Preisgekrönte orale MS-Therapie |
Eine Tablette und keine Spritze zur Therapie der Multiplen Sklerose: Das war 2011 eine Sensation. / Foto: Your Photo Today
Multiple Sklerose (MS) ist eine Krankheit des jungen Menschen. Betroffene bemerken meist im Alter zwischen 20 und 40 Jahren, dass etwas nicht stimmt. Mit der Diagnose wird ihnen schnell klar, dass sich von nun an das Leben drastisch ändern wird. Am eigenen Leib verspüren die Patienten eine stetige, aber kaum aufhaltbare Neurodegeneration, mit der eine zunehmende Behinderung einhergeht.
Fingolimod ist ein synthetisches Strukturanalogon von Sphingosin, das sich von Myriocin ableitet, einem immunsuppressiven Metaboliten aus dem Pilz Isaria sinclairii. Es ist ein Modulator an den fünf Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptoren S1PR1 bis S1PR5. Der endogene Ligand dieser Rezeptoren ist Sphingosin-1-Phosphat (S1P). Interessant im Kontext der MS ist vor allem der S1P-Rezeptorsubtyp 4. Dieser kommt ausschließlich in lymphatischen und hämatopoetischen Geweben vor und über diesen Rezeptor regelt S1P den Austritt von Lymphozyten aus peripheren lymphatischen Geweben sowie aus dem Thymus.
Nach oraler Gabe wird Fingolimod zu 93 Prozent aufgenommen und ähnlich wie endogenes Sphingosin durch eine Sphingosinkinase phosphoryliert und damit aktiviert. Das resultierende Fingolimod-Phosphat wirkt dann zunächst genauso wie Sphingosin-1-Phosphat als Agonist an S1P-Rezeptoren, bewirkt dann aber durch seine langdauernde Rezeptorbindung eine Downregulation und Internalisierung des Rezeptors mit anschließendem intrazellulärem Rezeptorabbau. Über diesen Mechanismus wird Fingolimod-Phosphat zum funktionellen Antagonisten, der die physiologischen Funktionen von S1P abschaltet. Damit fehlt den antigenaktivierten, autoreaktiven Lymphozyten das Austrittssignal aus den Lymphknoten und es resultiert eine periphere Lymphopenie, die auch die Rezirkulation der Lymphozyten in das Gehirn unterbricht. So werden bei der MS akute Schübe durch zentrale Entzündungsherde verhindert.
Fingolimod (unten) ist ein synthetisches Strukturanalogon von Sphingosin (oben) und ein Modulator an den fünf Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptoren S1PR1 bis S1PR5. / Foto: PZ/Wurglics
Fingolimod entpuppte sich als lang ersehnte Sprunginnovation und damit als neue Option für einen rationalen Ansatz zur Behandlung der MS. In klinischen Studien war die Wirksamkeit beeindruckend. Viele Patienten blieben über eine lange Zeit schubfrei und auch die Progression der Behinderung nahm mit circa 30 Prozent deutlich ab. Allerdings ist Fingolimod erwartungsgemäß nicht nebenwirkungsfrei, wie dies auch für alle anderen modernen MS-Therapeutika zutrifft. Zudem muss bei gebärfähigen Frauen eine sichere Kontrazeption gewährleistet sein, da Fingolimod auch teratogen wirkt.
Der Gemeinsame Bundesausschuss sah damals den Nutzen von Gilenya skeptisch und hat seine Meinung in der Zwischenzeit auch nicht substanziell revidiert. Trotzdem wurde Gilenya bereits im Jahr seiner Markteinführung mehr als 10.000 Mal verordnet. Laut Arzneiverordnungs-Report 2018 verursacht das Präparat für die Gesetzliche Krankenversicherung 257,4 Millionen Euro Nettokosten und nahm damit im Jahr 2017 Platz 14 der nach Nettokosten führenden Arzneimittel ein.