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Magdalene Linz

»Wir müssen nahbar sein und bleiben«

Magdalene Linz hat der Pharmazie ihren Stempel aufgedrückt. Nach mehr als 30 Jahren Berufspolitik geht sie nun in den selbst gewählten Ruhestand. Die PZ sprach mit der scheidenden Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen über Fügung, Mentoren, private und berufliche Erfolgsrezepte sowie die Zukunft der Apotheke und der Standespolitik.
Christiane Berg
25.06.2019  12:38 Uhr

Frau Linz, Ihre offizielle Verabschiedung am 3. Juli 2019 naht: Kommt trotz aller neuen Zukunftspläne nun nicht doch ein wenig Wehmut auf?

Ja, das lässt sich nicht verleugnen. Wehmut, da gerade im Moment viele Dinge, die ich bewirken wollte, als ich vor 30 Jahren in die Berufspolitik ging, endlich wahr werden. Insofern hätte ich die Entwicklungen gern weiter begleitet. Aber ich denke, dass ich mich im Rahmen meiner Netzwerke – wie auch von vielen Akteuren im Gesundheits- und Apothekenwesen erbeten – weiter einbringen und somit – wenn auch natürlich zeitlich nicht in dem bisherigen Ausmaß – am Ball bleiben werde.

1954 in Hannover geboren, haben Sie nach dem Abitur in Marburg studiert, bevor Sie als angestellte Apothekerin von 1977 bis 2000 in mehreren Apotheken in Hannover und Göttingen tätig waren. Warum gerade Pharmazie?

Ich war auf einem sprachlichen Gymnasium und hatte mit Naturwissenschaften überhaupt nichts am Hut. Mein Plan war es, Kunstgeschichte zu studieren. Heute würde ich sagen: Die Dinge haben sich gefügt. In innerfamiliären Diskussionen zur Berufswahl hieß es, wie so oft zu damaligen Zeiten, das sei eine brotlose Kunst. Die Pharmazie böte, da disziplinär breit angelegt und gut vereinbar auch mit eigenen Kindern, mehr Zukunftschancen. Das Studium war hart für mich, denn ich beherrschte zwar die lateinische, die englische und die französische Sprache, hatte jedoch nur eine geringe naturwissenschaftliche Basis. Aber wieder einmal bewahrheitete sich, dass mein Vater recht gehabt hatte mit der meiner Schwester und mir in der Kindheit mitgegebenen Devise: »Ihr geht vor allem in die Schule, um lernen zu lernen.«

Sie haben sich schon früh berufspolitisch engagiert, indem Sie Mitglied im Bundesverband der Angestellten in Apotheken – BVA wurden. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?

Er war nur konsequent, da ich mich zuvor bereits sowohl in der Schule als Klassensprecherin als auch an der Uni als Semestersprecherin eingesetzt und auch in der Fachschaft mitgearbeitet hatte. Ich denke, hier war mein Vater – im Übrigen nicht Apotheker, sondern Architekt – prägend. Er hat mir beigebracht, wenn nötig, die Stimme zu erheben. Bei uns zu Haus wurde sehr viel diskutiert. Wir haben teilweise auch und gerade bei Tisch so heftig miteinander debattiert, dass meine Mutter manchmal energisch mit den Worten: »So. Jetzt wird gegessen« dazwischen ging. Von beiden habe ich wohl nicht nur die Gene mitbekommen. Mein Vater hat mir beigebracht, mich einzumischen und zu empören. Er hat mir Selbstverständnis, Widerspruchsgeist und Gerechtigkeitsempfinden mitgegeben, während meine Mutter mir immer ein Vorbild für Ausgleich, Harmonie und Optimismus war.

Sie betrachten es ebenfalls als Fügung, dass Sie 1989 den Vorsitz des BVA übernahmen?

