Raus aus dem Seelentief |
Bei der Entwicklung einer Depression spielt das belastende Umfeld, aber auch die genetische Disposition eine wichtige Rolle. Die erbliche Komponente wird auf etwa 40 Prozent geschätzt. Insbesondere einige Gene im Bereich der Signalübertragung an glutamatergen Synapsen zeigten eine signifikante Assoziation mit der Erkrankungshäufigkeit. Verschiedene Einzelnukleotid-Polymorphismen in einer ungünstigen Konstellation scheinen das Depressionsrisiko vor allem dann zu erhöhen, wenn negative Umweltfaktoren hinzukommen.
»Wir gehen heute davon aus, dass Gen-Umwelt-Interaktionen eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Depressionen spielen«, sagt Schulte-Körne, der an mehreren Studien zu diesem Thema federführend beteiligt war. Offenbar verarbeiten Kinder mit einer entsprechenden genetischen Disposition belastende Lebenssituationen anders und haben dann ein erhöhtes Risiko zu erkranken. Allerdings gibt es auch protektive Faktoren, die schädigende Umwelteinflüsse abmildern können, etwa unterstützende Bezugspersonen mit einem offenen Ohr für die Probleme des Kindes.
Die Coronavirus-Krise verschärft in vielen Familien Konflikte. Fehlende soziale Kontakte und die räumliche Enge können die Situation verschlimmern. / Foto: Adobe Stock/motortion
Auch die Coronavirus-Krise stellt eine hohe psychische Belastung dar. Der Kinder- und Jugendpsychiater rechnet daher mit einer Zunahme von Depressionen infolge der pandemiebedingten Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen. Erste Studien zeigen, dass sich während des Lockdowns in England bei 70 Prozent der Kinder der Punktwert auf einer Depressionsskala verschlechtert hat. Daten aus China zeichnen ein ähnliches Bild.
Home-Schooling, fehlende soziale Kontakte, familiäre Konflikte und die räumliche Enge zu Hause können bei Kindern psychische Beschwerden auslösen oder bereits vorhandene verschlimmern. Darin waren sich in Umfragen deutsche Fachärzte und Psychotherapeuten einig.
Depressionen äußern sich bei Kindern und Jugendlichen je nach Alter mit unterschiedlichen Symptomen und sind deshalb nicht leicht zu erkennen. Meistens entwickeln sie sich schleichend über einen längeren Zeitraum.
Bei einem kleineren Kind können mögliche Hinweise sein, dass es nicht mehr mit anderen spielen möchte, häufiger weint oder extrem anhänglich ist. Dazu kommen manchmal körperliche Symptome wie Bauchschmerzen oder Bettnässen.
Schulkinder können ihre Gefühle auf gezieltes Nachfragen hin besser in Worte fassen. Oft fällt den Eltern auf, dass ihr Kind kein Interesse mehr für Hobbys und Aktivitäten zeigt, an denen es früher Freude hatte. Oft lassen auch die Schulleistungen nach. Selbst das äußere Erscheinungsbild verändert sich: Mimik und Gestik wirken reduziert, die gesamte Körperhaltung spiegelt die gedrückte Stimmung wider.
Bei Jungen und Mädchen in der Pubertät gehören »Null-Bock«-Laune und Verschlossenheit bis zu einem gewissen Grad zur normalen Entwicklung. Halten die gedrückte Stimmung und Interesselosigkeit jedoch an, kann dies ein Hinweis auf eine behandlungsbedürftige Depression sein. Während sich Mädchen oft zurückziehen und ein überangepasstes Verhalten zeigen, reagieren Jungen eher aufsässig und aggressiv.
Die Grundstimmung ist allerdings bei beiden Geschlechtern ähnlich: Sie fühlen sich wertlos, haben wenig Selbstvertrauen, sehen keine Zukunftsperspektive und keinen Lebenssinn für sich. Das mündet oft in Suizidgedanken. 2019 kamen in Deutschland knapp 500 Kinder und Jugendliche durch Suizid ums Leben – fast genauso viele wie durch Verkehrsunfälle. Während die Zahl der Selbsttötungsversuche bei Mädchen höher ist, sterben Jungen häufiger durch Suizid.
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Nicht nur hinsichtlich der Symptome, auch beim Verlauf können Depressionen viele Gesichter haben.
Relativ häufig leiden depressive Kinder und Jugendliche auch an anderen Komorbiditäten wie Angsterkrankungen, externalisierenden Störungen wie ADHS oder einem gestörten Sozialverhalten. Weibliche Jugendliche entwickeln oft eine begleitende Essstörung. Ältere Jungen neigen eher dazu, ihre Probleme mit Alkohol oder anderen Rauschmitteln zu betäuben, und geraten zusätzlich in einen Substanzmissbrauch oder eine Abhängigkeit.