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Deutscher Studienpreis

Und der zweite Platz geht an …

… Apothekerin Dr. Nhomsai Hagen! Sie untersuchte in ihrer Dissertation die Qualität von Misoprostol- und Oxytocin-Präparaten aus legalen Quellen in Malawi und Ruanda. Dabei fand sie extrem minderwertige, aber auch qualitativ gute Arzneimittel. Ihre Arbeit würdigte die Jury des Deutschen Studienpreises der Körber-Stiftung jetzt mit einem zweiten Preis in der Sektion Natur- und Technikwissenschaften.
Brigitte M. Gensthaler
28.07.2021  18:00 Uhr

PZ: Herzlichen Glückwunsch, Frau Dr. Hagen! Der Deutsche Studienpreis ist einer der bedeutendsten Promotionspreise in Deutschland und somit gehören Sie nun zu den besten Promovierten Deutschlands. Wie fühlen Sie sich?

Hagen: Schon die Nominierung war eine große Auszeichnung. Ich fühlte mich geehrt, vor der Jury und elf anderen Kandidaten, die großartige Leistungen aus ganz unterschiedlichen Bereichen der Natur- und Technikwissenschaften präsentierten, über Arzneimittelqualität zu sprechen. Jetzt freue ich mich riesig, dass ich den zweiten Preis bekommen habe – und mein Doktor­vater, Professor Dr. Lutz Heide, ebenso.

PZ: Warum haben Sie sich in Ihrer Dissertation gerade mit Oxytocin und Misoprostol befasst?

Hagen: Oxytocin-Injektionen und Misoprostol-Tabletten sind die wichtigsten Arzneimittel, um Nachgeburtsblutungen zu stoppen. Sie können das ­Leben der Frau retten, denn postpartale Blutungen gehören zu den häufigsten Ursachen der Müttersterblichkeit in Entwicklungsländern. Leider sind beide Wirkstoffe chemisch instabil.

PZ: Welches sind die wichtigsten ­Ergebnisse Ihrer Arbeit?

Hagen: Bei meiner Analyse fand ich ­extrem unterdosierte und minderwertige Misoprostol-Präparate, aber die Oxytocin-Qualität war besser als erwartet. In der Folge riefen die Arzneimittelbehörden beider Länder die mangelhaften Chargen vom Markt zurück. Dies zeigt die Bedeutung der Zusammenarbeit mit Behörden in solchen Projekten. Die WHO-Angabe, dass etwa 10,5 Prozent der Arzneimittel in Entwicklungsländern weltweit minderwertig oder gefälscht seien, deckt sich recht gut mit meinen Ergebnissen und denen unserer Arbeitsgruppe.

Bei den Stabilitätsprüfungen konnte ich zeigen, wie wichtig das Chloro­butanol als Stabilisator in Oxytocin-Zubereitungen ist. Dieses Ergebnis haben wir auf der Plattform eDrug geteilt und bekamen viele positive Rückmeldungen, unter anderem vom Promoting the Quality of Medicines Program, das von der US-amerikanischen Behörde für Entwicklungszusammenarbeit finanziert wird (USP PQM+ Program).

PZ: Konnten Sie in Malawi und Ruanda tatsächlich zu mehr Sicherheit für Frauen nach der Entbindung beitragen?

Hagen: Kurzfristig auf jeden Fall, zum Beispiel durch die Rückrufe. Zudem haben Professor Heide und ich die Ergebnisse bei Workshops, unter anderem im größten Lehrkrankenhaus Malawis, und vor Regierungsvertretern sowie Nicht-Regierungs-Organisationen vorgestellt und die Teilnehmer trugen das Gelernte weiter in ihre Projekte. Ebenso waren wir immer mit dem Pharmacy Department in Malawi – dessen Leiter, Dr. Felix Khuluza, ist übrigens auch ein Doktorand von Professor Heide – und der University of Ruanda in Kontakt; wir hoffen, dass die Inhalte dort in die Lehre einfließen.

PZ: Aufmerksamkeit für minderwertige Medikamente ist gut, aber wie wird die Nachverfolgung gewährleistet?

Hagen: Gerade bei der Arzneimittelüberwachung nach Marktzugang sahen wir viel Verbesserungspotenzial. Daher haben wir in Trainingsworkshops in Malawi auch über Pharmakovigilanz und die offiziellen Meldewege informiert. Denn etliche Teilnehmer berichteten uns, dass sie gar nicht wissen, was sie tun sollen, wenn sie ein verdächtiges Medikament entdecken. In Malawi gibt es bereits ein Pharma­kovigilanz-Zentrum in Blantyre, in dem auch Apotheker arbeiten.

PZ: Zurück zu den Anfängen: Warum haben Sie sich für dieses recht exotische Promotionsthema entschieden?

Hagen: Ich hatte mich schon vorher mit Entwicklungszusammenarbeit beschäftigt und bin auch bei Apotheker ohne Grenzen aktiv. Im Kurs Pharmazie in der Entwicklungszusammenarbeit (Pharmacy in Global Health) 2016 an der Uni Tübingen hat Professor Heide das Promotionsthema zur Oxytocin- und Misoprostol-Qualität in Malawi vorgestellt. Das war genau mein Thema! Ich habe mich sofort beworben und konnte 2017 beginnen.

PZ: Welche prägenden Erfahrungen haben Sie im Lauf Ihrer Arbeit gemacht?

Hagen: Prägend waren die drei Reisen nach Malawi. Wenn man mit Partnern aus anderen Ländern arbeitet, muss man deren kulturelle Eigenheiten kennenlernen und akzeptieren, offen sein und Gelassenheit lernen. In Malawi kannten sich alle anderen ja viel, viel besser aus, während ich fremd war. Das fing bei Mimik, Gestik und Sprache an. Alleine konnte ich nichts ausrichten. Zusammenarbeit kann nur auf partnerschaftlicher Ebene laufen.

In der Analytik habe ich sehr viel gelernt und bin sehr vertraut geworden mit modernen analytischen Geräten wie HPLC. Irgendwann konnte ich auch kleinere Gerätepannen selbst beheben.

PZ: Welche Fehler sollten im Kontakt mit fremden Kulturen nicht passieren?

Hagen: Die deutsche Direktheit und Geradlinigkeit wirken in afrikanischen Ländern meist abschreckend. Man darf den eigenen Zeitplan nicht auf Biegen und Brechen durchsetzen wollen und sich nicht zu arg stressen lassen. Es ist viel wichtiger, auf das einheimische Personal zu achten und ihm zu vertrauen und die Abläufe so zu akzeptieren, wie sie sind. Letztlich klappt es dann.

PZ: Wollen Sie in der Entwicklungszusammenarbeit weitermachen?

Hagen: Ja, definitiv. Familiär bin ich derzeit angebunden, aber ich werde künftig den Kurs Pharmacy in Global Health an der Uni Tübingen mitorganisieren. Eine weitere berufliche Option sehe ich in einer beratenden Tätigkeit in diesem Gebiet. Die Corona-Pandemie hat die virtuelle Zusammenarbeit ja deutlich verbessert.

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