Staatsanwaltschaft ermittelt |
Daniela Hüttemann |
22.07.2019 12:48 Uhr |
Es gehört zu den meistverkauften OTC-Mitteln: Das Phytopharmakon Iberogast. / Foto: Imago/Uwe Steinert
Das Phytopharmakon Iberogast® enthält neben Extrakten von Schleifenblume, Angelikawurzel, Kümmelfrüchten, Kamillenblüten, Mariendistelfrüchten, Melissenblättern, Pfefferminzblättern und Süßholzwurzel auch Schöllkraut-Extrakt (und 31 Volumenprozent Ethanol). Schöllkraut (Chelidonium majus) enthält als Mohngewächs eine Reihe von Alkaloiden, Flavonoiden und Bitterstoffen.
Laut Iberogast-Website haben diese Naturstoffe eine beruhigende und krampflösende Wirkung auf den Verdauungstrakt, auf den Magen einen motilitätssteigernden Effekt und können den Gallenfluss steigern und Entzündungen hemmen. Was dort nicht steht: Chelidonium majus steht unter Verdacht, toxische Leberschäden inklusive Hepatitis und Cholestase bis hin zu Leberversagen auslösen zu können. Laut einem Stufenplanbescheid vom 9. April 2008 wurden Präparate mit mindestens 2,5 Milligramm Gesamtalkaloide aus Schöllkraut pro Tagesdosis vom Markt genommen; niedriger dosierte Präparate mit 2,5 µg bis 2,5 mg Gesamtalkaloid sollen seitdem einen entsprechenden Hinweis im Beipackzettel tragen. In diese Kategorie fällt auch Iberogast mit 0,3 mg Chelidonium-Gesamtalkaloid pro Tagesdosis für Erwachsene nach Angaben von Bayer.
Zulassungsinhaber Bayer, der im Jahr 2013 den Iberogast-Hersteller Steigerwald übernahm, hatte sich jedoch lange geweigert, diesen Hinweis aufzunehmen, selbst als das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) entsprechend geklagt hatte. Erst Mitte letzten Jahres konnte sich die Behörde durchsetzen – auch weil in der Zwischenzeit weitere Fälle von Leberschädigungen unter Iberogast-Einnahme gemeldet wurden, darunter ein im Juli 2018 bekannt gewordener zweiter Todesfall von Leberversagen. Erst danach sagte Bayer dem BfArM zu, die angeordneten Änderungen der Produktinformationen umzusetzen.
Dafür musste das Unternehmen harte Kritik einstecken. Kordula Schulz-Asche, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, hatte gefordert, zu prüfen, ob dieser Todesfall hätte verhindert werden können, hätte Bayer früher über die mögliche Nebenwirkung informiert. Jetzt scheint es soweit zu sein. Nach Informationen des »Handelblatts« ermittelt derzeit die Staatsanwaltschaft Köln, womöglich wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung; momentan aber wohl noch gegen unbekannt und nicht gegen Bayer. Die Staatsanwaltschaft habe ein Gutachten in Auftrag gegeben, um die Kausalität von der Einnahme des Medikaments und dem Todesfall zu ermitteln.
Das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Schöllkraut wird mittlerweile als negativ beurteilt. Auch die Europäische Arzneimittelagentur war 2011 in einem Review zu dem Schluss gekommen, dass es an Belegen für die klinische Wirksamkeit fehle und keine fundierte Indikation für die Anwendung nachgewiesen werden könne. Es liege eine hohe Anzahl spontan gemeldeter unerwünschter Arzneimittelwirkungen an der Leber vor. Bayer meint jedoch, dass sich diese Bewertung auf sein Kombinationspräparat nicht übertragen lässt. Dabei sind laut »Handelsblatt« dem BfArM von 2008 bis heute allein in Deutschland 57 Berichte mit 115 Verdachtsmeldungen zu Iberogast eingegangen. Unklar ist, ob es nun aufgrund eines steigenden Bewusstseins zu mehr Meldungen kommt oder ob tatsächlich ein Kausalzusammenhang besteht.
Bayer macht offiziell keine Angaben, wie viel es mit Iberogast verdient. Das »Handelsblatt« zitiert Zahlen von IMS Health, wonach es jährlich 120 Millionen Euro Umsatz sind. Laut Arzneiverordnungsreport wurden 2017 rund 1,5 Millionen Tagesdosen zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnet. Die tatsächliche Anwendungshäufigkeit dürfte weit darüber liegen, da die meisten Patienten sich das nicht verschreibungspflichtige Präparat ohne Rezept besorgen.
So oder so gilt: Das Apothekenpersonal sollte Patienten, die Iberogast einnehmen wollen, angemessen über das lebertoxische Risiko informieren und über die Symptome einer Leberschädigung aufklären. Dazu zählen Gelbfärbung der Haut oder Augen, dunkler Urin, entfärbter Stuhl, Oberbauchschmerzen, Übelkeit, Appetitverlust und Müdigkeit. Treten solche Symptome auf, ist das Medikament sofort abzusetzen und ein Arzt aufzusuchen. Über eine Häufigkeit hepatotoxischer Nebenwirkungen macht die Fachinformation keine Angaben.
Nicht angewendet werden darf Iberogast bei Patienten mit bestehenden Lebererkrankungen oder solchen in der Vorgeschichte, bei gleichzeitiger Anwendung anderer leberschädigender Arzneimittel sowie bei Schwangeren, Stillenden und Kindern unter drei Jahren.
Indiziert ist Iberogast zur Behandlung funktioneller und motilitätsbedingter Magen-Darm-Erkrankungen wie Reizmagen- und Reizdarmsyndrom sowie zur unterstützenden Behandlung der Beschwerden einer Magenschleimhautentzündung (Gastritis).
Wenn sich bei erstmaliger Anwendung von Iberogast die Beschwerden nicht bessern, sollte nach einer Woche ein Arzt aufgesucht werden, um organische Ursachen auszuschließen. Verschlimmern sich die Beschwerden oder kommen neue Symptome hinzu, ist ebenfalls ein Arzt aufzusuchen.