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Covid-19-Impfstoffe

Neues zu den Ursachen von Thrombosen nach Impfung

Greifswalder Forscher hatten als erste eine Hypothese geliefert, wie es nach einer Covid-19-Impfung zu den ungewöhnlichen Hirnvenenthrombosen kommen könnte. Jetzt legten sie ein neues Paper nach, in dem es auch um die konkreten Auslöser geht. Es könnte sich um einen Klasseneffekt der Vektorimpfstoffe handeln.
Christina Hohmann-Jeddi
21.04.2021  18:00 Uhr

Nach der Verimpfung der Covid-19-Impfstoffe von Astra-Zeneca und Janssen kann es in seltenen Fällen zu schweren ungewöhnlichen Thrombosen (Blutgerinnseln) kommen, die von einer Thrombozytopenie (Blutplättchenmangel) begleitet werden – ein eher ungewöhnliches klinisches Bild.

In Deutschland sind inzwischen 62 Fälle von Hirnvenenthrombosen und 24 Fälle von Thrombosen im Bauchraum (splanchnische Venenthrombosen) jeweils innerhalb von 5 bis 20 Tagen nach einer Impfung mit Vaxzevria® von Astra-Zeneca aufgetreten. Auch von der Vektorvakzine von Janssen, der Pharmasparte von Johnson & Johnson, ist inzwischen bekannt, dass sie diese seltene Nebenwirkung haben kann. Dieser Impfstoff wurde in Deutschland jedoch bislang noch nicht eingesetzt. Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat entsprechend zunächst für Vaxzevria und am Dienstag auch für den Janssen-Impfstoff entschieden, dass Warnhinweise auf Thrombozytopenien und die seltenen Thromboseformen in die Fachinformationen der Präparate aufgenommen werden müssen. Beide Impfstoffe basieren auf einem Adenovirus als Vektor, das das Gen für das Spike-Protein von SARS-CoV-2 enthält, jedoch handelt es sich um unterschiedliche Adenoviren und auch der genetische Code für das Spike-Protein ist nicht exakt identisch.

Schon früh nach dem Auftreten der ersten Fälle stellte die Arbeitsgruppe des Hämatologen Professor Dr. Andreas Greinacher von der Universität Greifswald eine Hypothese vor, wie es zu den schweren Thrombosen kommen kann. Demnach weisen die Geimpften, die diese Nebenwirkung erleiden, hohe Titer an Antikörpern auf, die gegen den Plättchenfaktor 4 (PF4) gerichtet sind. Das kationische Signalmolekül PF4 ist ein Teil des Immunsystems, das an polyanionische Oberflächen von Pathogenen bindet und diese damit markiert. Die Bindung von Anti-PF4-Antikörpern an diesen Komplex löst dann eine Immunreaktion aus, bei der die Blutplättchen aktiviert werden.

Die Reaktion an sich ist laut Greinachers Team ein evolutionär altes Prinzip der angeborenen Immunabwehr, das aber, wenn es fehlgeleitet wird, Thrombosen auslösen und großen Schaden anrichten kann. Ein Beispiel hierfür ist die Heparin-induzierte Thrombozytopenie (HIT), bei der positiv geladene PF4-Moleküle an negativ geladenes Heparin binden. An diesen Komplex binden wiederum Anti-PF4-Antikörper, die den beschriebenen Mechanismus in Gang setzen. In Anlehnung an dieses Krankheitsbild wird die Impfnebenwirkung auch Vakzin-induzierte immunthrombotische Thrombozytopenie (VITT) genannt.

Wechselspiel aus Virus- und menschlichen Proteinen – und EDTA

Welcher Bestandteil der Impfstoffe die Rolle von Heparin übernimmt und die fatale Kaskade auslöst, war allerdings bislang unklar. Dies hat das Team um Greinacher nun bei Vaxzevria genauer untersucht und die Ergebnisse in einem noch nicht begutachteten Preprint auf der Plattform »Research Square« veröffentlicht. Die Analyse des Impfstoffs selbst zeigte, dass er neben den Adenoviren auch zahlreiche menschliche Proteine enthält, die von der Anzucht der Vektorviren in menschlichen Zellen stammen, sowie den Komplexbildner Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA).

Analog zur HIT kommt es auch bei der VITT zunächst zur Bildung eines Neoantigens – eines neuen Angriffspunkts für Antikörper. Nach der Impfung aktivieren Bestandteile von Vaxzevria die Blutplättchen am Injektionsort, die daraufhin PF4 freisetzen. Dieses bildet mit Bestandteilen des Impfstoffs Aggregate, die auch Adenovirus-Proteine enthalten. Gleichzeitig erhöht EDTA die Gefäßdurchlässigkeit am Injektionsort, wodurch die im Impfstoff enthaltenen Adenovirus-Proteine und menschliche Proteine verstärkt ins Blut gelangen. Dort werden die Proteine und deren Komplexe mit PF4 von präexistierenden IgG-Antikörpern erkannt und es entstehen Immunkomplexe.

Dies trägt der Greifswalder Arbeitsgruppe zufolge zum einen zu den akuten Impfreaktionen wie Fieber und Schüttelfrost bei, zum anderen ist diese Entzündungsreaktion offenbar ein Kosignal, das die präexistierenden B-Zellen weiter aktiviert, Anti-PF4-Antikörper zu bilden. In der Folge werden Blutplättchen aktiviert, sie verklumpen und setzen gerinnungsfördernde Substanzen frei. Zudem aktivieren die Thrombozyten noch weitere Zellarten, nämlich neutrophile Granulozyten, Monozyten und Endothelzellen, was den Gerinnungsprozess weiter antreibt.

Klasseneffekt der Adenovirus-Vektoren?

Welche Bestandteile der Astra-Zeneca-Vakzine genau die fatale Kaskade auslösen, ist noch unklar. »Vermutlich ist es ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren«, sagte Greinacher bei einer digitalen Pressekonferenz am Dienstag. Proteine der Adenoviren könnten die Komplexbildung auslösen, dann wäre die Nebenwirkung ein Klasseneffekt, der auf alle Adenovirus-basierten Vektorimpfstoffe zutrifft, zu denen auch der Janssen-Impfstoff (humanes Adenovirus Typ 26) und der russische Impfstoff Sputnik V (humanes Adenovirus Typ 5 und Typ 26) zählen. Vaxzevria basiert auf einem Adenovirus, das Schimpansen befällt.

Dass Adenovirus-Vektoren an Blutplättchen binden und diese aktivieren können, ist schon aus Studien mit den Vektoren als Gentherapeutika bekannt. Auch Thrombozytopenie ist ein häufig beobachtetes Phänomen nach intravenöser Gabe der Vektoren

Neben dem Gehalt an Adenoviren oder zerstörten Vektoren im Impfstoff kann auch das enthaltene EDTA eine Rolle spielen, denn es verstärkt offenbar den Kontakt der Impfstoffbestandteile mit den Blutplättchen nach intramuskulärer Injektion. Dem Greifswalder Team zufolge sollte auch die Rolle der menschlichen Proteine, die in der Astra-Zeneca-Vakzine in einer Dosis von 35 bis 40 µg pro Impfdosis gefunden wurden, näher untersucht werden.

Inwieweit die anderen Adenovirus-basierten Impfstoffe wie der Janssen-Impfstoff und Sputnik V ähnlich zusammengesetzt sind und ebenfalls humane Proteine oder EDTA aufweisen, kann das Team um Greinacher nicht sagen, da ihm diese Impfstoffe noch nicht zur Untersuchung vorliegen. Es steht aber in Verbindung mit Janssen, um den Impfstoff zu beziehen. Insgesamt könne die Sicherheit des Impfstoffs erhöht werden, wenn er kein EDTA enthalte, sagte Greinacher. Inwieweit dies technisch möglich sei, könne er aber nicht sagen.

Der schlafende Drache

Warum gibt es überhaupt präexistierende B-Zellen, die Anti-PF4-Antikörper bilden? Diese sind Teil eines evolutionär alten Teils des Immunsystems, erklärte Greinacher. Die Mehrheit der Menschen weisen diese auf; sie sind sogar im Nabelschnurblut von Neugeborenen zu finden. »Auch bei PF4-Knockout-Mäusen, die gar kein PF4 bilden können, sind diese B-Zellen nachweisbar«, berichtete der Forscher.

Diese alte unspezifische Immunreaktion sei sehr potent, aber auch schlecht zu kontrollieren. »Sie ist wie ein alter Drache, der in einer Höhle schläft, und den man besser nicht wecken sollte«, so Greinacher. Irgendetwas im Impfstoff weckt die präexistierenden B-Zellen aber in sehr seltenen Fällen auf und sie bilden in hohem Maß Anti-PF4-Antikörper. Bei den allermeisten Menschen führen die präexistierenden B-Zellen aber nicht zu Problemen.

Bei wem der Drache aufwacht, wer also solche seltenen Thrombosen nach einer Covid-19-Impfung entwickelt, sei nicht vorherzusagen, sagte Greinacher. Nach entsprechenden prädiktiven Faktoren suche man bei der HIT schon seit mehr als 30 Jahren – ohne Erfolg. Er selbst sei auch zunehmend skeptisch, dass das Geschlecht das Risiko beeinflusst, so der Mediziner. Bislang sind die meisten dieser thromboembolischen Ereignisse bei jungen Frauen aufgetreten. Dies könne aber auch daran liegen, dass – zumindest in Deutschland – diese Personengruppe vorrangig mit Astra-Zenenca geimpft wurde.

Kollegen aus Kanada hätten ihm berichtet, dass sie eine etwa gleiche Verteilung der Thrombosefälle nach Impfung bei Männern und Frauen sehen, gerade in der älteren Bevölkerung. Auch die Daten aus Großbritannien zeigten ein »nahezu ausgewogenes Risiko« für diese Nebenwirkung bei Männern und Frauen, mit einem leichten Überhang in Richtung Frauen. »Es ist keine Erkrankung von jungen Frauen«, zeigte sich Greinacher überzeugt.

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