Nanotechnologie der Covid-19-Vakzinen |
Die Nanotechnologie wird in einigen Arzneimittelformulierungen erfolgreich eingesetzt. Neue Anwendungsgebiete sind Covid-19-Vakzinen. / Foto: Adobe Stock/megaflopp
Die Covid-19-Impfstoffe unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von den meisten Impfstoffen, die bisher therapeutisch eingesetzt wurden. Gemäß Europäischem Arzneibuch sind Impfstoffe für Menschen Zubereitungen, die Antigene enthalten, die eine spezifische, aktive Immunität beim Menschen gegen das infizierende Agens oder das von ihm gebildete Toxin oder Antigen induzieren (Ph.Eur. 0153) (1). Langjährig etablierte Impfstoffe beinhalten immunogene Bestandteile wie ganze Mikroorganismen oder aus Mikroorganismen extrahierte Komponenten als Antigene. Daneben findet man in »klassischen Impfstoffen« Hilfsstoffe wie Adsorbenzien als Adjuvanzien oder Konservierungsmittel. Bei gefriergetrockneten Impfstoffen können weitere Hilfsstoffe wie Gerüstbildner und Kryoprotektoren zugesetzt werden, um eine Rekonstitution des jeweiligen Produkts zu erleichtern.
Im Gegensatz zu diesen klassischen Impfstoffen basieren die aktuell zugelassenen Covid-19-Impfstoffe nicht auf Antigenen selbst, sondern beinhalten als Wirkstoffe Boten-RNA (mRNA) oder DNA, die für das Spike-Protein des SARS-Coronavirus-2 kodieren. Die nukleosidische Struktur der Wirkstoffe stellt besondere Anforderungen an die Impfstoff-Formulierung. RNA und DNA haben einen intrazellulären Wirkort, sind aber aufgrund ihrer anionischen Polymerstruktur nicht in der Lage, die Zellmembran zu überwinden, um diesen Wirkort zu erreichen. Vielmehr sind sie auf Trägersysteme angewiesen, die einen Wirkstofftransport über die gleichfalls negativ geladene Membranstruktur ermöglichen.
Erschwerend kommt bei nukleosidischen Wirkstoffen hinzu, dass sie recht empfindlich gegenüber äußeren Einflüssen sind. Dazu zählen Scherkräfte und Grenzflächeneffekte, die beispielsweise beim Schütteln entsprechender Substanzlösungen wirken. Die eingesetzten Trägersysteme müssen die verpackten nukleosidischen Wirkstoffe auch vor diesen Einflüssen schützen.
Transportsysteme, die alle diese Anforderungen erfüllen, sind Lipidnanopartikel (LNP) und Liposomen in der kolloidalen Größenordnung, also im sogenannten Nanometerbereich. Die aktuellen Vakzinen stellen somit eine pharmazeutische Anwendung der Nanotechnologie dar.
Nanotechnologie beschreibt die Herstellung von Materialien und Systemen mit einer Dimension im Nanometerbereich (10-9 m = 1 Millionstel Millimeter) (2). Streng definiert sollte die Größe der Strukturen unter 100 nm liegen. Dies ist allerdings keine starre Grenze, sodass auch größere Strukturen als Nanopartikel bezeichnet werden. Vielmehr ist entscheidend, dass die nanoskalige Dimension den Materialien neue Eigenschaften verleiht. So verliert die Längenausdehnung in diesem Größenbereich an Bedeutung und die immense Zunahme der Oberfläche bestimmt die Materialeigenschaften. Oberflächeneffekte wie Adsorption oder Benetzungseigenschaften treten verstärkt hervor. Dies bezeichnet man als größeninduzierte Funktionalität.
In der Elektronik und der Chemie ist die Nanotechnologie bereits fest verankert. / Foto: Adobe Stock/Mihail
In der pharmazeutisch-medizinischen Anwendung spricht man allgemein von Nanotechnologie, wenn die Strukturen kleiner als 1 Mikrometer (10-6 m) sind. Zum Vergleich: Die meisten Arzneiformen, mit denen Apotheker in ihrem Beruf heute konfrontiert werden, haben Ausmaße im Millimeter- oder Zentimeterbereich.
