Quälendes Tabuthema |
Drei Lichen-Erkrankungen können an der Vulva auftreten: Lichen sclerosus (auch Weißfleckenkrankheit genannt), Lichen planus (auch Knötchenflechte genannt) und Lichen simplex chronicus.
Die Unterscheidung anhand des klinischen Bildes im Intimbereich ist nicht einfach, da es sich um chronische Hauterkrankungen handelt, die jedoch aufgrund ihrer Lokalisation im Anogenitalbereich meist in gynäkologischen Praxen beurteilt werden. Laut Professor Dr. Werner Mendling aus Wuppertal befinden sich diese Erkrankungen daher quasi im medizinischen »Niemandsland« und werden teilweise als Candida-Infektionen fehldiagnostiziert (3). Folglich hätten die Frauen bis zur richtigen Diagnose häufig einen langen Leidensweg hinter sich, so der Gynäkologe (4).
Lautet die Diagnose »Lichen«, ist es wichtig zu wissen, welche Lichen-Erkrankung vorliegt. Denn bei L. planus schreiten die Veränderungen nicht nur deutlich schneller voran, es besteht auch ein höheres Risiko für ein Vulva-Karzinom als bei L. sclerosus. L. simplex chronicus ist dagegen nicht mit einer Malignität assoziiert (5).
Alle drei Lichen-Erkrankungen sind für die Betroffenen sehr belastend und mindern die Lebensqualität deutlich. So weisen 40 Prozent der Patientinnen mit einem neu diagnostizierten Lichen sclerosus Anzeichen einer Depression auf (6). Zudem zeigte eine Umfrage, dass jede fünfte Frau, die unter einer Vulva-Erkrankung leidet, an Selbstmord oder Selbstverletzung denkt (7). Informationen, auch zur Pflege der Seele, können Betroffene beim Selbsthilfeverein »Lichen Sclerosus Deutschland« erhalten (www.lichensclerosus.de).
Je nach Lichen-Erkrankung unterscheiden sich die Symptome und deren Stärke (Tabelle 1).
Parameter | Lichen planus | Lichen sclerosus | Lichen simplex chronicus |
---|---|---|---|
Art der Erkrankung | nicht infektiöse, entzündliche HauterkrankungAutoimmunerkrankung | nicht infektiöse, entzündliche HauterkrankungAutoimmunerkrankung | Hauterkrankung (Ekzem) durch Juckreiz aufgrund von Triggerfaktoren |
Betroffene | prä-, peri- und postmenopausale Frauen, selten Männer oder Kinder | vor allem ältere Frauen (50. bis 60. Lebensjahr), selten Männer oder Kinder | insbesondere Frauen (30. bis 50. Lebensjahr), halb so häufig bei Männern, selten Kinder |
Symptome | SchmerzenWundgefühl, Blutungen, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr (Dyspareunie), Engegefühl am Scheideneingang | JuckreizRissneigung, Schmerzen, Dyspareunie, Blutungen, Engegefühl | massiver Juckreiz,imperativer Kratzzwang |
Befall der Schleimhaut | ja | nein | nein |
mögliche Lokalisation | Vulva: Innenseite der Labia minoraVaginaextragenital: Mundhöhle, Speiseröhre, Nägel | gesamte Vulva und perianalPenisselten extragenital | Vulva: Labia majoraextragenital: oberer Brustkorb, Arme, Hals, Beine |
klinische Merkmale | Schrumpfungs- und Verklebungsprozesse | Schrumpfungs- und Verklebungsprozesse | keine wesentlichen Veränderungen der Vulva-Architektur |
L. sclerosus kann symptomlos verlaufen, meist verspüren die Frauen jedoch einen unangenehmen Juckreiz, der bei L. simplex chronicus unerträglich werden kann. Wie Dr. Barbara Eberz aus Mürzzuschlag in Österreich berichtet, kratzen sich manche dieser Patientinnen mit einer Bürste die Vulva blutig (8). Dieser Kratzzwang löst einen Teufelskreis mit Entzündungsreaktionen und immer stärkeren Juckreizattacken aus. Frauen mit L. planus haben ebenfalls Juckreiz, bei ihnen überwiegt jedoch der Schmerz – der Leidensdruck ist deutlich höher als bei L. sclerosus.
Mit fortschreitender Erkrankung können Frauen mit Lichen-Erkrankung kaum noch ohne Beschwerden sitzen, reiten oder Fahrrad fahren. Darüber hinaus leiden sie unter Schmerzen beim Geschlechtsverkehr oder können diesen gar nicht mehr ausführen – was häufig zu Problemen in der Partnerschaft führt.
Bei L. planus und sclerosus werden die Symptome dadurch ausgelöst, dass die kleinen Labien (selten auch die großen Labien), die Klitorisspitze und die Dammregion schrumpfen und verkleben. Dadurch kann sich der Scheideneingang verengen und die Klitoris verdecken (im Englischen spricht man von buried clitoris, begrabener Klitoris). In fortgeschrittenen Stadien können diese Schrumpfungen auch zu Missempfindungen beim Wasserlassen führen, sofern der Harnleiterausgang betroffen ist. Schmerzhafte Risse und Wunden entstehen durch Atrophie (Gewebeschwund) der betroffenen Haut.
Beide Formen sind nicht infektiöse entzündliche Hauterkrankungen, die schubförmig verlaufen (Tabelle). Ihre Ursache ist noch nicht endgültig geklärt, doch geht man heute davon aus, dass es sich um Autoimmunerkrankungen handelt (9, 10).
Lichen simplex chronicus entsteht dagegen aufgrund einer Hautreizung, ausgelöst durch Triggerfaktoren wie Reibung, Wärme, Schweiß oder Chemikalien. Auch hier ist die eigentliche Ursache unbekannt. Die Erkrankung tritt häufig zusammen mit psychischen Erkrankungen wie Angststörungen und Krankheitsbildern wie Diabetes oder Allergien auf (11).