Verordnung problematischer Antibiotika sinkt |
Daniela Hüttemann |
10.08.2021 07:00 Uhr |
Antibiotika, erst recht solche mit hoher Resistenzgefahr oder Nebenwirkungsrate, sollten noch zurückhaltender verordnet werden, meinen Experten. / Foto: Getty Images/Isabel Pavia
»Der Antibiotikaverbrauch ist aufgrund der Resistenzgefahr schon seit Langem unter Beobachtung«, erklärt Professor Dr. Martin Schulz, Geschäftsführer Pharmazie des DAPI, die neueste Auswertung des Instituts gegenüber der Pharmazeutischen Zeitung. »Wir haben nun einen Methodenansatz geprüft, mit dem sich die Qualität des ambulanten Antibiotikaeinsatzes in Deutschland in den einzelnen Bundesländern untersuchen lässt.«
Dabei haben sich Schulz und seine Koautorinnen die Abgabedaten oraler Cephalosporine und Fluorchinolone der deutschen Apotheken zwischen 2014 und 2019 zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung genauer angesehen. »Wir wissen aus internationalen Vergleichen, dass diese Antibiotikaklassen, die für die häufigsten Infektionskrankheiten bereits länger nicht mehr zur Erstlinientherapie empfohlen werden, in Deutschland noch relativ häufig verordnet werden – da liegt der Verdacht nahe, dass die Antibiotikatherapie nicht leitliniengerecht erfolgt«, so Schulz.
Bei den Cephalosporinen fürchtet man vor allem Resistenzen, bei den Fluorchinolonen spielen außerdem die möglichen Nebenwirkungen eine Rolle. »Wir wollten wissen, welche Unterschiede innerhalb Deutschlands zu beobachten sind.« Allerdings lagen keine individuellen Patientendaten wie Diagnosen vor, daher konnten die Forschenden nicht den leitliniengerechten Einsatz direkt überprüfen.
Basis des Vergleichs waren die definierten Tagesdosen pro 1000 gesetzlich Versicherten pro Tag (DID). Berücksichtigt wurden auch der Anteil der Cephalosporine und Fluorchinolone an der Gesamt-Antibiotikaabgabe und saisonale Schwankungen der Abgaben. »Letztere sind ein Indiz dafür, dass die Antibiotika nicht leitliniengerecht eingesetzt werden, da wir jeden Winter einen Anstieg sehen, was auf die Verschreibung bei Atemwegsinfekten hindeutet«, erläutert der Studienleiter.
»Die gute Nachricht ist, dass die Abgabemengen für beide Antibiotikaklassen von 2014 bis 2019 in allen Bundesländern zurückgegangen sind«, fasst Schulz zusammen. Bei den Cephalosporinen war es bundesweit ein Minus von 22,1 Prozent, von 2,93 auf 2,28 DID. Im letzten Jahr der Auswertung (bewusst vor Beginn der Coronapandemie gewählt) hatten Berlin und Brandenburg mit jeweils 1,62 DID den niedrigsten Verbrauch; am höchsten war er mit 3,17 DID in Rheinland-Pfalz. Zum internationalen Vergleich: In Griechenland lag die DID für Cephalosporine bei 7,3, in Dänemark und den Niederlanden nur bei 0,03. »Hier ist also in Deutschland noch viel Luft nach oben«, kommentiert Schulz.
»Bei den Fluorchinolonen konnten wir vor allem ab 2017 einen deutlichen Rückgang sehen, vermutlich weil die Europäische Arzneimittelagentur damals ein Risikobewertungsverfahren startete, was 2019 zu starken Einschränkungen bei der Anwendung führte.« Dies sei ein schönes Beispiel für erfolgreiche Risikokommunikation. Die DID sank bundesweit um 53 Prozent, von 1,31 DID im Jahr 2014 auf 0,62 DID im Jahr 2019. Auch hier war der Verbrauch zuletzt in Brandenburg mit 0,47 DID am niedrigsten, während er im Saarland mit 0,89 am höchsten war. Damit liegt Deutschland mittlerweile ganz gut im europäischen Vergleich zwischen Topverbraucher Rumänien mit 3,1 DID und Norwegen mit 0,3 DID.
»Überrascht hat uns, dass insgesamt die drei Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen bei der Verordnungsqualität sehr gut abschneiden. Die hohe Arztdichte hier schien jedenfalls nicht mit vermehrten Antibiotika-Abgaben zu korrelieren«, berichtet Schulz. Bislang sei man immer eher von einem Ost-West-Gefälle ausgegangen. Alle Ergebnisse im Detail sind im Fachjournal »Antibiotics« nachzulesen.
»Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Kampagnen, die in den letzten Jahren in Deutschland mit den Hauptzielen leitliniengerechte Verschreibung von Antibiotika durch Ärzte und Information der Patienten über die korrekte Anwendung durchgeführt wurden, erfolgreich waren.« Solche Kampagnen sollten in Zukunft noch stärker auf problematische Antibiotika wie eben die Cephalosporine und Fluorchinolone ausgerichtet werden.