Da die Nanotechnologie die Eigenschaften von Materialien gezielt verändern kann, ist sie in vielen Bereichen besonders wichtig. Unter dem Gesichtspunkt des Marktvolumens hat Nanotechnologie heute sicherlich die größte Bedeutung in der Elektronik und Chemie. Sowohl bei der Herstellung von Computerchips als auch bei Speichermedien kommt sie zum Einsatz und ermöglicht eine immer größere Leistungsfähigkeit der Systeme. In der Chemie sei beispielsweise auf nanotechnologische Oberflächenbeschichtungen verwiesen, die Stoffe schmutzunempfindlich machen, und auf nanopartikuläre Zusätze in Kunststoffen und Gummimischungen, die den Materialien ihre speziellen Eigenschaften wie Schlagfestigkeit, Antistatik oder Haftfähigkeit geben.
Nanotechnologische Aspekte werden bereits vielfach in unterschiedlichen Arzneimitteln genutzt. So werden niedermolekulare Arzneistoffe seit Jahren in nanostrukturierte Trägersysteme verpackt, um deren Körperverteilung zu beeinflussen und die Wirkstoffe in erkrankte Körperregionen zu transportieren (2). Zu diesen Trägersystemen zählen Lipidvesikel wie kugelförmige Liposomen oder auch feste Trägersysteme in Form von Nanopartikeln und Nanokapseln (Abbildung 1). Aufgrund ihrer geringen Größe kann eine gezielte Anreicherung des inkorporierten Wirkstoffs in Organen, Geweben oder erkrankten Körperstellen (Drug Targeting) erreicht werden.
Liposomen (aus dem Griechischen; lipos: Fett, soma: Körper) sind kugelförmige Lipidvesikel im typischen Größenbereich von 50 bis 200 nm, bei denen eine oder mehrere doppelschichtige Membranen aus Phospholipiden und Cholesterol einen wässrigen Kern einschließen (Abbildung 1). Seit mehr als 20 Jahren sind mehrere Zytostatika-haltige Arzneimittel auf Basis von Liposomen auf dem Markt (Beispiele: DaunoXome®, Myocet®, Doxil®/Caelyx®), die eine Optimierung der Tumortherapie versprechen.
Abbildung 1: Struktureller Aufbau von Liposomen und Lipidnanopartikeln (LNP); modifiziert nach: www.precisionnanosystems.com/workflows/formulations / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Mit Abraxane® hat ein erstes Produkt den Weg in den Markt gefunden, bei dem Paclitaxel als an Albumin gebundene Nanopartikel-Formulierung vorliegt. In den USA erhielt die von Abraxis BioScience Inc. entwickelte Zubereitung 2005 die Zulassung der FDA für die Indikation »metastasierender Brustkrebs«. Von der European Medicines Agency (EMA) wurde das Medikament im Januar 2008 zur Behandlung von metastasierendem Brustkrebs bei Patientinnen zugelassen, bei denen die erste Behandlung nicht mehr anschlägt und eine Standardbehandlung mit einem Anthracyclin nicht angezeigt ist. Nachdem das Produkt in Europa anfänglich in einer Zusammenarbeit der Unternehmen Abraxis BioScience Inc. und Astra-Zeneca vertrieben wurde, wird es aktuell von Celgene Europe B.V., einer Tochtergesellschaft von Bristol Myers Squibb, vermarktet.
Aber Nanotechnologie ist bei Arzneimitteln nicht immer gleichbedeutend mit der Verpackung eines Wirkstoffs in Trägersysteme. So werden nanonisierte Wirkstoffe auch in »klassischen« Tablettenformulierungen eingesetzt, um die Auflösungs- und Löslichkeitseigenschaften schwer wasserlöslicher Substanzen zu optimieren. Durch eine Vermahlung von Wirkstoffpartikeln kann bei dem schlecht löslichen Lipidsenker Fenofibrat sogar eine Reduktion der Einzeldosis erzielt werden. Während für Fenofibrat in der Standardformulierung eine Einzeldosis von 200 mg eingesetzt wird (Lipidil® 200 mg), kann die Dosis durch Mikronisierung auf 160 mg (Lipidil-Ter® 160 mg) und durch Nanonisierung sogar auf 145 mg (Lipidil 145 ONE®) reduziert werden.
