Apothekerin untersucht Arzneimittelqualität in Malawi |
Die deutsche Apothekerin Nhomsai Hagen stellt Hebammen und Krankenpflegern im Distrikt Ntcheu ihre Studienergebnisse vor. / Foto: Lutz Heide
Oxytocin und Misoprostol können Nachgeburtsblutungen verhindern oder stoppen – und damit vielen Frauen das Leben retten (Kasten). Doch laut einem Review von 2016 waren 57,5 Prozent aller Oxytocin-Proben, die in Afrika gesammelt wurden, minderwertig. Ebenfalls 2016 berichteten Studienautoren, dass 40 Prozent von 215 untersuchten Misoprostol-Tabletten nicht den Qualitätsstandards entsprachen (WHO Drug Information 2016). Über die Qualität von Oxytocin und Misoprostol in Malawi gab es noch keine Daten.
Daher untersuchte Apothekerin Nhomsai Hagen vom Pharmazeutischen Institut, Universität Tübingen, in ihrer Doktorarbeit unter Betreuung von Professor Dr. Lutz Heide die Qualität und Lagerbedingungen von Oxytocin-Ampullen und Misoprostol-Tabletten in Gesundheitseinrichtungen in vier Distrikten von Malawi. Die Studie wurde in Kooperation mit Dr. Felix Khuluza vom Pharmacy Department am College of Medicine in Malawi durchgeführt und von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, also aus Mitteln der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit finanziert.
Hagen war seit Beginn ihrer Promotion im Februar 2017 insgesamt dreimal in Malawi: zunächst, um Oxytocin- und Misoprostol-Proben zu sammeln, die sie dann am Pharmazeutischen Institut analysierte, und schließlich im September 2019, um die Ergebnisse der Studie gemeinsam mit ihrem Doktorvater vor den malawischen Behörden und Organisationen zu präsentieren.
Sieben der analysierten 65 Oxytocin-Proben, also 11 Prozent, entsprachen nicht den Anforderungen des Arzneibuchs (United States Pharmacopeia 40), zeigten aber keine extremen Qualitätsmängel. Das bedeutet: Die Qualitätsprobleme in Malawi waren geringer als in anderen afrikanischen Ländern. Zu Beginn der Studie wurde jedoch ein Misoprostol-Präparat identifiziert, das nur 13 Prozent des deklarierten Gehalts enthielt und bei Dissolution-Tests nur 8 Prozent des deklarierten Gehalts freisetzte. Dieses Präparat hatte der nationale »Central Medical Stores Trust« (CMST) an alle staatlichen Gesundheitseinrichtungen vertrieben.
Die Universität Tübingen alarmierte daraufhin den CMST, die malawische Arzneimittelaufsichtsbehörde und die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die Aufsichtsbehörde reagierte sehr schnell mit einem Produktrückruf. CMST ersetzte in seiner Vertriebskette das minderwertige Misoprostol-Präparat durch ein qualitativ gutes Präparat. Tatsächlich wurden im weiteren Verlauf der Studie keine minderwertigen Misoprostol-Tabletten in Malawi mehr gefunden.
Teilnehmer der Besprechung der Studienergebnisse in Malawis Hauptstadt Lilongwe / Foto: Lutz Heide
Die gute Zusammenarbeit zwischen den Universitäten, der malawischen Aufsichtsbehörde und der WHO führte somit zu mehr Patientensicherheit in Malawi, aber wohl auch weltweit. Da das extrem minderwertige Misoprostol-Präparat von einem britischen Großhändler vertrieben worden war, informierte die WHO auch die britische Arzneimittelaufsichtsbehörde. Gleichzeitig kam durch eine Diskussion in einem Internetforum (»e-drug«) ans Licht, dass der Großhändler, der das minderwertige Misoprostol nach Malawi verkauft hatte, von derselben Familie geführt wurde wie ein Großhändler, der vor Kurzem ein minderwertiges Präparat des Anästhetikums Propofol nach Sambia vertrieben hatte. Die britische Aufsichtsbehörde leitete daraufhin eine Untersuchung ein, die dazu führte, dass die betroffenen beiden Großhandlungen Anfang 2019 aufgelöst wurden.
Von dieser Erfolgsgeschichte berichteten Heide und Hagen in Malawi im September 2019 gemeinsam mit ihrem malawischen Kollegen Felix Khuluza. Die drei Apotheker stellten die Studienergebnisse im Beisein des deutschen Botschafters Jürgen Borsch vor Regierungsvertretern in der Hauptstadt Lilongwe sowie in der Universität, bei der Pharmazeutischen Gesellschaft von Malawi und in der Entbindungsstation des größten Krankenhauses des Landes vor. Außerdem gaben sie Handlungsempfehlungen, um die Qualität von Oxytocin und Misoprostol künftig sicherzustellen.
In vier verschiedenen Distrikten Malawis boten die Forscher Trainings zu Arzneimittelqualität, Lagermanagement und Pharmakovigilanz an. Das Interesse an den Ergebnissen der Studie war groß und auch malawische Tageszeitungen berichteten.
Oxytocin und Misoprostol werden unter anderem zur Prophylaxe und Therapie bei Nachgeburtsblutungen eingesetzt – eine der Hauptursachen für Müttersterblichkeit. Jährlich sterben weltweit etwa 94.000 Frauen an den Folgen von postpartalen Blutungen, die Mehrheit davon in Entwicklungsländern. Obwohl die Müttersterblichkeitsrate in Malawi in den letzten Jahren gesunken ist, ist sie immer noch eine der höchsten weltweit – laut USAID sind es aktuell 574 je 100.000 Lebendgeburten. Eines der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen ist es, die Müttersterblichkeitsrate unter 70/100.000 Lebendgeburten zu senken. Der Einsatz von Oxytocin und Misoprostol ist ein wichtiger Schritt, um dieses Ziel zu erreichen.
Allerdings sind für beide Wirkstoffe Stabilitätsprobleme bekannt. Oxytocin ist temperaturempfindlich, und Misoprostol zersetzt sich, wenn es Feuchtigkeit ausgesetzt ist. Beides ist problematisch in Entwicklungsländern wie Malawi, wo Temperaturen und Luftfeuchtigkeit oft sehr hoch sind und es an einer funktionierenden Infrastruktur mangelt.