Ja, denn ich übernahm dieses Amt zunächst kommissarisch aufgrund tragischer Umstände, die die damaligen ursprünglichen Pläne des BVA hinsichtlich der Besetzung des Vorstandes durchkreuzten. Es waren jedoch bei aller Fügung - und das möchte ich unbedingt hervorheben – auch immer wieder für mich wichtige Mentoren, die mir den Weg wiesen, in diesem Fall Irmgard Engelke, meine Vorgängerin im Amt der BVA-Vorsitzenden, später Herbert Gebler, vormaliger Kammerpräsident in Niedersachsen. Und ohne die Unterstützung meines Mannes beziehungsweise der Hilfe meiner Mutter und meiner Schwiegermutter bei der Betreuung unserer Kinder – wir hatten zwischenzeitlich einen Sohn und eine Tochter bekommen – wäre das natürlich auch alles nicht umsetzbar gewesen.

Aus der kommissarischen Übernahme des BVA-Vorsitzes sollten elf Jahre werden…

…elf besonders intensive Jahre, die von der Wende und der Wiedervereinigung bestimmt waren. Es war eine Zeit, in der ich viel die neuen Länder bereist und tolle Kollegen kennengelernt habe, mit denen ich zum Teil bis heute befreundet bin. Unsere konstruktive Zusammenarbeit bei dem Vorhaben, auch das Apothekenwesen zu vereinen, habe ich als sehr beeindruckend empfunden. Wir konnten als Apothekengewerkschaft damals auch und gerade in den neuen Ländern einen hohen Organisationsgrad erzielen, worauf ich immer sehr stolz gewesen bin.

Sie sind zwar 2000 in die Selbstständigkeit gegangen und im selben Jahr auch Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen geworden, haben jedoch die Interessen der Angestellten in Apotheken weiterhin nicht aus dem Auge verloren, …

…weil ich der Meinung bin, dass die inhabergeführte, öffentliche Apotheke die Herausforderungen der Zukunft nur in enger Zusammenarbeit mit den Angestellten in Apotheken bewältigen kann. Daher sollten wir ihnen immer wieder auch unsere Wertschätzung und Anerkennung zeigen. Basierend auf meiner BVA-Zeit kann ich vieles verstehen, was auch heute noch von der ADEXA als Folgeorganisation des Verbandes kritisiert wird. Werden zum Beispiel nach wie vor Umgangsformen in der Personalführung nach Gutsherrenart beklagt, so muss das zu denken geben. Sowohl in unseren Apotheken als auch standespolitisch müssen wir darauf achten, zeitgemäß zu sein und zu bleiben.

Seit 1984 Mitglied der Kammerversammlung in Niedersachsen waren Sie von 1988 bis 1992 Vorstandsmitglied sowie von 1992 bis 2000 Vizepräsidentin, bevor Sie vor 19 Jahren Kammerpräsidentin wurden. Von 2005 bis 2008 waren Sie Präsidentin der Bundesapothekerkammer und Sie gehören seit 2000 fortlaufend dem Gesamtvorstand der ABDA an. Wie lautet Ihr generelles standespolitisches Resümee?

Es wurde und wird effektive Arbeit geleistet, doch müssen wir unser Auftreten und auch unsere standespolitischen Strukturen immer wieder kritisch hinterfragen. Insbesondere die Wagenburgmentalität der ABDA hat mir oft zu schaffen gemacht. Sie geriert sich streckenweise zu sehr als Behörde, die sich mit Entscheidungen, Kommunikation und Transparenz schwer tut. Viele Kollegen drehen am Rad, weil sie nicht wissen, wohin die Reise geht. Mehr offene und ehrliche Information seitens unserer Dachorganisation sowohl nach außen als auch nach innen ist nötig. Eine Fehlentscheidung der ABDA war es auch, nicht öffentlichkeitswirksam die Fehler des 2hm-Gutachtens aufzuzeigen. Viele Dinge lassen sich nun mal durch Totschweigen nicht aus der Welt schaffen. Es ist gefährlich, wenn die Apotheker nur als Nein-Sager gesehen werden. Wir müssen reaktionsfähiger und wendiger werden. Mit anderen Worten: Wir brauchen standespolitisch manchmal eher ein schnittiges Schnellboot und keinen manövrierunfähigen Tanker. Ich würde mir bei der ABDA schlankere Organisationsformen wünschen. Und dass sie sich oftmals nicht so unzugänglich zeigt.