Durch die Covid-19-Impfstoffe erschließt sich für die Nanotechnologie im pharmazeutischen Bereich ein neues Anwendungsfeld. Bei den beiden mRNA-basierten Impfstoffen der Firmen Biontech/Pfizer (Comirnaty®) und Moderna (Covid-19 Vaccine, mRNA-1273) handelt es sich um nanopartikuläre Formulierungen des jeweiligen Polynukleotids. Die Hilfsstoffzusammensetzung der beiden Impfstoffe ist der Tabelle 1 zu entnehmen.
Die Nanostrukturen werden aus einem kationischen Lipid gebildet, das die anionische mRNA komplexiert, typischerweise in Kombination mit zwei Hilfslipiden, oftmals Cholesterol und ein pegyliertes (PEG: Polyethylenglykol) Lipid, die der Stabilisierung des Systems dienen (3). Die resultierenden Nanostrukturen sind nicht als Adjuvanzien aufzufassen, sondern dienen dem Schutz des Wirkstoffs und vermitteln einen Polynukleotid-Transport in die Zielzellen.
Funktion der Hilfsstoffe | Comirnaty® | Covid-19 Vaccine Moderna |
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Lipidgemisch der LNP | ALC-0315:((4-Hydroxybutyl)azandiyl)bis(hexan-6,1-diyl)bis(2-hexyldecanoat) | SM-102:Heptadecan-9-yl 8-((2-hydroxyethyl) (6-oxo-6-(undecyloxy) hexyl) amino) octanoat |
Lipidgemisch der LNP | ALC-0159:2-((Polyethylenglykol)-2000)-N,N-ditetradecylacetamid | PEG2000-DMG:1,2-Dimyristoyl-rac-glycero-3-methoxypolyethylenglycol-2000 |
Lipidgemisch der LNP | DSPC (Colfoscerilstearat):1,2-Distearoyl-sn-glycero-3 phosphocholin | DSPC (Colfoscerilstearat):1,2-Distearoyl-sn-glycero-3 phosphocholin |
Lipidgemisch der LNP | Cholesterol | Cholesterol |
Isotonisierung | NaCl, KCl | |
Pufferkomponente | KH2PO4 | Tromethamin, Tromethamin HCl |
Pufferkomponente | Na2HPO4 x 2 H2O | Essigsäure, Natriumacetat |
Kryoprotektor | Saccharose | Saccharose |
Lösungsmittel | Wasser für Injektionszwecke | Wasser für Injektionszwecke |
Aufgrund der Hilfsstoffzusammensetzung der Impfstoffe werden die Nanostrukturen in manchen Veröffentlichungen fälschlicherweise als Liposomen bezeichnet, obwohl bei der Herstellung keine Lipidvesikel mit doppelschichtigem Membranaufbau resultieren. Vielmehr handelt es sich um Lipidnanopartikel (LNP) in einer Größenordnung von etwa 100 nm mit einer amorphen Kernstruktur (Abbildung 1, rechts) (4). Physikochemische Untersuchungen zeigen, dass das kationische Lipid zusammen mit der mRNA und dem Cholesterol die Kernstruktur bildet, während das pegylierte Lipid bevorzugt in einer kernumhüllenden Schicht zu finden ist (5).
Als Wirkstoff enthält Comirnaty® eine einzelsträngige, 5’-gekappte Boten-RNA (mRNA), die für das membranverankerte virale Spike-(S-)Glykoprotein von SARS-CoV-2 codiert. Gemäß EMA Assessment Report ist die mRNA in Lipidnanopartikel verpackt (6). Die Nanopartikel dienen dem Schutz der mRNA vor dem Abbau durch RNAsen und ermöglichen eine Transfektion der menschlichen Zellen nach intramuskulärer (i.m.) Injektion. Die Transfektion führt letztlich zu einer Expression des viralen S-Proteins an der Zelloberfläche, die eine Immunreaktion induziert. Der Impfstoff löst sowohl neutralisierende Antikörper als auch zelluläre Immunantworten gegen das Spike-Antigen aus. Für eine Immunisierung sind zwei Dosen des Impfstoffs im Abstand von drei Wochen empfohlen.
Jedes Vial beinhaltet 225 µg mRNA in Form eines gefrorenen Konzentrats (0,45 mL), das vor Applikation aufgetaut und verdünnt werden muss; die Verdünnung erfolgt mit 1,8 mL isotoner Kochsalzlösung. Die zu entnehmende Einzeldosis des Wirkstoffs liegt bei 30 µg mRNA. Entsprechend ermöglicht der Inhalt eines Vials nach Verdünnung die theoretische Entnahme von sieben Einzeldosen. Entsprechend der aktuellen Produktinformation ist ein Mehrdosenbehältnis für die Entnahme von sechs Einzeldosen von je 0,3 mL zugelassen (7). Um sechs Dosen aus einer einzelnen Durchstechflasche zu entnehmen, sind Spritzen und/oder Nadeln mit geringem Totvolumen zu verwenden.
