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Gestationsdiabetes

Steigende Prävalenz

Gestationsdiabetes mellitus (GDM) ist definiert als eine Glukosetoleranzstörung, die mit einem 75 g oralen Glukosetoleranztest unter standardisierten Bedingungen und qualitätsgesicherter Messung der Glucose im venösen Plasma erstmals in der Schwangerschaft diagnostiziert wird.
Helmut Kleinwächter
25.08.2019  09:00 Uhr

Neben Typ-1- und Typ-2-Diabetes sowie diversen weiteren spezifischen Diabetestypen stellt der GDM eine eigene Klassifikationsgruppe dar. Der entscheidende Unterschied ist: Die in der GDM-Gruppe gemessenen diagnostischen Blutglukosewerte erreichen nicht das manifest diabetische Niveau.

Häufigste Komplikation

GDM gehört weltweit zu den häufigsten Schwangerschaftskomplikationen. Die International Diabetes Federation (IDF) geht davon aus, dass nach ihren globalen Erhebungen derzeit im Mittel bei einer von sieben Schwangerschaften eine Glukosetoleranzstörung vorliegt .

In Deutschland lag die Prävalenz im Jahr 2017 bei 5,9 Prozent. Nach absoluten Zahlen kam es in den zurückliegenden 15 Jahren zu einem Prävalenzanstieg um das Fünffache. In den letzten drei Jahren ist die absolute Häufigkeit pro Jahr jeweils um mehr als 10 Prozent mit 44.907 Fällen bei einer Geburtenrate von 761.481 im Jahr 2017 gestiegen (1) (Grafik 1).

Europäische Frauen haben innerhalb von zehn Jahren nach einem GDM ein Risiko von circa 50 Prozent, einen manifesten Diabetes zu entwickeln, wobei schon innerhalb des ersten Jahres nach der Schwangerschaft 20 bis 40 Prozent der Mütter verschiedene Ausprägungen eines gestörten Glukosestoffwechsels aufweisen.

Steigende Blutglukosewerte im oralen Glukosetoleranztest (oGTT) nüchtern sowie eine und zwei Stunden nach Belastung zeigen die Schwere der Stoffwechselstörung an. Sie sind in der Folge mit zunehmenden Risiken für die mütterliche und kindliche Morbidität assoziiert und zwar unabhängig voneinander.

Die epidemiologische Hyperglycemia and Adverse Pregnancy Outcomes-Studie (HAPO) fand keinen definierten Schwellenwert (2). Deshalb hat die International Association of Diabetes and Pregnancy Study Groups (IADPSG) im Jahr 2010 die diagnostischen Grenzen mit einer Odds-Ratio (OR) von 1,75 vom jeweiligen Mittelwert der drei Messwerte festgelegt. 2013 hat eine Expertengruppe der WHO diese Grenzwerte für die gesamte Schwangerschaft empfohlen (3, 4).

Zum GDM wurde in Deutschland 2011 erstmals eine gemeinsame, evidenzbasierte S3-Leitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) sowie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) vorgelegt (5), die im Jahr 2018 aktualisiert wurde (6).

Im März 2012 ist das Screening auf GDM im Sinne eines Zwei-Stufen-Verfahrens als verbindliche Leistung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in die Mutterschaftsrichtlinien eingeführt worden.

Der Entscheidung der Frauen, am Screening teilzunehmen, muss nach dem Sozialgesetzbuch V eine mündliche ärztliche Aufklärung und schriftliche Information durch das vom Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (G-BA) herausgegebene entsprechende Merkblatt zugrunde liegen.

Pathogenese und Prävention

Der GDM wird als Vorstufe des Typ-2-Diabetes eingeordnet. Auf der Basis einer genetischen Prädisposition stehen vor allem Übergewicht, ein falscher Lebensstil, ungünstige Ernährungsgewohnheiten und mangelnde Bewegung der Frauen sowie ein höheres Lebensalter im Mittelpunkt.

