Therapieoptionen bei Long Covid |
Sven Siebenand |
24.08.2021 07:00 Uhr |
Die Erholung von einer Coronavirus-Infektion ist für viele Menschen ein langer Weg. Sie leiden noch Monate nach der akuten Phase an Symptomen wie schnelle Erschöpfung und eingeschränkte Leistungsfähigkeit. / Foto: Adobe Stock/Ralf
Von Betroffenen mit Long Covid werden eine Großzahl verschiedener Symptome berichtet. Fatigue, Dyspnoe, Riechstörungen und Leistungseinschränkungen sind sehr häufig beschriebene Beschwerden. Gesicherte therapeutische Interventionen beim Post-/Long-Covid-Syndrom sind bisher nicht bekannt. Eine neue S1-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Post-/Long-Covid-spezifischen Symptomen rät grundsätzlich, eine symptomorientierte Therapie und psychosoziale Betreuung zu initiieren.
So wird bei pulmonalen Beschwerden zu einer symptomorientierten, sofern möglich leitlinienadaptierten Therapie geraten. Die unterstützende Atem- und Physiotherapie kann hilfreich sein, heißt es in der Leitlinie. Anhaltender Husten sei ein häufiges Symptom bei Covid-19 in den ersten sechs bis zwölf Wochen nach der akuten Erkrankung, das sich im weiteren zeitlichen Verlauf verbessern kann. Bei stärkerer Symptomatik oder persistierenden Beschwerden könne in Analogie zu den Empfehlungen bei postinfektiösem Husten ein Therapieversuch mit einem inhalativen Corticosteroid und/oder β2-Sympathikomimetikum durchgeführt werden, insbesondere, wenn Hinweise für eine bronchiale Hyperreagibilität bestehen.
Auch psychische Symptome und Erkrankungen sind in der Planung und Durchführung einer Post-/Long-Covid-Behandlung und -Rehabilitation gemäß der Leitlinie zu berücksichtigen. Die häufig berichteten Bedürfnisse nach Ruhe und Stressreduktion sowie Symptome von Reizüberflutung und Überforderung sollten ernst genommen und dem Patienten ausreichend Zeit zur Regeneration gewährt werden. Psychotherapeutische Behandlung ist angezeigt, wenn eine klinisch relevante Diagnose gesichert ist oder die subjektive Belastung so groß ist, dass Lebensqualität und Alltag deutlich eingeschränkt sind. Bei schweren Formen von Depressionen und Angststörungen sollte auch leitliniengerecht eine psychopharmakologische Mitbehandlung erwogen werden.
Explizit wird in der Leitlinie auf das sehr häufige Symptom Fatigue eingegangen. Ziel der Therapie sollten demnach eine Symptomlinderung sowie das Vermeiden einer Chronifizierung sein. Dazu gehören zum Beispiel die Förderung des Schlafs, Maßnahmen zur Stressreduktion und Entspannung. Zudem sollte getestet werden, ob körperliche Aktivität die Fatigue bessert oder zu ihrer Verschlechterung führt.
Liegen kardiologische Beschwerden vor, wird grundsätzlich zu einer symptomorientierten Therapie geraten, die sich nach den aktuellen Leitlinien zur Behandlung kardiovaskulärer Erkrankungen richtet. Hierzu gehören die Einleitung einer pharmakologischen Therapie bei Nachweis einer reduzierten Pumpfunktion des Herzens sowie die einer Antikoagulation bei während der Akutphase durchgemachten thromboembolischen Komplikationen. Eine generelle Empfehlung zu einer venösen Thromboembolie-Prophylaxe bei unkompliziertem Akutverlauf kann laut Leitlinie derzeit für die Post-Covid-19-Phase aber nicht gegeben werden. Allerdings sollte die Indikation hierzu bei Hochrisikopatienten im Einzelfall großzügig gestellt werden und ist für circa drei Monate zu erwägen.
Der Verlauf von Riechstörungen bei Covid-19 wird von den Leitlinienautoren als generell günstig angesehen: Ein Großteil der Patienten berichtet eine vollständige beziehungsweise weitgehende Besserung innerhalb von ein bis zwei Monaten. Sofern eine Riechstörung länger anhält, kann eine Therapie mit konsequentem, strukturiertem Riechtraining versucht werden, um im Bereich der Riechschleimhaut die Regeneration olfaktorischer Rezeptorneurone anzuregen. Klassischerweise werden hier die Düfte Rose, Zitrone, Eukalyptus und Gewürznelke verwendet, wobei an jedem der vier Düfte morgens und abends jeweils 30 Sekunden gerochen werden sollte. Dies sollte über den Zeitraum von Wochen und Monaten geschehen, bis sich das Riechvermögen wieder normalisiert hat.
Ein regelmäßiges Riechtraining kann helfen, den verlorenen Geruchssinn wiederzuerlangen. / Foto: Adobe Stock/Patrick Daxenbichler
Hinsichtlich dermatologischer Aspekte informiert die Leitlinie, dass die meisten Hautläsionen, die im Zusammenhang mit Covid-19 beschrieben wurden, spontan und ohne spezifische Behandlung in wenigen Wochen abheilen. Bei behandlungswürdigem Befund, etwa starkem Juckreiz und entstellenden Läsionen, kann symptombezogen zum Beispiel mit lokalen Antihistaminika und Corticoiden sowie kühlenden und abdeckenden Externa therapiert werden.
Explizit bei Long Covid zugelassene Medikamente gibt es noch nicht. Allerdings sind eine Reihe verschiedener Substanzen in der klinischen Testung. Bis zu einer Zulassung wird sicher noch eine Zeit vergehen und nicht alle Projekte werden letztlich von Erfolg gekrönt sein. Dennoch lohnt ein Blick in die variantenreiche Pipeline.