Die LNP werden aus den drei Lipiden ALC-0315, ALC-0159 und DSPC gebildet; Cholesterol dient zur Partikelstabilisierung (Abbildung 2). In der Formulierung stellt das amphotere und damit nach außen ungeladene Lipid DSPC in Kombination mit Cholesterol die strukturellen Hauptkomponenten der Nanopartikel dar. Beide Hilfsstoffe sind bereits aus anderen zugelassen Arzneimitteln bekannt.
Abbildung 2: Lipidbestandteile der zugelassenen Covid-19-Vakzinen / Foto: Langer
Bei dem funktionellen Lipid ALC-0315 handelt es sich um ein neuartiges tertiäres Amin, das bei physiologischem pH-Wert ungeladen vorliegt. Bei der Partikelherstellung unter sauren pH-Bedingungen dient es der Bindung der polyanionischen mRNA. Nach Applikation der LNP und deren zellulärer Aufnahme in das endosomale Zellkompartiment verleiht es den Nanopartikeln eine positive Ladung, was letztlich zu einer Translokation der mRNA in das Zytosol der Zelle führt. Somit ist dieses Lipid wesentlich für den erfolgreichen Wirkstofftransport verantwortlich.
Hingegen ist ALC-0159 ein Polyethylenglykol-(PEG-)Derivat, das nur in geringen Anteilen (weniger als 2 mol-Prozent; 50 µg pro Impfdosis) in der Formulierung vorliegt. Es dient der sterischen Stabilisierung der Partikelstruktur und minimiert einerseits die Immunerkennung der LNP und andererseits zunächst auch die Interaktion mit den Zielzellen. Die Verwendung eines Hilfsstoffs zur Minimierung der Immunerkennung erscheint für einen Impfstoff auf den ersten Blick recht ungewöhnlich. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass pegylierte Lipide wie ALC-0159 einem Lipidaustausch nach Applikation der Nanoformulierung unterliegen. Dieser Lipidaustausch und damit der Verlust der sterischen PEG-Barriere der LNP ermöglicht in einem Folgeschritt die Bindung von endogenen Proteinen (wie Apolipoprotein E) an die kolloidalen Träger. Dies führt letztlich zur gewünschten Interaktion mit den Zielzellen über Lipoprotein-LDL-Rezeptoren, die in zahlreichen Geweben exprimiert werden (3). Die beiden funktionellen Lipide ALC-0315 und ALC-0159 sind neuartige Hilfsstoffe, die bisher noch nicht in zugelassenen Fertigarzneimitteln zu finden waren.
Der mRNA-Impfstoff von Biontech/Pfizer bei minus 80,5 °C gelagert werden. / Foto: Imago Images/ULMER Pressebildagentur
Die Verwendung pegylierter Lipide ist grundsätzlich mit dem Risiko einer Antikörperbildung gegen PEG verbunden (8, 9). Auch gibt es in der Bevölkerung durch die langjährige Verwendung von PEG-haltigen Produkten eine ausgeprägte Prävalenz für Anti-PEG-Antikörper. Allergische Reaktionen gegen pegylierte Lipide können somit nicht ausgeschlossen werden, auch wenn bis dato keine Immunogenität oder Immunotoxizität beobachtet werden konnte. Überempfindlichkeitsreaktionen gegen die verwendeten Hilfsstoffe stellen auf jeden Fall eine Kontraindikation für die Anwendung des Impfstoffs dar.
Die Herstellung des Impfstoffs Comirnaty® erfolgt in mehreren Arbeitsschritten. Der Wirkstoff wird aufgetaut und verdünnt; danach werden die LNP in Gegenwart des Wirkstoffs hergestellt und stabilisiert. Nach einem Pufferaustausch erfolgt eine Konzentrationseinstellung, der Kryoprotektor Saccharose wird zugesetzt und nach Sterilfiltration und Sterilabfülllung in die Vials wird das Produkt eingefroren und kann gelagert werden.
