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Internet und Alkohol

Suchtanreize überall

Internet, Handy, Alkohol – Suchtgefahren lauern in nahezu allen Lebensbereichen. Mehr als 300 Suchtexperten haben vergangene Woche beim Deutschen Suchtkongress in Mainz über aktuelle Entwicklungen in der Suchtforschung diskutiert.
PZ/dpa
23.09.2019  11:00 Uhr

Die Experten warnen: Anreize für einen exzessiven Gebrauch von Substanzen oder exzessiv ausgeübte Verhaltensweisen seien allgegenwärtig und «scheinen weiter zuzunehmen». Süchte sorgten häufig für großes Leid, wobei sie sich oft unentdeckt entwickelten. «Wegen der zunehmenden Durchdringung mit elektronischen Medien steigt die Suchtgefahr», sagt Kongresspräsident Dr. Klaus Wölfling. Als Beispiele nennt der Psychologische Leiter an der Universitätsmedizin Mainz etwa die Sucht nach Sozialen Medien, Pornografie oder Computer- und Onlinespielen. Für diese Spiele gelte: «Die Hersteller nutzen Suchtpotentiale stärker aus.» Zudem änderten sich die Spielmechaniken, etwa mit sogenannten In-App-Käufen.

Zur Therapie von Internet- und Computerspielsucht hat die Psychosomatische Klinik der Universitätsmedizin Mainz beim Kongress eine Behandlungsstudie vorgestellt. Ihr Ergebnis: «Die Wahrscheinlichkeit, einen Patienten mittels Therapie vom Suchtverhalten zu befreien, liegt etwa zehnmal höher als bei nicht behandelten Menschen», sagt Wölfling. Eine Therapie bestehe etwa aus Einzel- und Gruppengesprächen zur Reflexion des eigenen Suchtverhaltens sowie einer sechswöchigen Abstinenz von Computer und Smartphone. «Die Patienten sollen im Anschluss aber wieder lernen, normal mit dem Internet umzugehen.»

Nicht nur um Suchterkrankungen von Erwachsenen geht es in den Symposien und Fachvorträgen. Auch für Kinder bergen insbesondere Alkohol, aber auch Soziale Medien und Computerspiele eine große Suchtgefahr, wie Rainer Thomasius vom Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf erklärte. Gerade im Präventionsangebot bestünden deutliche Mängel. Thomasius fordert daher eine Erweiterung der individuellen Suchttherapie und Prävention für Kinder und Jugendliche.

Vor der Verbindung von Spielen und Smartphone warnt Michael Dreier von der Psychosomatischen Klinik in Mainz. Das Problem sei: Gerade bei derzeit beliebten In-App-Käufen fehlten Jugendschutzregulationen, um beispielsweise die Menge der Käufe zu begrenzen. Für Jugendliche schlägt Dreier daher eine finanzielle Obergrenze vor.

Auch wenn der gesellschaftliche Wandel eine angepasste Versorgung notwendig mache, ist nach Ansicht von Falk Kiefer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim schon problematisch, dass es bereits für «etablierte Störungsbilder» keine umfassende Versorgung gebe. «Weiterhin werden in Deutschland nur etwa 10 Prozent der alkoholabhängigen Menschen suchttherapeutisch behandelt.» 

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