Metaanalyse mahnt zu differenzierter Sicht auf Statine |
Die relative Risikoreduktion sei zwar »zahlenmäßig beeindruckender« als die absolute, führt Byrne in einer begleitenden Mitteilung auf der Plattform »The Conversation« aus. Sich ausschließlich darauf zu beziehen, könnte aber sowohl Ärzte als auch Patienten dazu verleiten, die Vorteile einer Intervention zu überschätzen. Man müsse stets das ganze Bild betrachten, in diesem Fall also das zugrundeliegende kardiovaskuläre Risiko eines Patienten, das man mithilfe von Risikorechnern ermitteln könne.
So habe etwa ein 65-jähriger Raucher mit sowohl hohem Blutdruck als auch Gesamtcholesterol ein geschätztes Risiko von 38 Prozent, innerhalb der nächsten zehn Jahre zu sterben, eine 45-jährige Nichtraucherin mit nur leicht erhöhtem Blutdruck und Cholesterolspiegel dagegen nur ein Risiko von 1,4 Prozent. Die in der Studie ermittelte relative Reduktion des Sterberisikos um 9 Prozent würde bei dem Mann also eine Senkung von 38 auf 34,6 Prozent bedeuten, bei der Frau aber nur von 1,4 auf 1,3 Prozent, so Byrne.
Wie Menschen mit einem Risiko umgingen, sei sehr unterschiedlich. Was für den einen ein »guter Deal« sei, könne sich für einen anderen als wertlos darstellen. Damit die Menschen ihre Entscheidung für oder gegen eine Statin-Therapie aber möglichst informiert treffen könnten, müssten ihnen auch die absoluten Zahlen genannt werden.
Ist zu Statinen nicht eigentlich schon alles gesagt? Die Arbeit von Byrne und Kollegen zeigt, dass das nicht der Fall ist – und weist in ihrer Bedeutung gleichzeitig weit über die Therapie von Lipidstoffwechselstörungen hinaus. Denn sie bestätigt zwar einerseits die schon in vielen Studien gezeigte Wirksamkeit der Statine, macht aber andererseits darauf aufmerksam, dass diese kein Selbstzweck ist. Letztlich geht es nicht darum, den LDL-C-Wert eines Patienten zu senken, sondern zu verhindern, dass er einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall erleidet oder daran verstirbt. Wie groß der Beitrag ist, den ein Statin dazu leisten kann, hängt dabei auch von (Lebensstil-)Faktoren ab, die der Patient unter Umständen nicht beeinflussen kann oder will.
Überaus wichtig ist, dass die Autoren mit dieser Arbeit ein Schlaglicht auf den Unterschied zwischen absolutem und relativem Risiko richten. Denn allzu oft wird im medizinischen Kontext mit relativen Zahlen hantiert, die auch dann imponieren können, wenn sie nur einen sehr geringen absoluten Unterschied ausmachen. Um eine freie Entscheidung für oder gegen eine Therapie treffen zu können, sollte der Patient daher möglichst sachlich informiert werden. So lässt sich übrigens auch einem Noceboeffekt vorbeugen, der ja bei Statinen bekanntlich auch eine große Rolle spielt.
Annette Rößler, Redakteurin Pharmazie