Pharmakokinetisch zeichnet sich der Impfstoff dadurch aus, dass die höchsten Konzentrationen an der Injektionsstelle gefunden werden, über die Zeit aber eine Umverteilung zu beobachten ist. Für nanopartikuläre Arzneiformen ist eine Anreicherung in der Leber typisch und auch für die LNP beschrieben. In pharmakokinetischen Studien mit radioaktiv markiertem Impfstoff wurden bis zu 21,5 Prozent der injizierten Dosis in der Leber und deutlich geringere Mengen in Milz, Nebennieren und Eierstöcken nachgewiesen.
Abbildung 3: Flow Chart zur Herstellung von Lipidnanopartikeln (LNP) als Träger für Polynukleotide; aus (12) / Foto: PZ/Stephan Spitzer
Als Wirkstoff enthält der Impfstoff ebenfalls eine Einzelstrang-mRNA, die für das virale Spike-(S-)Glykoprotein von SARS-CoV-2 codiert (Abbildung 3).
Jedes Mehrdosenbehältnis beinhaltet gemäß EMA Assessment Report zehn Impfdosen zu je 0,5 mL (10). Die Vials sind mit einem Gesamtfüllvolumen von 6,3 mL um 1,3 mL überfüllt und würden die theoretische Entnahme von zwölf Dosen ermöglichen. Allerdings ist eine Entnahme von mehr als zehn Impfdosen gegenwärtig nicht vorgesehen. Eine Impfdosis enthält 100 µg mRNA eingebettet in »SM-102 Lipid-Nanopartikel«. Hierbei handelt es sich um LNP-Strukturen, die nach dem kationischen Lipid SM-102 benannt sind. Der Impfstoff ist »ready to use« und erfordert keine weiteren Verdünnungs- oder Rekonstitutionsschritte. Für eine Immunisierung werden zwei Injektionen im Abstand von 28 Tagen empfohlen.
Die Lipidzusammensetzung der LNP ähnelt in der Auswahl dem Impfstoff Comirnaty®. Auch bei dem Impfstoff von Moderna werden drei Lipide für den Aufbau des Partikelsystems verwendet (Tabelle 1). Das amphotere und damit nach außen ungeladene Lipid DSPC dient zusammen mit Cholesterol als Strukturkomponente dem Partikelaufbau. Bei SM-102 handelt es sich wie bei ALC-0315 um ein tertiäres Amin, das bei physiologischem pH-Wert ungeladen vorliegt und bei der Herstellung der mRNA-Bindung über elektrostatische Wechselwirkungen dient. Als PEG-Derivat wird in der Vakzine PEG2000-DMG verwendet, das der sterischen Stabilisierung der LNP-Struktur dient und die Immunerkennung der Nanopartikel minimiert.
Auch bei der Moderna-Vakzine stellen die beiden funktionellen Lipide SM-102 und PEG2000-DMG neuartige Hilfsstoffe dar, die bisher noch nicht in zugelassenen Fertigarzneimitteln zu finden waren. Allerdings wurde in dem 2018 zugelassenen Fertigarzneimittel Onpattro® mit PEG2000-C-DMG ein strukturell sehr ähnliches Lipid zu LNP verarbeitet, für das ein Risiko der Antikörperbildung gegen PEG beschrieben ist (11).
Die Lipidnanopartikel werden in mehreren Arbeitsschritten hergestellt (10, 12) (Abbildung 3). Zunächst wird eine alkoholische Lipidstammlösung hergestellt und diese in einem Mikrofluidik-System, zum Beispiel: NanoAssemblr™ (13), über Pumpensysteme mit einer wässrigen mRNA-Lösung gemischt. Über das Prinzip der Nanopräzipitation entsteht eine LNP-Dispersion, die anschließend mittels Tangentialflussfiltration (TFF) gereinigt wird, um das organische Lösungsmittel abzutrennen. Nach Zusatz des Kryoprotektors Saccharose und einer weiteren Filtration erfolgt die Abfüllung in Vials und das Einfrieren der Zubereitung. Für den fertigen Impfstoff wird aktuell eine Lagerzeit von sieben Monaten bei –20 °C, einschließlich einer 30-tägigen Lagerung bei 2 bis 8 °C, angegeben.
