Töne mit Tiefenwirkung |
Annette Rößler |
16.04.2023 08:00 Uhr |
Das trifft auch auf das musikunterstützte Training zu, das bei Schlaganfallpatienten mit Hemiparese die Feinmotorik verbessern kann. Der Patient macht dabei selbst Musik, er trommelt und spielt Klavier – und zwar mit der bewegungseingeschränkten Hand. Entwickelt wurde das musikunterstützte Training unter anderem von Professor Dr. Eckart Altenmüller von der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover, einem der Autoren des Lancet-Neurology-Artikels. Altenmüller ist Neurologe und Flötist mit Konzertexamen und leitet in Hannover das Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin.
Laut Altenmüller führe das Erlernen des Klavierspiels schon nach drei Wochen zu einer automatischen Kopplung der für die Sensomotorik und für das Hören zuständigen neuronalen Netzwerke. Dies wird beim musikunterstützten Training therapeutisch genutzt: Durch den erklingenden Ton erhält der Patient eine direkte Rückmeldung dazu, wie gut seine Bewegung geglückt ist. Das verbessert nach und nach die Kontrolle der Fingerbewegungen, was sich auch auf die Feinmotorik im Alltag auswirkt.
Bei Menschen, die Klavierspielen lernen, kommt es zu einer automatischen Kopplung der neuronalen Netzwerke, die für die Sensomotorik und das Hören zuständig sind. / Foto: Getty Images/Portra
Eine andere Art von therapeutischem Musizieren ist die aktive Musiktherapie, die in der Psychotherapie angewendet wird. Dabei wird Musik nicht zur Verbesserung der Feinmotorik genutzt, sondern als Ausdrucksmittel für Emotionen. Der Patient wird bei der aktiven Musiktherapie dazu ermuntert, »seinen Gefühlen durch Geräusche, Töne, Rhythmen und Musik Ausdruck zu verleihen. Darüber kommt er mit dem Therapeuten ins Gespräch und kann sich so öffnen, wo er sonst verbal nicht zugänglich ist«, lautet die Beschreibung in einem Grundlagenpapier der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft (DMtG) aus dem Jahr 2017.
Passt sich ein Mensch anderen an oder fällt ihm diese Art der Unterordnung schwer? Solche Persönlichkeitseigenschaften können in der Musiktherapie offengelegt und bearbeitet werden. / Foto: Adobe Stock/lightpoet
Bei der aktiven Musiktherapie werden Instrumente wie Klavier, Xylophon, Trommeln oder Schlagzeug verwendet, die Patienten auch ohne Vorkenntnisse zur Klangerzeugung nutzen können. In Einzel- oder Gruppentherapie improvisieren sie darauf zusammen mit dem Therapeuten, der die Beiträge der Patienten zur gemeinsamen Improvisation für seine therapeutische Arbeit nutzt. Insbesondere traumatisierte Menschen, Patienten mit Depressionen oder Angstneurosen, aber auch Kinder und Jugendliche mit Autismus-Spektrum-Störungen könnten von dieser nonverbalen Therapie profitieren, so die DMtG.
Bei der rezeptiven Musiktherapie steht dagegen das Hören von Musik im Vordergrund. Handelt es sich dabei um Musikstücke, die der Hörer kennt und mag, kommt dabei insbesondere bei Patienten mit demenziellen Erkrankungen der Aspekt ins Spiel, dass Musik häufig eng mit dem autobiografischen Gedächtnis verknüpft ist – ein Effekt, den jeder kennt, der sich durch das Hören eines bestimmten Musikstückes schon einmal schlagartig in eine besondere Situation zurückversetzt fühlte.