Der GDM stellt eine Variante des Prä-Typ-2-Diabetes dar und wird als eine bereits präkonzeptionell einsetzende, chronische Funktionsstörung beschrieben, die durch zunehmende Insulinresistenz mit abfallender Inselzellkompensation gekennzeichnet ist. Die Ausschüttung kontrainsulinärer Plazentahormone, zum Beispiel des Humanen Choriongonadotropins (hCG), des Humanen Placentalactogens (HPL) und von Cortisol, akzentuiert diesen Verlauf.

Mütterliche Hyperglykämie infolge der Kombination aus Insulinresistenz, β-Zelldefekt und Inflammation induziert eine fetale Insulinsekretion. Der fetale Hyperinsulinismus hat morphologische und funktionelle Folgen. Es kommt zu einer Einlagerung von Glykogen und Fett mit dysproportionaler Makrosomie sowie einer Zunahme von Bauchumfang und Schulterbreite mit dem Risiko der Entstehung einer Schulterdystokie als geburtshilflicher Notfall und supprimierten Surfactant-Bildung beim Kind. Durch erhöhten Sauerstoffbedarf entwickelt der Fetus eine Polyglobulie. Die Raten an Frühgeburtlichkeit und eines späten intrauterinen Fruchttods sind gesteigert.

Postnatal treten besonders Hypoglykämien und Hyperbilirubinämien auf. Diese Anpassungsstörungen führen häufig zu medizinischen Interventionen beim Neugeborenen, zum Beispiel in Form der intravenösen Gabe von Glukose, UV-Lichttherapie oder CPAP-Beatmung. Oft erweist sich die Verlegung des Neugeborenen in die Kinderklinik als unumgänglich. Nach heutiger Erkenntnis spielen aber nicht nur der Hyperinsulinismus, sondern auch Verschiebungen bei den Aminosäuren und freien Fettsäuren beziehungsweise begleitende Inflammationen eine Rolle (7).

Bei der GDM-Prävention sind zum einen Maßnahmen vor einer Schwangerschaft (Bevölkerungs-basierte Prävention) sowie zum anderen Maßnahmen nach Diagnose einer Schwangerschaft (Umstände-basierte Prävention) zu unterscheiden.

Die Bevölkerungs-basierte Prävention umfasst die Modifikation von Lebensstilfaktoren wie Erzielung eines normalen Körpergewichts bei gesunder isokalorischer Ernährung und ausreichender körperlicher Bewegung. Wissenschaftliche Projekte hierzu konnten bislang jedoch keine positiven Ergebnisse erzielen. Auch werden gesundheitspolitische Rahmenbedingungen oft nur halbherzig oder gar nicht umgesetzt. So sind Adipositas und Bewegungsmangel inzwischen epidemisch verbreitet.

Die Kennzeichnung der Nahrungsmittel hinsichtlich ihres Kohlenhydrat-, Fett- und Kaloriengehalts, zum Beispiel in Form eines »Ampelsystems«, wird von der profitorientierten Lebensmittel- und Getränkeindustrie boykottiert, die es vorzieht, hochprozessierte Fertig- und Tiefkühlkost sowie Softdrinks in Zwei-Liter-Flaschen zu verkaufen. An unprozessierten Frischprodukten aus der Region hat diese kein Interesse. Der Ersatz von Haushaltszucker (Saccharose) durch die billigere und gefährlichere Isoglukose ist dabei neuster Trend (8).

Vermehrte körperliche Bewegung wird durch die Elektromobilitäts-Industrie konterkariert: E-Bikes und E-Roller sind im Vormarsch. Gefragt wäre dagegen die Stärkung der Muskelmobilität im unmittelbaren Lebensbereich, wie sie zum Beispiel im Konzept der »Walkability« beschrieben wird (9).

Die Umstände-basierte Prävention ist effektiver, aber aufwendig. Eine Information oder Beratung allein reicht nicht aus. Zur Adipositas neigende werdende Mütter, die gleich nach Diagnose der Schwangerschaft zu mediterran orientierter Kost, unter anderem mit hochwertigem Olivenöl und Nüssen, sowie Bewegung mittlerer Intensität (zwei Stunden pro Woche) mit einem Trainer in der Gruppe übergehen, können ihr GDM-Risiko senken.

