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Nicht nur bei Coronaviren

Notfallplan gehört in jedes Apotheken-QMS

Jede Apotheke sollte einen Notfallplan für Epidemien, Stromausfälle und andere Katastrophen in der Schublade haben. Die PZ sprach mit der AG KatPharm, was Apotheken dabei bedenken sollten, auch im Hinblick auf das aktuelle Corona-Geschehen in Deutschland.
Daniela Hüttemann
06.03.2020  17:00 Uhr

Ob Sturmtief, Überschwemmung oder plötzlicher Wintereinbruch, Schweinegrippe, Ebola-Epidemie oder eben jetzt das Coronavirus: Jede Apotheke sollte einen Notfallplan haben, rät die Arbeitsgemeinschaft Notfall- und Katastrophenpharmazie (AG KatPharm) der DPhG. »Dieser Notfallplan sollte regelmäßig überarbeitet werden und Teil des Qualitätsmanagementsystems sein«, betont Sven Seißelberg, Vorstandsmitglied der AG KatPharm. Die Arbeitsgemeinschaft wurde 2006 gegründet und wirbt seitdem dafür, dass sich Apotheken, Kammern und Verbände auf Notlagen vorbereiten – am besten, solange kein Notfall vorliegt. »So lässt sich ein hektisches Agieren wie zuletzt bei den Vorgaben zur Herstellung von Händedesinfektionsmitteln vermeiden«, ergänzt Dr. Frederik Vongehr, ebenfalls Vorstandsmitglied der AG KatPharm.

Was sollten Apotheken angesichts der aktuellen Coronavirus-Epidemie nun tun? »Sie müssen sich als Apothekenleiter fragen, was Sie für den Betrieb Ihrer Apotheke brauchen«, so Seißelberg. An erster Stelle stehe das Personal. Habe ich die Kontaktdaten und Adressen all meiner Mitarbeiter sowie Personal, das im Notfall einspringen könnte, zum Beispiel ehemalige Mitarbeiter oder Bekannte? Wie schütze ich meine Mitarbeiter vor einer Infektion? All dies gehöre ins QM-Handbuch. »Pauschale Checklisten gibt es hier nicht«, so Seißelberg. Er hält es nicht für sinnvoll, die eigenen Mitarbeiter mit FFP3-Schutzmasken auszustatten, selbst wenn noch welche vorrätig oder zu bekommen sein sollten. Einen Hygiene- und Desinfektionsplan muss ohnehin jede Apotheke haben. Darüber hinaus empfiehlt die AG KatPharm, sich an den Leitlinien des Weltapothekerverbands FIP zum Coronavirus zu orientieren. Darüber hinaus stellt die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände peu à peu Handlungshilfen auf ihrer Website im internen Bereich für Apotheker online.

Noch ist man laut offiziellen Aussagen der Ministerien weit davon entfernt, Sperrbezirke einzurichten. Aber was, wenn es doch passiert und die Apotheke darin liegt? Kommen meine Mitarbeiter noch zu mir – oder kommen sie noch nach Hause? Falls nein, wie versorge ich sie dann? Auch diese Fragen sollten Apothekeninhaber klären.

»Sprechen Sie auch mit Ihrem Großhändler, welche Notfallpläne dort für die Belieferung vorliegen«, so Seißelberg. Auch sollte man sich sein Warenlager noch einmal kritisch ansehen. Vielleicht schränkt der Großhändler seine Belieferungstaktung von den üblichen drei- bis viermal am Tag auf nur noch einmal ein. Denn laut §15 Apothekenbetriebsordnung muss jede Apotheke Arzneimittel und apothekenpflichtige Medizinprodukte, die zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung notwendig sind, in einer Menge vorrätig halten, die mindestens dem durchschnittlichen Bedarf für eine Woche entspricht.

Austauschmöglichkeiten erweitern

»In der Realität erschweren es aber wirtschaftliche Faktoren, nicht zuletzt die Rabattverträge, diese Vorgabe zu erfüllen«, weiß Vongehr. »Es ist kaum möglich, alle Varianten zum Beispiel von Metoprolol, also verschiedene Dosierungen, Retardformen und Generika, vorrätig zu halten.« Hier wünscht sich die AG KatPharm, dass die Apothekerverbände und Krankenkassen Vereinbarungen treffen, die den Apotheken im Notfall mehr Handlungsspielraum verschaffen, zum Beispiel die Rabattverträge auszusetzen. »Man kann es zum Beispiel pharmazeutisch vertreten, einmal etwas niedriger dosierte Tabletten abzugeben, also von der ärztlichen Verordnung abzuweichen«, meint Vongehr, denn dies sei allemal besser, als zum Beispiel einen chronischen Herzkreislauf-Patienten aufgrund der Nichtabgabe seines Dauerpräparates dekompensieren und somit zum Notfall werden zu lassen. Doch dafür fehlt derzeit die rechtliche Grundlage.

