der Universität Florida ernannt. Professor Roll ist Herausgeberin und Auto­rin eines Standardlehrbuchs für Psychiatriepflege sowie Autorin und Co-Autorin weiterer Fachbücher und Fachartikel. Sie ist Klinikdirektorin der Vitos Klinik Eichberg und Ärztliche Direkto­rin des ­Vitos Klinikums Rheingau.

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