Viele Risiken

Der GDM verläuft asymptomatisch. Eine Glukosurie im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge ist unspezifisch. Für die Mütter bestehen erhöhte Risiken für Harnwegs- und vaginale Infektionen, die mit einer gesteigerten Frühgeburtenrate einhergehen. Auch das Risiko für Präeklampsien, Geburtseinleitungen, Sectiones und geburtstraumatische Folgen durch fetale Makrosomie mit dem Auftreten von Dammrissen und der Notwendigkeit postpartaler Transfusionen ist erhöht.

Bei Erstvorstellung in der Frühschwangerschaft vor der 24. Schwangerschaftswoche (SSW) müssen Schwangere mit Diabetes-Risiken auf das Vorliegen einer frühen Glukosetoleranzstörung untersucht werden. Zu den Risiken zählen ein vorangegangener GDM, BMI ab 30 kg/m², Alter ab 30 Jahren, familiäre Diabetesbelastung (Eltern, Geschwister), Multiparität, ethnische Herkunft aus Südost-Asien, assistierte Reproduktion, exzessive Gewichtszunahme, polyzystische Ovarial-Syndrome (PCO) und die Geburt eines Kindes ab 4500 g.

Im ersten Trimenon reicht die Messung einer Nüchternblutglukose aus (10). Es besteht eine therapiebedürftige Hyperglykämie, wenn der Wert 110 mg/dl (6,1 mmol/l) erreicht oder überschreitet. Ab dem zweiten Trimenon ist nach Abschluss der Placentation und Öffnung des materno-fetalen Blutkreislaufs ein Vorgehen wie ab 24+0 SSW ratsam. Besteht der Verdacht eines manifesten Diabetes mellitus vor der 24+0 SSW, so kann die Diagnose jederzeit mit einem 75-g-oGTT, einer HbA1c-Messung oder beim Vorliegen von Symptomen durch eine Gelegenheits-Blutglukose bestätigt oder ausgeschlossen werden.

Zur GDM-Diagnostik wird ein 75-g-oGTT als einzeitiges Verfahren eingesetzt. Das vorgeschaltete Screening in diesem Zeitfenster mittels »Glucose Challenge Test« (GCT) als 50-g-Suchtest (nicht nüchtern und unabhängig von Tageszeit und Nahrungsaufnahme) mit einem Grenzwert im venösen Plasma von 135 mg/dl (7,5 mmol/l) ist seit 2012 Bestandteil der Mutterschaftsrichtlinien (zweizeitiges Verfahren). Einzeitig heißt, den 75-g-oGTT direkt durchzuführen, während beim zweizeitigen Test zunächst ein 50-g-Screening erfolgt und nur positiv gescreente Frauen einen oGTT erhalten.

Ein GCT-Ergebnis ab 200 mg/dl (11,1 mmol/l) erlaubt die GDM-Diagnose direkt. Neben unzureichender Sensitivität ist der GCT mit einer Reihe von Störmöglichkeiten, zum Beispiel Abhängigkeit von der Tages- und Jahreszeit, Abstand zur letzten Mahlzeit und dem Nichterscheinen positiv getesteter Frauen zum Diagnosetest assoziiert (11).

Der oGTT wird unter Standardbedingungen morgens nach einer Nüchternperiode von mindestens acht Stunden durchgeführt. Die Trinklösung kann dabei als Fertigprodukt rezeptiert werden. Es können 75 g wasserfreie Glukose als Defektur für den Praxisbedarf durch die Apotheke hergestellt und mit anschließender Rekonstitution in der Arztpraxis (Einrühren in Leitungswasser) eingesetzt werden.

Zeitfenster 24+0 bis 27+6 SSW Diagnosegrenze/-bereich nach IADPSG/WHO
mg/dl mmol/l
nüchtern 92 bis 125 5,1
nach einer Stunde* ≥ 180 ≥ 10,0
nach zwei Stunden* 153 bis 199 8,5 bis 11,05
Tabelle 1: Diagnostische Grenzwerte des 75-g-oGTT,

Als Gestationsdiabetes wird das Erreichen oder Überschreiten von mindestens einem der drei Grenzwerte (nüchtern, nach einer Stunde und nach zwei Stunden) im venösen Plasma gewertet (Tabelle 1).

