Offene Fragen zum Pathomechanismus |
Christina Hohmann-Jeddi |
10.11.2021 17:00 Uhr |
Entzündungen des Herzmuskels oder des Herzbeutels können nach einer Impfung mit einem mRNA-Impfstoff auftreten. / Foto: Fotolia/yodiyim
Die Ständige Impfkommission (STIKO) hat heute mitgeteilt, dass bei Menschen unter 30 Jahren und bei Schwangeren jeden Alters nur noch der Covid-19-Impfstoff Comirnaty® von Biontech/Pfizer und nicht mehr der Moderna-Impfstoff Spikevax® eingesetzt werden soll. Der Grund ist das im Vergleich höhere Myokarditis- und Perikarditis-Risiko der Moderna-Vakzine. Aber wie häufig treten diese sehr seltenen Nebenwirkungen bei den mRNA-Impfstoffen auf und wie kommt es zu diesen Reaktionen?
»Während die Datenlage in den vergangenen Wochen durchaus umfangreicher wurde, sind die Hypothesen bezüglich der Mechanismen und der Pathophysiologie der Herzentzündungen weiterhin völlig unklar«, erklärte Professor Dr. Andreas Zeiher vom Universitätsklinikum Frankfurt am Main gegenüber dem »Science Media Center Deutschland« (SMC). Israelische Daten zu Comirnaty, die aktuell im Fachjournal »NEJM« erschienen sind, zeigten, dass diese Entzündungen bei 16- bis 19-jährigen Männern mit einer Inzidenz von 1 auf 6637 Impfungen auftreten, während die Inzidenz in der gleichen Altersgruppe bei Frauen bei 1 von 99.583 Impfungen liegt. Da in Israel ausschließlich Comirnaty eingesetzt wurde, lässt sich aus den Daten kein Vergleich mit dem Moderna-Impfstoff ziehen.
Einen direkten Vergleich lieferte aber das Paul-Ehrlich-Institut in seinem aktuellen Sicherheitsbericht zu den Covid-19-Impfstoffen: In diesem berechnete das Institut für männliche Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren eine Melderate von 4,8 Fällen von vermuteter Myo-/Perikarditis auf 100.000 Impfungen für Comirnaty und 11,4 Fälle auf 100.000 Impfungen für Spikevax. Für Männer zwischen 18 und 29 Jahren fielen die Melderaten mit 4,7 Fälle/100.000 Impfungen für Comirnaty und 11,7 Fälle/100.000 Impfungen für Spikevax ganz ähnlich aus. Bei Frauen in diesem Alter war die Melderate für Comirnaty (1,0 Fall/100.000 Impfungen) deutlich niedriger als bei Spikevax (3,0 Fall/100.000 Impfungen).
Wie kommt es aber zu diesen seltenen Nebenwirkungen der mRNA-Impfstoffe? Laut Zeiher kommen zwei Mechanismen infrage: Zum einen eine Reaktion auf die aktive Komponente des Impfstoffs, die mRNA-Sequenz, die für das Spike-Protein von SARS-CoV-2 kodiert, oder die generelle Immunreaktion auf die Impfung. »Die Tatsache, dass eine Myokarditis häufiger nach der zweiten Impfung, zumindest beim Biontech-Impfstoff, auftritt, könnte eher für eine generelle Reaktion des Immunsystems auf die Impfung sprechen, das ist aber spekulativ«, so der Experte.
Nach Ansicht von Medizinern der Städtischen Kliniken Mönchengladbach könnte die nach der Impfung einsetzende Produktion des viralen Spike-Proteins im Körper immunologische Prozesse einleiten, die schließlich zu einer Schädigung des Myokards führen. Denn die Myokardzellen besitzen ACE2-Rezeptoren, an die das Spike-Protein bindet. So könnten Antikörper die Antigene dort abfangen, einen Antikörper-Antigen-Komplex am Herzgewebe bilden und dort zu Schäden führen. Zudem könnten zytotoxische T-Zellen an den Myokardzellen andocken, um das Antigen abzufangen, und ebenfalls Schäden anrichten, vermuten Dr. Sabine Keiser, Professor Dr. Georg Sabin und Professor Dr. Huan N. Nguyen gegenüber dem SMC.
Es könne sich somit um ein Autoimmunphänomen handeln. Hierfür spreche auch, dass junge Menschen mit einem sehr reaktiven Immunsystem häufiger betroffen sind und die Entzündungsreaktionen bei der zweiten Impfdosis häufiger auftreten als nach der ersten. Eine generelle Empfehlung für eine Boosterung für alle Altersgruppen sei daher mit Vorsicht zu betrachten, so die Mediziner.
Das Virus SARS-CoV-2 hat unsere Welt verändert. Seit Ende 2019 verbreitet sich der Erreger von Covid-19 und stellt die Wissenschaft vor enorme Herausforderungen. Sie hat sie angenommen und rasch Tests und Impfungen, auch für Kinder, entwickelt. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronavirus.