Neues Antibiotikum soll Resistenzen überwinden |
Annette Rößler |
19.01.2021 14:00 Uhr |
Der Legende nach freuten sich die Trojaner über das große Holzpferd, das eines Morgens vor ihrer Stadt stand, und zogen es hinen – nicht ahnend, dass drinnen ihre Freinde, die Griechen, saßen. / Foto: Adobe Stock/Michael Rosskothen
Cefiderocol wird von der Firma Shionogi unter dem Namen Fetcroja® vermarktet. Im Handelsnamen stecken bereits zwei Hinweise auf den Wirkmechanismus: Fe für Eisen und Troja für die Stadt in Kleinasien beziehungsweise den nach ihr benannten Krieg in der Antike. Das Cr in der Mitte soll darauf hinweisen, dass der neue Arzneistoff auch gegen Carbapenem-resistente Keime wirkt. Das wurde bei der Launch-Pressekonferenz deutlich, die bereits Ende September online stattfand.
Strukturell ist Cefiderocol ein Cephalosporin, an das eine Seitenkette mit einer Catechol-Struktur gekoppelt wurde. Dieses sogenannte Siderophor kann dreiwertiges Eisen binden und ist gewissermaßen der Trick an der Sache. Denn aerobe gramnegative Bakterien brauchen Eisen und haben ein aktives Transportsystem für eisenbeladene Siderophore, um ihren Bedarf zu decken. Cefiderocol nutzt dieses System, um durch die äußere Zellmembran zu gelangen und dann durch Störung der Zellwandsynthese die Zelle zerstören – so wie die Griechen im Trojanischen Krieg die Stadt Troja letztlich mit der List des Pferdes eroberten.
Hersteller Shionogi verweist darauf, dass der aktive Transport zwei von drei Resistenzmechanismen von Bakterienzellen überwinde: Weder Mutationen in den Porinkanälen, über die β-Lactam-Antibiotika normalerweise in die Zellen gelangten, noch überexprimierte Effluxpumpen, mit denen sie schnell wieder aus der Zelle herausschleust würden, könnten die Wirksamkeit schmälern. Zudem weise Cefiderocol eine hohe Stabilität gegenüber allen bekannten β-Lactamasen auf – womit Resistenzmechanismus Nummer 3 ins Leere laufe.
In vitro sei Cefiderocol gegen alle wichtigen aeroben gramnegativen Erreger wirksam, auch gegen die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Problemkeime eingestuften Carbapenem-resistenten Acinetobacter baumannii, Pseudomonas aeruginosa und Enterobacterales wie Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae, so Shionogi. Professor Dr. Ulrike Holzgrabe, Pharmazeutische Chemikerin an der Universität Würzburg und Antibiotika-Spezialistin, hatte allerdings bei einem Vortrag auf dem Fortbildungskongress Pharmacon in Schladming Anfang des Jahres 2020 das Fehlen eines ausreichenden Nachweises einer Wirksamkeit gegen Carbapenem-resistente Bakterien als Nachteil von Cefiderocol genannt. Mittlerweile sei aber zumindest in vitro eine Wirksamkeit gegen Carbapenem-resistente Stämme belegt, teilte Holzgrabe aktuell auf Nachfrage der PZ mit.
Zugelassen ist Cefiderocol zur Therapie von Erwachsenen mit Infektionen durch aerobe gramnegative Erreger, für die nur begrenzte Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Fetcroja kommt in Durchstechflaschen mit je 1 g Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung in den Handel. Die Dosierung beträgt 2 g alle acht Stunden, gegeben als intravenöse Infusion über einen Zeitraum von drei Stunden. Bei eingeschränkter Nierenfunktion muss die Dosis angepasst werden.
Laut Shionogi sind keine bedeutenden Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln bekannt. Als häufigste Nebenwirkungen werden Durchfall (8,2 Prozent der behandelten Patienten), Erbrechen (3,6 Prozent), Übelkeit (3,3 Prozent) und Husten (2 Prozent) genannt. Die Eisen-Homöostase des Körpers wird von der Therapie nicht beeinflusst.
Ausschlaggebend für die Zulassung waren die Ergebnisse von drei Studien: APEKS-NP, ein Vergleich mit Meropenem bei Patienten mit nosokomialer Pneumonie (DOI: 10.1016/S1473-3099(20)30731-3), APEKS-cUTI, ein Vergleich mit Imipenem/Cilastatin bei Patienten mit komplizierten Harnwegsinfekten (DOI: 10.1016/S1473-3099(18)30554-1), und CREDIBLE-CR, ein Vergleich mit bester verfügbarer Therapie bei Patienten mit schweren Infektionen, die durch Carbapenemase-produzierende Bakterien ausgelöst waren (DOI: 10.1016/S1473-3099(20)30796-9).
Antimikrobielle Resistenz stellt weltweit ein zunehmendes Problem dar. Seit Jahren werden dringend neue Antibiotika gefordert. Mit Cefiderocol ist eines auf den Markt gekommen, das in die Kategorie der Sprunginnovationen einzustufen ist. Cefiderocol zeigt das Potenzial, gegen ein breites Spektrum gramnegativer Bakterien, einschließlich der WHO-Problemkeime Acinetobacter baumannii, Pseudomonas aeruginosa und Enterobacterales, wirksam zu sein.
Eisentransporter für die Antibiotika-Aufnahme in die Zelle zu nutzen, ist keine ganz neue Idee und auch natürlich vorkommende Antibiotika besitzen Siderophor-Strukturen im Molekül. Cefiderocol ist aber das weltweit erste zugelassene Siderophor-Cephalosporin-Antibiotikum. Durch die gezielt optimierte Struktur des Moleküls lassen sich Resistenzmechanismen umgehen. Es vereint bewährte Elemente anderer Cephalosporine mit einem innovativen Catechol-Siderophor. Dank Letzterem besitzt das Antibiotikum den Mechanismus des Zelleintritts über das bakterieneigene Eisenaufnahmesystem. Veränderungen der Porinkanäle als ein wichtiger Resistenzmechanismus können Cefiderocol damit nichts mehr anhaben. Auch zwei weitere Resistenzmechanismen, Überexpression von Effluxpumpen und Abbau durch β-Lactamasen, greifen im Fall von Cefiderocol nicht. Denn Seitenketten im Molekül erschweren zum Beispiel die Erkennung durch β-Lactamasen beziehungsweise erhöhen die Stabilität gegen sie.
Gestützt wird die Marktzulassung und Einstufung von Cefiderocol als Sprunginnovation durch Ergebnisse aus drei klinischen Studien, etwa bei nosokomialer Pneumonie, beatmungsassoziierter Pneumonie, komplizierten Harnwegsinfektionen sowie Sepsis. Eingeschlossen waren auch Patienten mit schweren Infektionen durch multiresistente gramnegative Bakterien, darunter Carbapenem-resistente Problemkeime.
Weitere Studien mit Cefiderocol wären wünschenswert, um herauszufinden, wie gut es bei unterschiedlichen, durch gramnegative Bakterien verursachte Erkrankungen wirksam ist. Möglicherweise wird das dann zu weiteren Anwendungsgebieten in der EU führen und die US-Zulasssungsbehörde FDA dazu bewegen, die Indikation zu erweitern. Derzeit ist Cefidercol dort nur bei komplizierten Harnwegsinfektionen zugelassen, die durch gramnegative Erreger bedingt sind.
Sven Siebenand, PZ-Chefredakteur