Zur GDM-Diagnostik werden Blutglukosewerte ausschließlich in venösem Plasma nach korrekter präanalytischer Verarbeitung (Eiswasserlagerung, Separation fester Blutbestandteile innerhalb von 15 bis 30 Minuten durch Zentrifugation) direkt oder in venösem Vollblut mit einem plasmakalibrierten und Hämatokrit-korrigierenden Messsystem gemessen. Handmessgeräte zur kapillären Blutglukosemessung sind abzulehnen. Eine Umrechnung von kapillär gemessenen Werten in venöse Werte ist unzulässig.

Blutglukosemessungen zur Diagnostik des GDM müssen die Anforderungen für die Messqualität nach der »Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laborchemischer Untersuchungen« (RiLiBÄK) erfüllen. Die Teilnahme an Ringversuchen ist obligat. Bei Versand von venösen Vollblutproben muss das Entnahmegefäß neben EDTA und Natriumfluorid zusätzlich den sofort wirksamen Glykolysehemmer Citrat enthalten. Eine HbA1c-Messung wird einmalig bei gesicherter GDM-Diagnose empfohlen, um einen manifesten Diabetes nicht zu übersehen.

Oft späte Diagnose

Bis zu 30 Prozent der GDM-Diagnosen werden spät gestellt, da die Schwangeren vorher keine Auffälligkeiten gezeigt haben. Anlässe für eine spätere Diagnostik sind eine neu auftretende Glukosurie und eine Makrosomie des Fetus im Ultraschall sowie das Auftreten einer Polyhydramnie, also überdurchschnittlich großer Mengen an Fruchtwasser, beziehungsweise eine exzessive Gewichtszunahme der Schwangeren.

Nehmen generell operative Eingriffe zur Gewichtsreduktion zu, so werden diese zumeist bei Frauen durchgeführt. Die Mehrzahl dieser Frauen ist im reproduktiven Alter. Postoperativ bessern sich zwar Störungen des Glukosestoffwechsels und der Fertilität, aber die GDM-Risiken bleiben erhöht. Ein oGTT ist wegen Dumping-Symptomen kontraindiziert. Daher kann ein GDM nur durch Bestimmung der venösen Plasmaglukose nüchtern diagnostiziert werden, die gegebenenfalls wiederholt werden muss.

Bei der Differenzialdiagnose muss berücksichtigt werden, ob ein Typ-2- Diabetes (häufig), ein Typ-1-Diabetes (sehr selten) oder aber eine »Maturity Onset Diabetes in the Young«-, sprich: MODY-Form vorliegt. Durch Mutationen im Glukokinase-Gen (GCK-MODY) werden 1 bis 2 Prozent aller GDM-Fälle bei Europäerinnen hervorgerufen.

Ein Typ-2-Diabetes liegt meist dann vor, wenn bei einer adipösen, asymptomatischen Schwangeren die Blutglukosewerte im manifest diabetischen Bereich gemessen werden und/oder der HbA1c-Wert bei mehr als 6,5 Prozent liegt. Bei Verdacht auf Manifestation eines Typ-1-Diabetes muss die Diagnose gemäß DDG-Leitlinie umgehend gesichert und sofort eine intensivierte Insulinsubstitution eingeleitet werden.

MODY-Formen werden autosomal-dominant vererbt, das heißt, 50 Prozent der Nachkommen weisen die Mutation geschlechtsunabhängig auf. Der häufige GCK-MODY (MODY 2) wird außerhalb der Schwangerschaft ohne Medikation geführt, die Prognose ist gut, es kommt fast nie zu Folgekomplikationen. Bei diesen Schwangeren, die normgewichtig sind und meist nur persistierend erhöhte Nüchternglukosewerte haben, wird erst bei einem fetalen Abdominalumfang (AU) über der 75. Perzentile und dysproportionalem Wachstum mit Insulin therapiert.