»Nahbarkeit« gilt als eine Ihrer größten Stärken. Sie selbst sprechen von einer generellen Erfolgsregel, die Sie auch anderen mit auf den Weg geben möchten…

…unbedingt! Ob in Kooperation mit Ärzten, Patienten, Nachwuchs oder Personal, ob in der Standespolitik oder in der Apotheke: Wir müssen nahbar sein und bleiben, was auch bedeutet, sich für die Lebens- und Rahmenbedingungen des Gegenübers beziehungsweise potentieller Kooperationspartner zu interessieren. Vor diesem Hintergrund mache ich mir um die generelle Zukunft der Apotheke keine Sorgen. Ich bin fest davon überzeugt, dass ihre zwischenmenschliche Komponente trotz aller Digitalisierung siegen wird. Da kann der Versandhandel nicht mithalten. Unsere Chancen sind durchweg gut.

Das heißt, die von vielen beschriebene Gefahr der Zerstörung der Struktur der öffentlichen Apotheken durch die Allianz von GKV und Versandhändlern bereitet Ihnen keine Sorge?

Doch, selbstverständlich. Aber ich weiß, dass wir Stärken haben, die wir angesichts der wachsenden Kommerzialisierung im Gesundheits- und Apothekenwesen ausbauen können und müssen. Wir müssen uns zum Erhalt unserer heilberuflichen Werte und somit zum Wohl unserer Patienten gegen die Angriffe großer neuer Player und Investoren immunisieren. Dabei müssen wir die Realitäten sehen und anerkennen, um effektiver Strategien entwickeln zu können. Das ist die Aufgabe. Wir brauchen Konzepte und müssen selbst definieren, wo der Weg lang gehen soll. Das kommt mir derzeit standespolitisch etwas zu kurz. Da wünsche ich mir mehr Visionskraft und Durchsetzungsvermögen.

In Niedersachsen konnten Sie vieles erreichen...

…, wobei ich glücklich insbesondere über die Etablierung des Stationsapothekers bin: Es ist ein Meilenstein für unseren Berufsstand, dass diese neuen Aufgaben für Apotheker gesetzlich verankert werden konnten. Und froh bin ich auch über die intensive Zusammenarbeit mit den Ärzten, auf die wir früh und intensiv gesetzt haben. Als ich vor 30 Jahren anfing, in der Apotheke zu arbeiten, hat es mich maßlos gestört, dass wir von diesen stets nur als ausführendes Organ betrachtet wurden. Das wollte ich ändern, ich wollte eine interprofessionelle Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Zumindest in unserem Bundesland konnten wir das umsetzen. In den vergangenen Jahren ist es uns in Niedersachsen zudem gelungen, zahlreiche junge Pharmazeuten als Delegierte für die Kammerversammlung zu gewinnen. Zwei dieser jungen Kolleginnen und Kollegen sind mittlerweile Vorstandsmitglieder und einer davon ist bereits Vizepräsident. Beide können bestätigen, dass sich auf Bundes- und Landesebene durch Energie, Aktivität und Teilhabe tatsächlich etwas erreichen lässt.

Zwischenzeitlich sind Sie selbst zur Mentorin geworden. Gibt es eine Devise, die Sie jungen Kollegen und Kolleginnen mit auf den Weg geben?

Es geht nicht darum, perfekt zu sein. Jeder macht Fehler. Es geht darum, authentisch zu sein und auf die eigene Kraft und Intuition zu setzen. Damit steht und fällt alles.

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