Pharmakokinetische Untersuchungen erfolgten im Tierversuch an der Ratte. Neben einer Anreicherung der mRNA am Injektionsort konnte der Wirkstoff in allen untersuchten Geweben außer der Niere wiedergefunden werden. Eine Umverteilung in die Leber ist für Lipid-basierte Nanopartikel typisch und wurde auch für die Moderna-Vakzine beobachtet. Besonders bemerkenswert erscheint der Nachweis geringer mRNA-Konzentrationen im Gehirn, ein Hinweis auf einen Transport der Nanopartikel über die Blut-Hirn-Schranke.
Im Gegensatz zu den Covid-19-Impfstoffen von Biontech/Pfizer und Moderna handelt es sich bei der Vakzine von Astra-Zeneca um einen Vektorimpfstoff auf der Basis eines Schimpansen-Adenovirus, der das SARS-CoV-2-Spike-Glykoprotein kodiert (14). Nach der Anwendung wird das S-Glykoprotein lokal exprimiert und stimuliert neutralisierende Antikörper und zelluläre Immunantworten. Der Impfstoff wird in genetisch veränderten, humanen embryonalen Nieren-293-Zellen (HEK, human embryonic kidney) durch rekombinante DNA-Technologie hergestellt. Jedes Mehrdosenbehältnis enthält acht (4 mL Vial) oder zehn Impfdosen (5 mL Vial) zu 0,5 mL, wobei auch hier eine Überfüllung der Vials zur Sicherstellung des Entnahmevolumens vorliegt. Die Impfserie besteht aus zwei separaten Dosen, wobei die zweite Dosis innerhalb von vier bis zwölf Wochen nach der ersten appliziert werden soll.
Der Impfstoff ist im Gegensatz zu den beiden zuvor diskutierten Vakzinen nicht Nanotechnologie-basiert formuliert, sondern stellt eine Adenovirus-Zubereitung in wässriger Dispersion dar (Tabelle 2). Die Virionen zeichnen sich durch ein ikosaedrisches Kapsid im Größenbereich von 80 bis 100 nm aus und können somit als »natürliche Nanotransporter« aufgefasst werden. Sie beinhalten ein doppelsträngiges DNA-Genom, in dem das SARS-CoV-2-Spike-Protein codiert ist. Die Virusdispersion ist mit Histidin gepuffert und mit Natriumedetat, Polysorbat 80 und Magnesiumchlorid stabilisiert.
Funktion der Hilfsstoffe | Covid-19 Vaccine Astra-Zeneca |
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Stabilisator | Magnesiumchlorid-Hexahydrat |
Stabilisator | Polysorbat 80 (E 433) |
Stabilisator | Natriumedetat |
Pufferkomponente | Histidin, Histidin HCl |
Isotonisierung | Natriumchlorid |
Kryoprotektor | Sucrose (Saccharose) |
Lösungsmittel | Ethanol |
Lösungsmittel | Wasser für Injektionszwecke |
Weiterhin wurde bei der EMA im Februar 2021 ein Antrag auf vorläufige Zulassung für einen von Janssen-Cilag entwickelten Vektorimpfstoff (Covid-19 Vaccine Janssen, Ad26.CoV2.5) eingereicht. Dieser Impfstoff basiert wie die Vakzine von Astra-Zeneca auf einem adenoviralen Vektor und stellt eine wässrige Virusdispersion unter Verwendung eines Citratpuffers, Ethanol, 2-Hydroxypropyl-β-cyclodextrin, Polysorbat 80 und Natriumchlorid dar (18). Der Impfstoff wurde am 11. März 2021 von der EMA für die Anwendung am Menschen zugelassen.
Aktuell werden weitere Impfstoffe von der EMA im Rahmen eines Rolling-Review-Verfahrens beschleunigt begutachtet. So beinhaltet der Covid-19-Impfstoff von Curevac (CVnCoV) gleichfalls an Lipidnanopartikel gebundene mRNA als genetische Information für das vollständige Spike-Protein. Im Vergleich zu den beiden zugelassenen Impfstoffen auf der Basis von Nucleosid-modifizierter mRNA verwendet Curevac allerdings unmodifizierte natürliche mRNA (15). Die eingesetzten LNP basieren wiederum auf mehreren Lipidkomponenten, darunter Cholesterol, DSPC sowie ein kationisches und ein pegyliertes Lipid (16).