Beratung und Selbstmonitoring

Zuvor jedoch muss ein ausführliches Beratungsgespräch in angstabbauender Atmosphäre erfolgen. Die Schwangere wird erstmals mit dem Begriff Diabetes konfrontiert. Bei Migrantinnen mit unzureichenden Sprachkenntnissen sollte durch Hinzuziehen von Dolmetschern gewährleistet werden, dass die geplanten Maßnahmen verstanden werden und umsetzbar sind.

Bei der sich anschließenden individuellen Ernährungsberatung müssen sowohl Essgewohnheiten und Tagesrhythmen als auch das Körpergewicht und der soziokulturell-religiöse Status berücksichtigt werden, um schwangerschaftsspezifische Blutglukosezielwerte (ohne Ketose und Hypoglykämien), die empfohlene Gewichtszunahme der Mutter nach den Institute-of-Medicine- Kriterien (IOM) sowie ein normales Wachstum des Fetus zu erzielen (Tabelle 2).

Bei der Umstellung der Ernährung sollte übermäßige Komplexität vermieden werden. Die Begrenzung der Kohlenhydrate auf 40 bis 50 Prozent der Tagesenergiekalorien senkt postprandiale Blutglukosewerte. Langsam resorbierbare Kohlenhydrate mit einem niedrigen glykämischen Index (GI < 55) sind günstig und reduzieren Höhe und Dauer postprandialer Blutglukosespitzen. Speisen mit hohem Anteil an Ballaststoffen in Form von Getreide, Obst und Gemüse sind von Vorteil.

Zudem wird empfohlen, die Kohlenhydrate auf drei nicht zu große Hauptmahlzeiten und zwei bis drei kleinere Zwischenmahlzeiten (einschließlich einer Spätmahlzeit) über den Tag zu verteilen.

Zudem sollte auf eine ausreichende Vitamin- und Mineralstoffzufuhr (Folsäure, Vitamin-B-Komplex, Calcium, Vitamin D, Magnesium, Eisen, Iod) geachtet werden. Energiefreie Süßstoffe wie Aspartam können in der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der akzeptablen täglichen Dosierungen verwendet werden.

Für adipöse Schwangere ist eine kalorienreduzierte, eiweißreiche Kost günstig. Die Mindestkalorienmenge von 1600 bis 1800 kcal/Tag darf nicht unterschritten werden. Die Gewichtszunahme orientiert sich am präkonzeptionellen Body-Mass-Index (BMI). (Tabelle 2).

Präkonzeptioneller BMI (kg/qm) nach WHO* Gewichtszunahme gesamt in der Schwangerschaft (kg) Gewichtszunahme/Woche im 2. und 3. Trimenon**(kg)
< 18,5 12,5 bis 18 0,5 bis 0,6
18,5 bis 24,9 11,5 bis 16 0,4 bis 0,5
25,0 bis 29,9 7 bis 11,5 0,2 bis 0,3
> 30 5 bis 9 0,2 bis 0,3
Tabelle 2: Empfohlener Bereich der Gewichtszunahme während der Schwangerschaft nach IOM-Empfehlungen

Ein Über- oder Unterschreiten der angegebenen Gewichtsgrenzen des IOM erhöht die Rate an Schwangerschaftskomplikationen. Die Schwangeren kontrollieren nüchtern ihr Gewicht ohne Kleidung wöchentlich morgens selbst zu Hause und dokumentieren dieses.

Die Einweisung in das Selbstmonitoring der Blutglucose (SMBG) sollte ausschließlich durch trainiertes Fachpersonal erfolgen. Das eingesetzte Gerät muss die durch unabhängige Institute geprüfte DIN-Norm EN ISO 15197 in der jeweils aktuellen Fassung erfüllen und möglichst absolute Exaktheit aufweisen. Die Mehrzahl der verfügbaren Geräte misst ungenau.