In einer britischen Phase-II-Studie kommt zum Beispiel der Cannabis-Inhaltsstoff Cannabidiol (CBD) zum Einsatz. Es wird geprüft, ob CBD Symptome wie Müdigkeit, Atemnot, Schmerzen und Schlafstörungen bei Betroffenen verbessern kann. Auch mögliche antiinflammatorische Wirkungen wollen die Forschenden unter die Lupe nehmen.
Ebenfalls bereits als Wirkstoff bekannt ist Montelukast. Der in der Asthmatherapie verwendete Leukotrienrezeptor-Antagonist wird in einer Phase-III-Studie mit Long-Covid-Patienten getestet und soll deren respiratorische Beschwerden verbessern.
Natriumpyruvat wurde in der Vergangenheit auch bei anderen Lungenerkrankungen wie COPD und Fibrose als antioxidative Therapie getestet. In einer Phase-II/III-Studie wird das Antioxidans nun auch Long-Covid-Patienten als Nasenspray verabreicht und soll antientzündlich wirken.
In einer weiteren Studie will man herausfinden, ob die Einnahme von Nicotinamid-Ribosid zum Beispiel die Wiederherstellung der kognitiven Funktionen verbessern kann. Ebenfalls von Vitamin B3 leitet sich NAD+ (Nicotinamidadenindinukleotid) ab, das zusammen mit niedrig dosiertem Naltrexon in einer weiteren Studie zum Einsatz kommt. In dieser will man unter anderem überprüfen, ob sich die Fatigue bei Long-Covid-Patienten damit verbessern lässt. Im dänischen Aarhus wird dagegen hoch dosiertes Coenzym Q10 als mögliche Option gegen Long-Covid-Symptome getestet.
Respiratorische Probleme bei Long Covid will man mithilfe einer hyperbaren Sauerstofftherapie beseitigen oder verbessern. / Foto: Adobe Stock/ drazen_zigic
Der Hersteller von RSLV-132 hofft wiederum, durch Entfernen zirkulierender RNA bei Long-Covid-Patienten Müdigkeit und den sogenannten »Brain Fog« zu verbessern. Die Verbindung besteht aus einer katalytisch aktiven menschlichen RNase-Einheit, die an eine menschliche IgG1-Fc-Domäne gekoppelt ist. Das Enzym soll im Blut zirkulierende RNA verdauen und dadurch Entzündungen verringern, heißt es über RSLV-132, das ursprünglich für die Behandlung von Lupus und des Sjögren-Syndroms entwickelt wurde.
Auch die hyperbare Sauerstofftherapie wird klinisch bei Long Covid getestet. Die Hoffnung ist, durch hohen Sauerstoffpartialdruck im Körper die pulmonale Entzündung günstig zu beeinflussen. Hinter S-1226 verbirgt sich ein Mix aus Kohlendioxid und Perflubron. Es soll ebenfalls bei Long-Covid-Patienten mit respiratorischen Beschwerden getestet werden und zum einen bronchodilatatorisch wirken, zum anderen die mukoziliäre Clearance steigern.
Nicht nur bei Covid-19 selbst, sondern auch bei Long Covid könnten zudem mesenchymale Stromazellen von Nutzen sein. In einer Phase-II-Studie werden die Zellen bei Betroffenen mit lang anhaltenden respiratorischen Symptomen untersucht. Von den Zellen ist bekannt, dass sie immunmodulatorische und antientzündliche Wirkung zeigen.
Ampion ist ein niedermolekulares Filtrat von humanem Serumalbumin. Es soll die Fähigkeit besitzen, proentzündliche Zytokinspiegel zu modulieren. Das wird sowohl bei Covid-19 als auch bei Long Covid klinisch getestet.
Vor wenigen Wochen kündigte das Unternehmen Mercaptor Discoveries weitere Untersuchungen mit seiner Prüfsubstanz MD-004 an. Dabei handelt es sich um einen P2RX7-Antagonisten, der eigentlich als Antiepileptikum entwickelt wird. Die Wirkung von MD-004 im Gehirn könnte aber auch helfen, Entzündungsprozesse im ZNS zu bremsen, die im Zusammenhang mit Long-Covid-Symptomen, allen voran kognitiven Einbußen, stehen.
Um ein mögliches Post-Covid-Symptom zu verhindern, prüft die Universität Chicago, ob das Immunsuppressivum Sirolimus die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer Lungenfibrose bei Patienten verringert, die mit Covid-19-Pneumonie ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Das Hauptziel einer Studie in Finnland besteht darin, die langfristigen Auswirkungen der Anwendung von Remdesivir während des Krankenhausaufenthalts auf die Symptome von Long Covid und die Lebensqualität zu bewerten. Die Hoffnung ist, dass Remdesivir das Risiko von Long-Covid-Symptomen senkt und langfristig zu einer besseren Lebensqualität führt.
Zweimal die Woche bekommen Long-Covid-Patientinnen und -Patienten in einer Studie ein Gesangstraining, um damit die Lungenfunktion zu stärken. / Foto: Adobe Stock/Viacheslav Lakobchuk
Last, but not least sei »Strong Lungs Through Song« erwähnt. So heißt eine Long-Covid-Studie aus Irland. Der Name ist Programm. Patienten, die nach einer Covid-19-Infektion lange über Kurzatmigkeit, Atembeschwerden und Leistungseinschränkungen klagen, absolvieren während der Studie über zehn Wochen zweimal pro Woche ein Atem- und Gesangstraining. Dies soll ihnen helfen, Long-Covid-Symptome, vor allem respiratorische Beschwerden, abzulegen oder zu verbessern.