Noch nicht zugelassen, aber im Rolling-Review-Verfahren der EMA: der Covid-19-Impfstoff von Curevac (CVnCoV). / Foto: Curevac
Ein weiterer von Novavax CZ AS entwickelter Impfstoff (NVX-CoV2373) verfolgt den Weg einer »klassischen« Immunisierung und basiert auf einem in Zellkultur exprimierten Spike-Protein in Kombination mit einem Adjuvans. Allerdings kommt auch hier die Nanotechnologie zum Einsatz: Die Spike-Proteine werden an etwa 50 nm große synthetische Lipidnanopartikel gebunden. Damit stellt der Impfstoff ein synthetisches Virus dar. Dieses neuartige Prinzip wird vom Hersteller Novavax als »Recombinant Nanoparticle Vaccine«-Technologie bezeichnet (17).
In einem weiteren Rolling-Review-Verfahren begutachtet die EMA seit dem 4. März 2021 die vom russischen Gamaleya National Centre of Epidemiology and Microbiology entwickelte Vakzine Sputnik V. Auch hierbei handelt es sich um einen Vektorimpfstoff, der allerdings auf zwei Adenoviren (Ad26 und Ad5) anstelle eines Virus (Ad26) basiert. Die erste Impfdosis enthält den Ad26-Vektor, während die zweite Impfdosis nach drei Wochen als Booster den Ad5-Vektor verwendet. Die Hilfsstoffzusammensetzung der Sputnik-V-Vakzine ist mit Magnesiumchlorid, Polysorbat 80, Ethanol, Natriumedetat, Natriumchlorid und Sucrose dem Impfstoff von Astra-Zeneca sehr ähnlich (Tabelle 2). Lediglich die Pufferung erfolgt bei Sputnik V mit Tris-(hydroxymethyl)-aminomethan (TRIS) anstelle eines Aminosäurepuffers.
Nanostrukturierte Arzneiformen wie Liposomen und Lipidnanopartikel bieten neue Therapieoptionen, die bei der schnellen Entwicklung von Covid-19-Impfstoffen sichtbar wurden. Erste liposomale Fertigarzneimittel wurden bereits vor mehr als 25 Jahren in die Therapie eingeführt, aber in den Folgejahren haben nur wenige weitere »Nanoprodukte« die Marktreife erlangt. Der durch die Pandemie ausgelöste Bedarf an neuen effizienten Impfstoffen in großen Mengen hat diese Situation deutlich verändert.
Alle Bundesländer haben Corona-Impfzentren eingerichtet und in Kürze sollen auch die Hausärzte mit dem Impfen starten. Alle warten dringend auf neue Impfstoffe. / Foto: Adobe Stock/lotharnahler
Synthetisch hergestellte mRNA liefert die Information für antigene Proteine, ist aber als Wirkstoffmolekül mit herausfordernden pharmakokinetischen Eigenschaften bei gleichzeitig geringer Wirkstoffstabilität auf geeignete Arzneistoffträger angewiesen. Erste nanotechnologische Ansätze zum mRNA-Transport über Lipidnanopartikel wurden vor wenigen Jahren für immuntherapeutische Therapien von Tumorerkrankungen und innovative Impfkonzepte entwickelt.
Der Durchbruch dieser Technologie wurde aber erst durch ein tiefergehendes Verständnis der Interaktion zwischen Nanopartikel und Zielzellen, die Optimierung der Hilfsstoffzusammensetzung sowie eine erfolgreiche Skalierung des Herstellungsprozesses im Rahmen der Entwicklung von Covid-19-Vakzinen erzielt. Da die physikochemischen Eigenschaften unterschiedlicher RNA-Strukturen sehr ähnlich sind, ist davon auszugehen, dass auch zukünftig mit weiteren mRNA-Sequenzen für neue Targets in Kombination mit einer »smarten Nanoverpackung« erfolgreich neue Therapiegebiete erschlossen werden können.
Klaus Langer studierte Pharmazie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt und wurde 1996 im Fach Pharmazeutische Technologie promoviert. Im Jahr 2000 erhielt er die Gastprofessur für Pharmazeutische Technologie an der Karl-Franzens-Universität Graz. 2005 habilitierte sich Langer für das Fach Pharmazeutische Technologie und ist seit 2009 W3-Professor am Institut für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen die Entwicklung nanostrukturierter Arzneistoffformulierungen für unterschiedliche Therapiefelder sowie deren Interaktion mit biologischen Systemen.