Die Richtigkeit des SMBG wird mit gerätespezifischen Kontrolllösungen überprüft. Der Toleranzbereich ist dabei vorgegeben. Die Kontrolllösung kann der Schwangeren zulasten der GKV verschrieben werden - Haltbarkeit, richtige Lagerung und Anwendung sind dabei zu beachten. Die unterstützende Beratung durch die Apotheke ist hilfreich. Die Richtigkeit wird erstmalig überprüft, wenn das originalverpackte Gerät der Verpackung entnommen wird, also vor dem Ersteinsatz. Weitere Kontrollen sollten bei Chargenwechsel der Teststreifen, bei Anbrechen einer neuen Teststreifendose sowie bei unplausiblen Ergebnissen stattfinden. Auch wenn die Symptome nicht zu den gemessenen Werten passen, ist eine genaue Überprüfung unumgänglich.

Blutglukoseselbstmessungen durch die Schwangere werden anfangs morgens nüchtern und nach den Hauptmahlzeiten durchgeführt. Die in Tabelle 3 aufgeführten Einstellungsziele für die ersten eine bis zwei Wochen der GDM-Therapie werden modifiziert, wenn niedrigere Ziele bei einem fetalen AU > 75. Perzentile erreicht werden sollen und gleichzeitig Hinweise für ein dysproportionales Wachstum, zum Beispiel eine Kopf-/Abdominalumfang-, (KU/AU)-Ratio < 10. Perzentile gegeben sind. Eine entsprechende Anpassung ist auch nötig, wenn höhere Ziele bei mütterlicher Hypoglykämieneigung unter Insulintherapie (sehr selten) angestrebt werden müssen.

Zeit Plasma-Äquivalent Plasma-Äquivalent
mg/dl mmol/l
nüchtern, präprandial 65 bis 95 3,6 bis 5,3
eine Stunde postprandial < 140 < 7 ,8
zwei Stunden postprandial < 120 < 6,7
mittlere Blutglukose: drei präprandiale Messungen und drei Messungen nach einer Stunde postprandial 90 bis 110 5,0 bis 6,1
Tabelle 3: Kapilläre Blutglukose-Zielwerte bei GDM

Wenn bei einer Ernährungstherapie alle Werte innerhalb der ersten zwei Wochen im Zielbereich und der Ultraschallbefund unauffällig sind, so sind nachfolgend eine einzige tägliche Messung im Rotationsverfahren oder ein- bis zweimal wöchentlich ein 4-Punktprofil, also vor dem Frühstück und jeweils eine Stunde nach Beginn einer Hauptmahlzeit, ausreichend. Schwangere mit GDM erhalten geeignete Tagebücher zur Dokumentation. Die Schulung wird je nach Therapieaufwand und individuellen Erfordernissen als Einzel- und Gruppenschulung angeboten.

Bewegung und Therapie

Regelmäßige körperliche Bewegung verbessert die Belastbarkeit während der Schwangerschaft und der Geburt. Kurze Bewegungseinheiten nach den Mahlzeiten vermindern postprandiale Blutglukosespitzen. Über längere Zeit durchgehaltene Bewegungsmaßnahmen reduzieren auch die Nüchternblutglukose (12).

Zu empfehlen ist eine Bewegungsdauer von mindestens zwei Stunden pro Woche. Günstig sind zum Beispiel zügiges Spazierengehen, Nordic Walking, Aqua-Aerobic, Radfahren oder Übungen mit einem elastischen Band.

Aerobe Ausdauer- und Widerstandsübungen sind gleichermaßen effektiv - die Rate an Insulintherapien wird durch regelmäßige Muskelbetätigung gesenkt. Die Adhärenz ist besonders in angeleiteten Gruppen hoch. Kontraindikationen wie vorzeitige Wehen, Blutungen, Hochdruck oder Verkürzung der Zervix uteri sind zu beachten.

Können die Stoffwechselziele wie in 10 bis 20 Prozent der Fälle nicht erreicht werden, wird eine Insulintherapie notwendig (13, 14). Die Insulinindikation wird erstmals innerhalb von zwei Wochen nach Beginn der Basistherapie überprüft.

