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Covid-19

Mehr Studien, weniger Heilversuche mit Corona-Patienten

Mittlerweile sind einige randomisierte kontrollierte Studien mit potenziellen Medikamenten gegen Covid-19 gestartet. Viele schwer Erkrankte bekommen aber nach wie vor im Rahmen individueller Heilversuche Wirkstoffe wie Remdesivir, Favipiravir oder Hydroxychloroquin. Eine vertane Chance mit Risiken, meint ein US-Infektiologe im Fachmagazin »JAMA«.
Daniela Hüttemann
27.03.2020  15:18 Uhr

Am 18. März startete die Weltgesundheitsorganisation WHOdie  globale SOLIDARITY-Studie. Die mehrarmige Studie soll vier potenziell gegen SARS-CoV-2 wirksame Medikamente untersuchen, und zwar unter kontrollierten Bedingungen und im großen Stil: das ursprünglich gegen Ebola entwickelte Virostatikum Remdesivir, das Malaria-Medikament Chloroquin beziehungsweise Hydroxychloroquin und die HIV-Kombination Lopinavir/Ritonavir (Kaletra®). 

SOLIDARITY hat bewusst ein einfaches Studiendesign, um die Teilnahme der ohnehin überlasteten Krankenhäuser überhaupt zu ermöglichen. So wird nicht wie sonst doppelt verblindet und zum Vergleich ein Placebo gegeben. Es werden aber vergleichbare Patienten randomisiert, die eine reine Supportivtherapie bekommen oder zusätzlich eines der zu untersuchenden Medikamente erhalten. Die WHO sprach von einem Kompromiss zwischen wissenschaftlichen Standards und dem Zeitfaktor.

Trotzdem verspricht die großangelegte Studie mehr Evidenz zur Wirksamkeit oder eben Unwirksamkeit sowie Nebenwirkungen der potenziellen Therapien zu generieren als die bisherige Praxis, bei der viele Patienten diese oder andere experimentelle Therapien im Rahmen eines Off-Label-Gebrauchs (bereits für andere Indikationen zugelassene Medikamente wie Kaletra) oder Compassionate Use (individueller Heilversuch mit noch nicht zugelassenen Arzneistoffen wie Remdesivir) erhalten.

Genau diese Praxis hatte diese Woche Professor Dr. Andre C. Kalil von der University of Nebraska Medical Center in einem Meinungsbeitrag im Fachjournal »JAMA« kritisiert. Denn ohne vergleichbare Kontrollgruppe lasse sich überhaupt nicht beurteilen, ob ein Patient aufgrund des Medikaments genesen oder aber auch genau deswegen gestorben ist. 

Stirbt der Patient, ist die Erkrankung schuld; überlebt er, hat er dies dem Medikament zu verdanken – das ist nicht wahr.
Andre C. Kalil

Diese Erfahrung habe man bereits 2014 und in den Folgejahren bei der großen Ebola-Epidemie in Westafrika gemacht. Es wurden verschiedenste Methoden ausprobiert, aber nur eine einzige randomisierte klinische Studie gestartet – und diese so spät, dass die Epidemie vorüber war und die Studie keine aussagekräftigen Ergebnisse mehr liefern konnte. »Diese Tragödie, dass neu Therapien nicht entdeckt werden konnten, darf sich nicht wiederholen«, mahnt Kalil.

Nebenwirkungen bedenken

In der jetzigen Pandemie würde auch kaum auf die zum Teil durchaus bekannten Nebenwirkungen der experimentellen Therapien geachtet, so ein weiterer Kritikpunkt. Chloroquin/Hydroxychloroquin, Azithromycin und Lopinavir/Ritonavir zum Beispiel können zu einer QT-Zeitverlängerung, Hepatitis, akuter Pankreatitis, Neutropenie und Anaphylaxie führen. Dies müsse man im Hinterkopf haben, schließlich sterben nach bisherigem Kenntnisstand vor allem ältere Patienten mit Herzerkrankungen und oft waren auch Patienten mit Herz-Rhythmus-Störungen betroffen. Hier könnten die zuvor genannten Arzneistoffe das Risiko für einen Herztod erhöhen.

Hepatitis und Neutropenien seien zudem klinische Manifestationen einer schweren Covid-19-Erkrankung und könnten durch die experimentellen Therapien verschlechtert werden. Das lässt sich aber ohne Kontrollgruppe mit vergleichbaren Vorerkrankungen und Covid-19-Verläufen unter reiner Supportivtherapie nicht herausfinden. Ebenso wenig lassen sich unerwünschte Wirkungen neuer Wirkstoffe wie Remdesivir nicht zuverlässig detektieren.

Intravenös verabreichte Steroide könnten die Coronavirus-Clearance im Blut und in der Lunge herabsetzen, wie bei MERS und SARS beobachtet, schreibt Kalil. Bei Influenza-Patienten seien Steroide mit einer höheren Sterblichkeit und Sekundärinfektionen assoziiert. Die Gabe von IL-6-Inhibitoren, zu denen Tocilizumab (RoActemra®) zählt, könnte das Risiko für Komplikationen wie Sepsis, bakterielle Pneumonien, gastrointestinale Perforationen und Hepatotoxizität erhöhen.

Sofern eine Erkrankung nicht zu 100 Prozent tödlich verläuft, sei es unethisch, auf randomisierte kontrollierte Studien zu verzichten. In Bezug auf mögliche Nebenwirkungen seien die Teilnehmer der Placebogruppe sogar sicherer, denn alle erhalten die bestmögliche Standardbehandlung, ohne möglichen Nebenwirkungen der experimentellen Therapie ausgeliefert zu sein.

Der Infektiologe begrüßt es, dass nun unter Hochdruck randomisierte kontrollierte Studien gestartet werden. In China laufen bereits einige, die National Institutes of Health der USA hatten Ende Februar eine globale Studie mit Remdesivir initiiert (sogar placebokontrolliert und doppelblind). Parallel zur SOLIDARITY-Studie der WHO startete zudem die DISCOVERY-Studie in der EU und Großbritannien unter Federführung des französischen INSERM-Instituts. Auch Deutschland beteiligt sich daran.

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