Neuer Appetitzügler bei genetisch bedingtem Übergewicht |
Daniela Hüttemann |
25.05.2021 13:15 Uhr |
Kinder mit einer genetisch bedingten Störung des MC4R-Signalwegs haben immer Hunger und spüren kein Sättigungsgefühl, daher nehmen sie schon in jungen Jahren stark zu. / Foto: Adobe Stock/Africa Studio
Wenn Kinder einfach nicht aufhören können zu essen und schon in sehr jungen Jahren stark übergewichtig werden, kann ein genetischer Defekt dahinter stecken, zum Beispiel eine Störung im Melanocortin-4-Rezeptor- (MC4R-)Signalweg im Gehirn, bei der die Betroffenen keinerlei Sättigungsgefühl verspüren.
Der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der Europäischen Arzneimittelagentur hat nun eine Zulassungsempfehlung für den ersten Arzneistoff ausgesprochen, der hier regulierend eingreift: Setmelanotid (Imcivree™) von Rhythm Pharmaceuticals, einem biopharmazeutischen Unternehmen aus Boston, USA. Dort erfolgte im November 2020 bereits die Zulassung durch die US-Behörde FDA. Der Hersteller rechnet mit einer Zulassung durch die EU-Kommission im Juli.
Indiziert ist Setmelanotid zur Behandlung und Kontrolle von Übergewicht und Hunger, assoziiert mit einer genetischen Defizienz im MC4R-Signalweg, bei Patienten ab sechs Jahren. Eingesetzt werden darf es bei einer Pro-Opiomelanocortin-Defizienz (POMC), inklusive einer Proprotein-Konvertase-Subtilisin/Kexin-Typ-1-(PCSK1-)Defizienz und Leptin-Rezeptor-Defizienz (LEPR) bei Kindern und Erwachsenen, bei denen diese seltene Erkrankung per Gentest nachgewiesen wurde. Alle drei Unterformen beeinflussen den MC4R-Signalweg, der dem Körper signalisiert, wann er essen und auch wieder aufhören soll.
Die drei Formen dieser genetischen Erkrankung sind äußerst selten. Laut EMA gibt es weltweit weniger als 50 Betroffene der POMC-Form, 90 Patienten mit LEPR-Defizienz und 50 mit PCSK1-Defizienz. Dementsprechend soll Setmelanotid als Orphan Drug zugelassen werden.
Das Hormon-Analogon bindet und aktiviert MC4-Rezeptoren im Hypothalamus, was den Appetit drosseln soll. Es wird einmal täglich unter die Haut gespritzt. Typische Nebenwirkungen sind Lokalreaktionen an der Einstichstelle, eine Dunkelfärbung der Haut, Übelkeit und Kopfschmerzen. Kardiovaskuläre Ereignisse traten in den Zulassungsstudien nicht auf. Die CHMP-Empfehlung beruht vor allem auf zwei klinischen Studien mit 21 Teilnehmern. 80 Prozent der POMC-Patienten und 45,5 Prozent der LEPR-Patienten erreichten durch das Medikament mindestens 10 Prozent Gewichtsverlust innerhalb des ersten Behandlungsjahres.
Rhythm Therapeutics erprobt Setmelanotid noch bei weiteren genetisch bedingten Störungen mit Übergewicht, zum Beispiel dem Bardet-Biedl-Syndrom und dem Alström-Syndrom. Die Substanz darf allerdings bislang nicht bei anderen genetischen Syndromen, die mit Übergewicht assoziiert sind, eingesetzt werden und auch nicht bei generellem (polygenetisch bedingtem) Übergewicht.