Empfohlen wird eine intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT) mit anfänglicher Insulintagesdosis von 0,3 bis 0,5 I.E. Humaninsulin pro kg aktuellem Körpergewicht. NPH-Insulin wird als Basisinsulin verwendet. Langwirksame Insulinanaloga (Insulin detemir oder Insulin glargin 100, kein Biosimilar) können bei fehlendem Effekt auf die Nüchternblutglukose eingesetzt werden. Insulin aspart oder Insulin lispro sind bei unzureichendem postprandialen Effekt von kurzwirksamen Humaninsulinen unbedenklich. Ist eine ICT nicht durchführbar, kann alternativ eine konventionelle Insulintherapie (CT) mit biphasischem Humaninsulin (30 Prozent kurzwirksamer Anteil) oder biphasischem Insulin aspart eingesetzt werden.

Die Auswirkungen mütterlicher Hyperglykämie auf den Fetus sind individuell verschieden und je nach Wachstumsmuster mit unterschiedlichen Risiken assoziiert. Bei der Indikationsstellung zur Insulintherapie sollte daher das Wachstum des fetalen Abdominalumfangs berücksichtigt werden.

Orale Antidiabetika und GLP-1-Agonisten sollten mangels Zulassung beziehungsweise fehlender Studien zu den meisten Präparategruppen (außer Metformin) bei Schwangeren mit GDM nicht verordnet werden. Metformin off-Label ist keine primäre Alternative zu Insulin, da bei fast jeder zweiten Schwangeren im Mittel nach drei Wochen wegen unzureichender Effekte doch Insulin erforderlich wird (15).

Geburtsmedizinische Betreuung

Die fetale Überwachung ist von zusätzlichen Risikofaktoren und dem Schweregrad der mütterlichen Hyperglykämie abhängig. Neben den üblichen Ultraschallkontrollen werden zusätzlich ab der 24. SSW alle zwei bis vier Wochen (je nach Ausgangsbefund und Verlauf der Blutglukoseeinstellung) fetale Ultraschallbiometrien mit einer Beurteilung der Zunahme des Abdominalumfangs und der Proportionalität durchgeführt.

Wird bei Frühgeburtsbestrebungen Betamethason vor der 34+0 SSW zur Induktion der fetalen Lungenreife eingesetzt (2 x 12 mg im Abstand von 24 Stunden i.m.), so kann es bereits nach der ersten Injektion zu erheblicher Hyperglykämie kommen, die fünf Tage anhalten kann und eine Anpassung der Therapie notwendig macht.

Die intravenöse Tokolyse, also Hemmung der Wehentätigkeit, sollte statt mit einem kontrainsulinären Beta-2-Mimetikum (Fenoterol) mit dem stoffwechselneutralen Oxytocin-Antagonisten Atosiban durchgeführt werden. Fenoterol kann zur Stoffwechselentgleisung bis hin zur Ketoazidose sowie zur Koronarischämie und zum Lungenödem bei der Mutter führen. Zunehmend wird alternativ auch Nifedipin per os als Off-Label-Use eingesetzt.

Schwangere mit GDM und Insulintherapie sollten in einer Geburtsklinik mit Neonatologie (Perinatalzentrum Level 1 oder 2) entbinden, um eine optimale Primärversorgung des Kindes zu gewährleisten. Die Vorteile der Entbindung in einer Geburtsklinik mit Neonatologie sollten auch Schwangeren ohne Insulintherapie aufgezeigt werden.

Bei Insulintherapie ist eine Einleitung am Entbindungstermin indiziert. Vor der Entbindung ist die Schätzung des Geburtsgewichts obligat, um den Geburtsmodus festzulegen. Die Schätzungen sind, besonders bei Adipositas der Mutter, oftmals ungenau und können dann zu einer iatrogen erhöhten Sectiorate führen. Bei einem geschätzten Geburtsgewicht von 4250 bis 4500 g steigt das Schulterdystokie- Risiko signifikant. In diesen Fällen sollte eine primäre Sectio erwogen werden.