Auch müsse man darüber sprechen, ob angesichts der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen die Apotheker für eine umfangreichere Lagerhaltung besser vergütet werden – oder wie Bund und Länder selbst strategische Vorräte von versorgungskritischen Arzneimitteln und Medizinprodukten sinnvoll anlegen wollen.

»Wenn Apotheken situationsbezogen reagieren, um eine Lösung für den Patienten zu finden, dürfen sie davon keinen wirtschaftlichen Nachteil haben«, meint auch Dr. Thomas Friedrich, Geschäftsführer des Apothekerverbands Schleswig-Holstein und des Apothekervereins Hamburg. »Wir fordern bereits seit Langem mehr Flexibilität bei Lieferengpässen. Die Coronavirus-Epidemie verschärft die ohnehin schon schwierige Lieferproblematik.« Die Apothekerverbände hoffen, dass die Apotheken mit den Änderungen im Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG) mehr Schutz vor Retaxierungen bekommen, wenn sie wirtschaftliche Vorgaben der Krankenkassen wie Rabattverträge, Preisanker und Importförderklauseln bei Lieferengpässen nicht bedienen können.

Patienten sollten sich bevorraten – mit Bedacht

Die Landesapothekerkammer Hessen warnte am Freitag davor, dass verunsicherte Patienten derzeit Arzneimittel regelrecht »hamstern«. Doch gerade bei Medikamenten spiele Qualität, Sicherheit und die fachkundige Beratung eine bedeutende Rolle. Die Kammer empfiehlt in einer Pressemitteilung Patienten, sich nicht über das Maß zu bevorraten. Sollten »gehamsterte« Arzneien gar nicht verwendet werden und dadurch zu lange lagern, könne die Mindesthaltbarkeit überschritten werden. Diese Arzneimittel müssten dann weggeworfen werden und stünden an anderer Stelle nicht zur Verfügung, obwohl sie dringend benötigt würden.

»Wie grundsätzlich auch, sollte man chronisch kranken Patienten raten, ihre Dauermedikation für ein bis zwei Wochen vorrätig zu halten, also nicht erst kurz vor Ende der Packung ein neues Rezept vom Arzt zu besorgen«, rät Apotheker Vongehr. Die AG KatPharm hat auch an entsprechenden Hinweisen des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) mitgearbeitet. Das BBK stellt seinen »Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen« online kostenlos zur Verfügung. Darin ist auch ein Kapitel zur Hausapotheke enthalten. Das BBK empfiehlt im Übrigen grundsätzlich den Bürgern, Lebensmittel und Getränke für zehn Tage immer im Haus zu haben. Die Hamsterkäufe der letzten Tage zeigen, dass wohl viele diese Empfehlung bislang nicht berücksichtigt haben.

Lokales Netzwerk aufbauen

Zurück zu den Apotheken: Neben dem Personal und dem Warenlager sei ein gut ausgebautes Netzwerk wichtig, betonen Seißelberg und Vongehr. Dazu zählen ein Kontakt zur nächsten Krankenhausapotheke, die mit ihrem Warenlager, das laut ApBetrO auf 14 Tage ausgelegt sein sollte, eventuell im Notfall aushelfen kann. »Nehmen Sie auch Kontakt zu Hilfsorganisationen wie der Feuerwehr, dem Roten Kreuz und dem Technischen Hilfswerk auf, die bei einer Abriegelung für die Logistik zuständig sind«, rät Seißelberg. Denn diese haben die Apotheke nur in den seltensten Fällen als kritische Infrastruktur auf dem Schirm, was diese aber definitiv seien.

Ebenfalls wichtig sei der Kontakt zur zuständigen Apothekenaufsicht und der Apothekerkammer. Hier sollte man besprechen, wie der Betrieb aufrechterhalten werden kann, wenn die eigenen Mitarbeiter erkranken oder unter Quarantäne gestellt werden. Wie kann der Notdienst gewährleistet werden? Und was passiert im schlimmsten Fall, wenn die Apotheke vorübergehend geschlossen werden muss? Aus Sicht der AG KatPharm wäre es wünschenswert, wenn die Apothekerschaft analog zu den Ärzten einen Pandemiebeauftragten hätte.

Seißelberg und Vongehr hoffen auf einen glimpflichen Verlauf der aktuellen Epidemie. Sie sprachen wie die WHO von einer »Infodemie«, der starken Präsenz der Epidemie in den Medien. »Da es noch keine Impfstoffe und Arzneimittel gegen SARS-CoV-2 gibt, fühlen sich die Menschen stärker ausgeliefert als bei der saisonalen Influenza«, meint Vongehr. Auch die Ansteckungsgefahr bereite vielen Angst. Nicht zuletzt fürchten sich viele davor, 14 Tage isoliert zu werden.

»Was wir aus der aktuellen Lage wirklich lernen müssen ist, dass wir nachhaltige Notfallpläne brauchen, denn die nächste wirklich schlimme Pandemie kommt bestimmt«, so Seißelberg. »Wir Apotheker müssen dann sagen können, dass wir wissen, was zu tun ist.«

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