Übelkeit und Erbrechen bei Schwangeren therapieren |
Laura Rudolph |
14.03.2023 09:00 Uhr |
Die meisten Schwangeren leiden im ersten Trimenon unter Übelkeit und Erbrechen. Meist bessern sich die Beschwerden ab der 14. bis 16. Schwangerschaftswoche. / Foto: Getty Images/ DeanDrobot
»Übelkeit und Erbrechen während der Schwangerschaft sind eher die Regel als die Ausnahme. Da die Symptome die Lebensqualität der betroffenen Frauen jedoch erheblich mindern können, sollten sie behandelt werden«, sagte Dr. Jan Pauluschke-Fröhlich, Leiter des Kreißsaals am Universitätsklinikum Tübingen, beim Fortbildungskongress des Berufsverbands der Frauenärzte (FOKO). Der Kongress fand vom 9. bis zum 11. März als Präsenzveranstaltung in Düsseldorf mit Liveübertragung statt.
Emesis gravidarum betreffe bis zu 85 Prozent der Schwangeren, beginne meist zwischen der vierten und sechsten Schwangerschaftswoche und lasse in der Regel ab Woche 14 bis 16 wieder nach, erklärte der Arzt. Eine nationale Therapieleitlinie gebe es noch nicht. Zusammen mit weiteren Ärztinnen und Ärzten erarbeitet Pauluschke-Fröhlich derzeit ein Konsensuspapiers zur Therapie des Schwangerschaftserbrechens.
Die einzige In-Label-Therapie, die in Deutschland zur Behandlung der Emesis gravidarum zugelassen ist, ist rezeptpflichtig und enthält eine Kombination aus 10 mg Doxylamin und 10 mg Pyridoxin. Das zentralgängige H1-Antihistaminikum Doxylamin blockiert Histaminrezeptoren direkt in der Area postrema im Brechzentrum. Pyridoxin (Vitamin B6) soll die Spiegel von Estrogen, Progesteron und des Schwangerschaftshormons β-HCG (humanes Choriongonadotropin) regulieren. Letzteres steht im Verdacht, Schwangerschaftserbrechen zu fördern.
Die Wirkstoffkombination aus Doxylamin und Pyridoxin sei das Mittel der Wahl bei Emesis gravidarum, sagte Dr. Matthias Krick, Gynäkologe mit eigener Praxis in Moers. Als Off-Label-Therapieoption nannte Krick etwa Dimenhydrinat. Die Anwendung in der Schwangerschaft darf nur unter strenger Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen, da das Salz aus dem H1-Antihistaminikum Diphenhydramin und 8-Chlor-Theophyllin kontraktionsfördernd wirken kann.
Von Embryotox, dem Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie der Berliner Charité, heißt es hierzu: »Die vorübergehende Anwendung von Dimenhydrinat in der Schwangerschaft ist akzeptabel. Im dritten Trimenon ist es bei vorzeitiger Wehentätigkeit zu meiden«.
Laut Embryotox besser geeignet und Antiemetikum der Wahl in der Schwangerschaft ist das H1-Antihistaminikum Meclozin. »Dieses ist in Deutschland aber nicht mehr erhältlich, sondern nur noch über Auslandsapotheken zu beziehen«, erklärte Krick. Der Hersteller habe 2007 die Vermarktung in Deutschland eingestellt.
Promethazin und Metoclopramid seien weitere Off-Label-Optionen bei Schwangerschaftserbrechen, aber nicht die Mittel der Wahl, ergänzte Krick. Metoclopramid blockiert Dopaminrezeptoren an der chemorezeptiven Triggerzone der Area postrema und fördert die Magen-Darm-Peristaltik. Promethazin wirkt vermutlich über eine H1-Histaminrezeptor-Blockade antiemetisch. Embryotox zufolge sind Meclozin, Dimenhydrinat sowie die Kombination Doxylamin/Pyridoxin bei Schwangerschaftserbrechen zu bevorzugen.
»Erst wenn alle anderen Mittel keine ausreichende Wirkung zeigen, ist Odansetron in Erwägung zu ziehen«, sagte Krick. Der Serotoninrezeptor-Antagonist berge bei der Anwendung im ersten Schwangerschaftsdrittel ein erhöhtes Risiko für orofaciale Fehlbildungen des Fetus, erklärte der Arzt. 2019 gab es diesbezüglich einen Rote-Hand-Brief.
Bei leichten Formen der Emesis gravidarum können auch nicht medikamentöse Maßnahmen die Beschwerden lindern. Folgende Tipps nannte Krick:
Enorm wichtig sei zudem die Rehydratation nach dem Erbrechen, etwa durch käufliche oder selbst hergestellte Elektrolytlösungen, betonte der Gynäkologe. Für Schwangere, die nur kleine Mengen Flüssigkeit zu sich nehmen können, ohne dass ihnen übel wird, empfahl Pauluschke-Fröhlich: »Apfelsaft als Eiswürfel einfrieren und nach und nach lutschen. So bekommt man zumindest etwas Flüssigkeit substituiert.«
Doch wie entsteht Schwangerschaftserbrechen, an dem so viele Schwangere leiden? »Kurz und ehrlich – wir tappen bei der Ursachensuche auch im 21. Jahrhundert noch im Dunkeln«, sagte Krick. Als physiologische Ursachen diskutiert würden erhöhte Progesteron- und Estrogenspiegel sowie Konzentrationsspitzen von β-HCG. Gemeinsam mit den Beschwerden der Emesis gravidarum erreichten die β-HCG-Spiegel zwischen der neunten und zehnten Schwangerschaftswoche ihren Höhepunkt und nähmen meist ab der 14. bis 16. Schwangerschaftswoche simultan wieder ab.
Abzugrenzen von der Emesis gravidarum, dem »gewöhnlichen« Schwangerschaftserbrechen, sei die Hyperemesis gravidarum, die mit exzessiven Beschwerden einhergehe, erklärte Pauluschke-Fröhlich. Der Übergang zwischen beiden Formen sei jedoch fließend. Welches von beiden im individuellen Fall vorliegt, lasse sich über den sogenannten PUQE-Score bestimmen, einen Fragebogen, der die Häufigkeit von Übelkeit, Erbrechen und Würgen innerhalb der letzten 24 Stunden erfasst. Patientinnen mit Hyperemesis gravidarum litten an übermäßigem Erbrechen, das mit großen Flüssigkeitsverlusten einhergehe und eine stationäre Behandlung notwendig mache. Mit einer weltweiten Inzidenz von 0,3 bis 2 Prozent sei diese extreme Form des Schwangerschaftserbrechens jedoch sehr selten.
Auch Differenzialdiagnosen müsse man in Betracht ziehen, betonte der Arzt. Möglich seien etwa eine Infektion mit dem Magenkeim Helicobacter pylori, eine eingeschränkte Magen-Darm-Motilität oder eine Schilddrüsenüberfunktion. Eine ärztliche Abklärung bei Übelkeit und Erbrechen während der Schwangerschaft sei daher stets ratsam.