Die Blutglukose sollte unter der Geburt zwischen 70 und 110 mg/dl (3,8 bis 6,1 mmol/l) stabil gehalten werden. Stündliche Messungen sind nur bei Insulintherapie erforderlich. Die Insulintherapie endet unmittelbar postpartal – am zweiten Tag post partum sind weitere Kontrollen durch ein 4-Punkte-Tagesprofil erforderlich. Bei diätetisch eingestellten Schwangeren ist eine postpartale Blutglukosekontrolle nicht erforderlich. Sie sollten aber nochmals nachdrücklich auf die Wahrnehmung des Termins zum postpartalen oGTT hingewiesen werden.

Mütter nach GDM stillen ihre Kinder kürzer als Frauen ohne Diabetes, insbesondere bei Adipositas. Kürzeres Stillen ist mit späterem Übergewicht der Kinder assoziiert. Frauen mit GDM sollen deshalb nachdrücklich zum Stillen ihrer Kinder ermutigt werden. Hier kann eine Stillberatung sinnvoll sein.

Nachsorge und Recall

Ein 75-g-oGTT sechs bis zwölf Wochen nach der Geburt ist bei allen Müttern angezeigt, auch wenn sie noch stillen. Die Teilnahmerate liegt derzeit aber unter 50 Prozent. Daher sollten Recall-Systeme verbessert werden. Bereits bei diesem ersten Test werden in 20 bis 40 Prozent der Fälle Störungen der Glukosetoleranz beobachtet (16). Am häufigsten wird eine Impaired Fasting Glucose (IFG), das heißt eine Nüchternglukose von 100 bis 125 mg/dl (6,1 bis 6,9 mmol/l) registriert. Frauen mit einer IGT nach GDM, das heißt, einem 2-h-Blutglukose-Wert im oGTT von 140 bis 199 mg/dl (7,8 bis 11,05 mmol/l), profitieren stark von nicht-pharmakologischen Präventionsmaßnahmen in angeleiteten Programmen (17).

Das kumulative Risiko für einen Typ-2-Diabetes nach GDM liegt bei circa 50 Prozent innerhalb von zehn Jahren. Ist der oGTT nach der Schwangerschaft unauffällig, sollte dieser alle zwei bis drei Jahre wiederholt werden. Ein oGTT ist jährlich angezeigt, wenn Risiken für eine frühzeitige Diabetesmanifestation, so zum Beispiel ein präkonzeptioneller BMI ab 30 kg/m², eine GDM-Diagnose vor der 24. SSW oder ein postpartaler IGT, vorliegen beziehungsweise die Stilldauer kürzer als drei Monate ist.

Die kumulativen kardiovaskulären Risiken von Frauen nach GDM sind im Vergleich zu intragraviden glukosetoleranten Frauen erhöht. Bei ihnen kommt es häufiger zu einer Koronaren Herzkrankheit (KHK) und ischämischen Schlaganfällen auch unabhängig von einer zwischenzeitlichen Diabetesmanifestation.

Vorgeschaltete Risiken wie die arterielle Hypertonie und das metabolische Syndrom sind erhöht. Das Risiko für ein kardiovaskuläres Ereignis ist in den ersten zehn Jahren nach GDM zweifach gesteigert (18).

m Vergleich zu glukosetoleranten Schwangeren liegt die Rate postpartaler Depressionen bei Frauen mit GDM höher. Als Suchinstrument für das Vorliegen einer Depression postpartal eignet sich der Befindlichkeitsbogen »Edinburgh Postnatal Depression Scale« (EPDS) in deutscher Sprache, bei Auffälligkeiten sollte psychiatrisch weiter abgeklärt werden.

Zur postnatalen Überwachung des Neugeborenen ist auf die 2017 aktualisierte AWMF-Leitlinie »Betreuung Neugeborener diabetischer Mütter« (Nr. 024/006) zu verweisen. Die intrauterine Exposition gegenüber einer mütterlichen Hyperglykämie steigert nicht zuletzt durch epigenetische Effekte die kindlichen Risiken für Präadipositas/Adipositas, gestörte Glukosetoleranz, Diabetes mellitus, metabolisches Syndrom und arterielle Hypertonie in den ersten 20 Lebensjahren. Alle Risiken werden stark vom BMI der Mutter moduliert. /

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